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Schüler der 10. Klassen der Sekundarschule Parey besuchten das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz Reise in eine furchtbare Vergangenheit

Von Sigrun Tausche 12.11.2014, 02:09

Die Schüler der 10. Klassen der Sekundarschule "An der Elbe" Parey hatten das neue Schuljahr mit einer Bildungsreise nach Auschwitz und Krakau begonnen. Die Fahrt zu einem ehemaligen Konzentrationslager gehört seit Jahren zum Programm, nach Auschwitz im heutigen Polen führte sie jedoch zum ersten Mal.

Parey l Man musste das alles erstmal verarbeiten, ehe man darüber reden konnte, sagte Helene Windelband aus der Klasse 10a, und so empfanden auch die anderen Schüler. Sie hätten gar nicht gleich berichten können. Nun aber sprudelte es nur so heraus. Der Schock, den die jungen Leute dort erlebten, ist immer noch zu spüren. Dennoch empfinden sie es als richtig, dort gewesen zu sein. "Da müsste jeder Deutsche mal hin, besonders die, die solch eine Meinung haben und gar nicht wissen, was da passiert ist", sagt Helene mit Blick auf Rechtsextreme und Neonazis.

Schulsozialarbeiterin Aileen Gruß, die schon ein Jahr zuvor mit den Vorbereitungen für diese Fahrt begonnen hatte, bat nun je zwei Schüler aus der 10a und der 10b, von ihren Eindrücken zu berichten. Neben Helene Windelband waren das Luisa-Marie Letz aus der 10a sowie Angelique Müller und Michaela Meier aus der 10b.

Trotz der guten Vorbereitung anhand einer Powerpoint-Präsentation durch Aileen Gruß sei es ganz anders gewesen, tatsächlich dort zu sein, berichteten die Schülerinnen. Ein beklemmendes Gefühl war es, sich vorzustellen, dass vor nicht mal 70 Jahren dort die KZ-Häftlinge entlanggingen, sagt Angelique, und Helene ergänzt: "Es war fast wie ein Film. Man konnte sich gar nicht vorstellen, dass das alles wirklich war!" "Auf dem Fleck, wo du gerade langläufst, könnte jemand gestorben sein", beschreibt Luisa-Marie ihre Empfindungen. "Ich habe jetzt noch Alpträume", sagt Helene. "Ich denke dann, ich werde selbst verfolgt."

Auch Aileen Gruß räumt ein, dass sie selbst eine Woche brauchte, um damit fertig zu werden - obwohl sie ein Jahr zuvor schon einmal hier war.

Die Schüler hatten zunächst das Stammlager Auschwitz besucht, am nächsten Tag das Lager Auschwitz-Birkenau, wo mehr als eine Million Menschen, überwiegend Juden, ermordet wurden. Am dritten Tag fuhren sie nach Krakau, um Schauplätze des Films "Schindlers Liste" kennenzulernen.

"Wenn man das sieht, kann man sich gar nicht vorstellen, dass da überhaupt jemand wieder rausgekommen ist", sagt Helene. Angelique berichtet von dem raumfüllenden Riesenbuch, in dem die Namen der Toten verzeichnet sind. Und sie berichten von dem Vergleich mit den Pflastersteinen auf dem riesigen Gelände: Mehr Menschen sind hier gestorben als Steine da sind!

Gedenktafeln in vielen Sprachen gibt es in Birkenau. Hier haben die Schüler Rosen abgelegt, einige weitere auch in einer Kinderbaracke auf einer Schlafpritsche aus rohem Holz. Was übrig blieb von den Menschen und ganz besonders von den Kindern, die hier ermordet wurden, das hat die Schüler ganz besonders schockiert. Michaela erzählt von den Schuhen von Kleinkindern, Helene von mehreren Räumen voller Sachen, auf denen noch die Namen ihrer Besitzer standen, Luisa-Marie von Prothesen von kleinen Kindern und von Fahrkarten nach Auschwitz, die sich Menschen, die herher verschleppt wurden, tatsächlich selbst kaufen mussten!

Das Museum, das hier aufgebaut wurde, sei hochmodern, betont Aileen Gruß. Vieles sei aufwändig konserviert, und über Kopfhörer können Besucher ausführliche Erläuterungen in vielen Sprachen bekommen. Der Gang durch das Gelände des ehemaligen KZ wird so noch bewegender.

Michaela erinnert an die furchtbaren Versuche des Lagerarzts Mengele an Zwillingen, Helene an dessen Selektion der Menschen schon beim Eintreffen. "Sie wurden in Gruppen geteilt und wussten nicht, was mit ihnen passieren wird. Alte und Kranke kamen gleich in die Gaskammern!" Und die Haare, die ihnen abgeschnitten wurden, sind "heim ins Reich" geliefert worden, um zum Beispiel Decken daraus zu machen. Und ein Waggon war da noch, original von damals, wie er zum Transport der Verschleppten benutzt wurde. Auch die Vergasungsanlage ist noch da. "Das hätte ich mir gar nicht vorstellen können", sagt Michaela.

Ganz anders vorgestellt hatten sie sich auch die Lage des ganzen. "Als wir in Birkenau ankamen, haben wir gesehen, wo damals die Züge hineinfuhren. Und daneben stehen moderne Wohnhäuser!" berichtet Helene. "Wie kann man da wohnen!" fragt sie. "Die Hauptstraße führt direkt am KZ vorbei. Das hatte ich mir anders vorgestellt, abgelegener."

Als Deutsche dort in Auschwitz zu sein, das sei noch heute ein mulmiges Gefühl, finden sie alle. "Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich weiß, ich kann nichts dafür. Aber das waren auch Deutsche!" sagt Angelique. Aileen Gruß bestätigt: "Man hat dort wirklich das Gefühl, lieber den Mund zu halten, um nicht als Deutscher erkannt zu werden. Aber es geht ja darum, etwas zu tun, dass so etwas nie wieder passiert!"

Das Hauptziel der Reise - dass die Schüler hautnah erleben, was eine Diktatur anrichten kann - sei erreicht worden, betont sie. Und sie ist sehr beeindruckt vom Verhalten der Schüler, die sich vorbildlich betragen haben. Dass das nicht bei allen jungen Leuten, die hierher kommen, so ist, wurde von den Mädchen auch angesprochen. Respektlos fanden sie es, dass einige sich fürs Foto auf die Gedenktafeln setzten oder unter das berüchtigte Eingangstor stellten.

Beeindruckend war für die Schüler auch der Tag in Krakau. "Krakau ist, zumindest die Altstadt, wunderschön. Es wurde im Krieg nicht zerstört", erklärt Aileen Gruß. Überraschend fanden die Schüler, die Schauplätze des Films "Schindlers Liste" tatsächlich wiederzuerkennen. "Mich hat überrascht, dass sich das ehemalige Ghetto direkt neben einer Einkaufsstraße befindet", sagt Luisa-Marie. "Und die Synagoge und den Friedhof hatte ich mir komplett anders vorgestellt, viel größer." Im einstigen jüdische Viertel wohnen heute nur noch zwei Juden, ansonsten nur Polen, berichtet Helene.

Das Erlebte habe keinen kalt gelassen, betonen die Mädchen. "Wir haben in den Klassen herumgefragt. Es haben alle so empfunden." Wichtig war, dass an den Abenden auch immer über die Erlebnisse des Tages gesprochen wurde. Diese Gespräche waren bereits bei der Vorbereitung im Projekt verankert worden.

Die Bildungsreise ist zur Hälfte von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt finanziert worden. So konnten ausnahmslos alle Schüler der beiden 10. Klassen daran teilnehmen.