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Zeitzeuge Hans Wöllmann erzählt in der Sekundarschule "Am Baumschulenweg" seine ergreifende Geschichte "Eigentlich ist es ein Wunder, dass ich noch lebe"

Von Natalie Häuser 15.01.2014, 02:18

"Nie wieder Krieg!". Die Botschaft Hans Wöllmanns bewegte die Zehntklässler der Sekundarschule Am Baumschulenweg in Genthin. Der Zeitzeuge aus dem Haus Georg Stilke erzählte von seiner dramatischen Kriegsflucht und schildert Bilder, die er nicht vergessen kann.

Genthin l "Wir konnten wirklich alles fragen", erzählen die Schülerinnen aus der 10a der Sekundarschule Am Baumschulenweg in Genthin begeistert. Im Vorfeld hatten sie überlegt, wie sie die Fragen formulieren würden, damit sie nicht zu privat sind.

Diese Sorge war unbegründet. "Das vorhandene Wissen von Zeitzeugen ist bald verloren, deshalb gebe ich gerne die Botschaft ¿Nie wieder Krieg\' an junge Menschen weiter", so der 84-jährige Hans Wöllmann aus dem Seniorenzentrum Haus Georg Stilke. Seine Erzählungen reichen von der Kindheit und Jugend in den ostpreußischen Städten Steinbeck und Königsberg über die dramatische Flucht vor der Front nach Kopenhagen, bis hin zu seiner Ankunft in Genthin 1947.

"Wir haben in Ostpreußen sehr primitiv gelebt, aber auch gesund", erinnert sich der Zeitzeuge an seine Kindheitstage. Sein Hobby war der Modellbau von Segelfliegern. Um selbst in einem Schulgleiter 38 fliegen zu können, war er zu leicht. "Das Mindestgewicht betrug 50 Kilogramm", so der 84-Jährige, der gern Segelflieger geworden wäre. Mit 14 zur Hitlerjugend eingezogen und dann im Frühsommer 1944 gemeinsam mit anderen Jungen an die litauische Grenze gebracht, um mit Spaten Schützengräben und militärische Unterstände auszuheben.

"Wir mussten auf Stroh schlafen", erinnert sich Wöllmann. Zurück in Steinbeck war der Geschützdonner ab Januar 1945 Tag und Nacht zu hören und die Front kam näher. Dann die Flucht. Zunächst von Steinbeck nach Königsberg zu einer Schwester der Mutter.

Unterwegs immer wieder Tiefflieger, die Bomben abwarfen. "Man konnte sogar die Köpfe der Piloten im Cockpit erkennen", schildert der Zeitzeuge immer noch erschrocken. Dann mussten die Zivilisten Königsberg verlassen, die Stadt wurde zur Verteidigungsfestung.

"Von meinen Verwandten, die im Frontbereich blieben, habe ich nie wieder was gehört", sagt Wöllmann traurig. Am 13. April 1945 abends ins Landungsboot, das die Familie in die Danziger Bucht bringen sollte. "Da war einem dann alles ganz egal", berichtet Wöllmann von den Stunden bei stockfinsterer Nacht im Bauch des völlig überfüllten Flüchtlingsschiffes, das bis zu den Knien mit Wasser und teilweise mit Erbrochenem von den Seekranken gefüllt war. Ausgeladen wurden sie am frühen Morgen an der Stelle, wo sie am Abend eingestiegen waren. Noch am gleichen Tag ging es wieder in ein Schiff. Unterwegs wurden weitere Flüchtlinge eingesammelt.

Endlich die Ankunft im Kopenhagener Hafen am 18. April 1945. "Das erste Mal wieder richtige Stullen essen", die Freude von damals sieht man dem 84-Jährigen noch heute an. Untergebracht in Strandvillen wurde auf Heidekraut geschlafen und ein unendlicher Blick auf die Ostsee und erste Badetage ließen die Familie etwas zur Ruhe kommen. "Und Windbeutel mit Schlagsahne gab es einmal". Zu Kriegszeiten eine unschätzbare Leckerei.

Dann endlich Kriegsende am 8. Mai 1945. Umsiedlung in Flüchtlingsbaracken in Kopenhagen. Aus Papierdecken hat sich seine Familie ein bisschen Privatsphäre geschaffen.

Dann wurde Wöllmanns Mutter schwer krank. Von der Lagerleitung informiert, dass er dringend ins Krankenhaus kommen solle, fand er seine Mutter schon im Sterbezimmer liegend. Beerdigen musste er sie allein, zusammen mit ein paar Bekanntschaften, die sie im Lager geschlossen hatten. Die zwei Schwestern waren bereits in Deutschland. "Das war einer der letzten Eindrücke von Kopenhagen", sagt er und muss schlucken.

Ein Briefkontakt zu seiner Cousine in Baden-Baden führte ihn wieder mit seinem Vater zusammen. Dieser war amerikanischer Kriegsgefangener in Paris und wurde 1946 nach Genthin zu einem Onkel entlassen. Vom Entlassungslager auf Jütland kam Wöllmann im September 1947 nach Genthin. Erst zum Großonkel, dann zum Vater auf einem Bauernhof in Mützel. "Das ist komisch, einfach so frei zu sein", schildert der Zeitzeuge flüsternd seine Gedanken auf dem Weg durch Genthin bis nach Mützel.

"Ein neuer Krieg beginnt damit, womit der alte aufgehört hat", mahnt Wöllmann und meint die amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Das heute ferngesteuerte Drohnen eingesetzt werden, um Menschen zu töten, ist für ihn nicht nachvollziehbar. Seine Geschichte soll jungen Menschen ein Mahnmal sein.