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Jüngstes Mitglied Sebastian Hahn (30) und Alterspräsident Horst Leiste (77) im Porträt Stadtrat als Treff der Generationen

Von Kristin Schulze 01.02.2014, 01:21

Am 25. Mai wird gewählt. Unter anderem der Genthiner Stadtrat. Für uns Anlass zu einer Serie rund um die Politik in der Kanalstadt. Die spielt sich zum größten Teil im Stadtrat ab. Ein Ort für mehrere Generationen, wie sich im ersten Teil unserer Serie zeigt.

Genthin l Das Thermometer zeigt deutlich in den Minusbereich. Trotzdem zieht Sebastian Hahn die Handschuhe aus, als er den Motor einer Kundin begutachtet. "Kriegen wir wieder hin", sagt er aufmunternd. Schnell zeigt er dem Lieferanten mit einer Hand, wo die mitgebrachten Teile hin sollen, mit der anderen Hand schreibt er eine Rechnung ...

Sebastian Hahn (30) arbeitet in der familieneigenen Werkstatt in Altenplathow. Unter zehn Stunden am Tag geht hier nichts. Nebenbei sitzt der junge Mann seit fünf Jahren für Pro Genthin im Stadtrat. "Genthin ist meine Heimat, ich will hier bleiben und mich an Entscheidungen beteiligen", erklärt er seine Beweggründe.

Mitreden, sich beteiligen, das treibt auch Horst Leiste an. Er ist 77 Jahre alt und im Stadtrat Alterspräsident. "Als ich jung war, durfte man seine Meinung nicht sagen", erzählt Leiste, dessen Eltern nach der Zwangsfusionierung von KPD und SPD zur SED aus der Partei austraten. Auch Leiste ist nie SED-Mitglied geworden. Eine politische Karriere für ihn zu DDR-Zeiten also ausgeschlossen. "Ich habe ja nicht mal ein Telefon bekommen", erinnert sich Leiste.

Nach der Wende war dann nicht nur die Anschaffung des Telefons, sondern auch der Einstieg in die Politik möglich. "Meinungsfreiheit ist ein Privileg, darum habe ich gleich 1990 für den Kreistag kandidiert." Dabei blieb es nicht, Leiste wurde auch gewählt. "Ganz ehrlich, ich habe vor Freude geweint", erinnert er sich. Seit Mitte der Neunziger sitzt er auch im Genthiner Stadtrat.

Sebastian Hahn mischt dort seit 2009 mit, etwa zehn Stunden in der Woche koste ihn das. Um sich vorzubereiten, liest er Beschlussvorlagen und bildet sich eine Meinung. "Manchmal reicht die Vorlage zur Meinungsbildung aus, oft muss man zusätzlich recherchieren."

Mit zehn Stunden in der Woche kommt Horst Leiste nicht aus. Sein Kalender ist bunt und vor allem voll. Die meisten Einträge sind politischer Natur, was seinen Ämtern als Fraktionsvorsitzender der SPD, als Mitglied in Haupt- sowie Kultur-, Bildungs- und Sozialausschuss, als Kreistagsmitglied und als Mitglied im Ausschuss Bau, Wohnung und Verkehr geschuldet ist. "Ist doch klar, dass ich mehr Zeit für die Stadtratsarbeit habe, ich bin schließlich Rentner", sagt er, während er in seinem Kalender blättert. Auch Dinge wie Schwimmen und Fitness stehen drin.

Jungen Leuten wie Sebastian Hahn, die sich neben ihrer Arbeit im Rathaus engagieren, zollt Leiste Respekt. "Davon müsste es viel mehr geben. Ein Stadtrat funktioniert wie eine Fußballmannschaft. Die richtige Mischung aus jung und alt ist das Erfolgsrezept."

Zeitintensiv ist nicht nur die Vorbereitung, sondern auch die Sitzung. Bis zu zehn Mal im Jahr kommt der Stadtrat zusammen, dazu kommen Fraktions- und Ausschusssitzungen.

Hahn, der im Wirtschafts- und Umweltausschuss sitzt, ist nicht für ausschweifende Redebeiträge bekannt. "Die Verwaltung macht Vorschläge, meine Aufgabe ist es, darüber abzustimmen", erklärt er sein Verständnis von Kommunalpolitik.

Noch mehr Redebeiträge wünscht sich dagegen Horst Leiste. "Erst durch Diskussion kann ich mich doch für die Belange der Bürger einsetzen." Viele Menschen würden mit ihren Anliegen zu ihm kommen, seine Aufgabe als Stadtrat sei es, diese im Rathaus zu vertreten.

In einem Punkt sind sich beide einig: Oft würden im Stadtrat unnötige Diskussionen geführt. Sebastian Hahn sagt dazu: "Zu Hause warten Freundin und Kind, da will man sich natürlich aufs Wesentliche beschränken."

Auch Horst Leiste beklagt, dass die Sitzungen oft ausufern würden. Das liege auch daran, dass in den Ausschüssen nicht vernünftig gearbeitet würde. "Vieles, was wir im Stadtrat diskutieren, hätte dort schon geklärt werden können", sagt er. Darum sei es der falscher Weg, die Anzahl der Ausschüsse zu reduzieren, wie es momentan diskutiert wird.

Von schweren Entscheidungen im Stadtrat können sowohl Hahn als auch Leiste berichten.

Bei Sebastian Hahn ist die Schweinemast Gladau in Erinnerung geblieben. "Es ging darum, ob die Stadt ihr Einvernehmen gibt oder nicht." Hahn hat (wie die Mehrheit des Rates) mit Nein gestimmt. "Die Umwelt belasten oder einem Investor vor den Kopf stoßen, die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen", sagt Hahn. "Aber ich stehe auch heute noch zu meiner Entscheidung für die Natur." Sich überhaupt zu entscheiden, das ist für Horst Leiste wichtig. "Es gibt zu viele Räte, die sich enthalten", sagt er. "Ich mache seit 25 Jahren Kommunalpolitik, wie oft ich mich enthalten habe, kann ich an einer Hand abzählen."

Für Leiste war der schlimmste Moment im Rathaus, als Genthin den Status als Kreisstadt verlor. "Ich war wütend und traurig. Traurig vor allem, weil es viele Genthiner überhaupt nicht interessiert hat. In Gerwisch haben die Menschen ganze Straßen blockiert, wir sind mit nur 15 Leuten nach Tangermünde zur Demo gefahren."

Trotz des Ärgers, eines steht für Hahn wie auch für Leiste fest: Wenn am 25. Mai gewählt wird, werden sie beide auf der Liste mit den Kandidaten für den Stadtrat zu finden sein. Zu alt fühlt sich Leiste dafür noch lange nicht. Schließlich hätte sich Konrad Adenauer mit gut 80 Jahren auch noch einmal zum Kanzler wählen lassen.