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Roland Lutzky steigt wöchentlich auf den Pareyer Kirchturm, um die Uhr aufzuziehen, zu pflegen und zu stellen Hundertjährige ist ein bisschen launisch

Von Sigrun Tausche 09.04.2015, 03:16

Zur vollen Stunde schlägt die Uhr die jeweilige Zeit, zur halben Stunde einmal, pünktlich um 18 Uhr erklingt das Abendläuten vom Kirchturm. Das sind die Pareyer gewöhnt. Stimmt die Zeit mal nicht genau, fällt es auf. Das kommt aber nur selten vor, und dafür sorgt Roland Lutzky schon seit mindestens 15 Jahren.

Parey l Wie oft er schon den Kirchturm bis zur Uhr hinaufgestiegen ist, weiß Roland Lutzky längst nicht mehr. Mindestens einmal pro Woche ist er hier oben, um die Uhr aufzuziehen. Denn während anderswo längst elektrische Uhren in die Kirchen eingebaut wurden, teilweise sogar Funkuhren, die automatisch gestellt werden, gibt es in der Pareyer Kirche noch das originale Uhrwerk von 1912. So steht es auf dem Schild. Aus der "Turmuhrenfabrik Georg Richter, Hoflieferant Seiner Majestät des Kaisers und Königs, Berlin, Gneisenaustraße 66" stammt es.

Pfarrer Andreas Breit hat beim Renovieren des Gemeindehauses auch ein Zeugnis dafür gefunden, warum in die 1699 eingeweihte Kirche damals eine neue Uhr eingebaut wurde: ein farbig gezeichnetes Bild vom Brand der Kirche und Einsturz des Kirchturms am 18. Juni 1911 um 6.28 Uhr.

Die neue Uhr ist nun schon über 100 Jahre alt. Dass sie noch heute so gut funktioniert, ist nur dank ständiger regelmäßiger Pflege möglich. Ölkännchen, Läppchen und eine Zahnbürste liegen bereit - das Handwerkzeug von Roland Lutzky hier oben. "Alle 14 Tage bekommen die Achsen einen Tropfen Öl", erklärt er. Und die Zähne der Zahnräder putzt er tatsächlich mit der Zahnbürste. Denn Ablagerungen wirken sich auf den Gang der Uhr aus, ebenso wie die Temperatur oder das verwendete Öl.

Man brauche ein feines Händchen, um die Uhr zu stellen, betont Roland Lutzky. Manchmal weiche sie in der Woche fünf Minuten ab, manchmal nur fünf Sekunden. Ein bisschen launisch sei die alte Dame eben. In den vielen Jahren, seit er diesen ehrenamtlichen Job schon macht, hat er viel Gefühl dafür entwickelt.

Wie er dazu gekommen ist? "Ich habe es als junger Bengel schon mal gemacht", sagt Roland Lutzky und erzählt, wie er dann oft mit Freunden noch ein Stück höher geklettert ist, um von der Laterne aus mit dem Fernglas in die Runde zu schauen. Später hatte sich eine Zeitlang sein Vater um die Uhr gekümmert, dann hat er es wieder übernommen.

Ein bisschen "Training" ist es auch, denn nicht nur der Aufstieg im Turm braucht Muskelkraft und "Puste", sondern auch das Aufziehen: 90 Umdrehungen sind jede Woche für das Uhrwerk nötig, 160 Umdrehungen für das Schlagwerk. "Wenn man es so oft macht, zählt man schon mal", erklärt Roland Lutzky. Zweimal im Jahr ist noch ein bisschen mehr Arbeit erforderlich - bei der Umstellung auf Sommer- oder Winterzeit. "Manchmal mache ich das gleich mit, wenn ich einmal oben bin", gesteht Lutzky. Dann wundern sich die Pareyer, warum "ihre" Turmuhr plötzlich eine Stunde vor- oder nachgeht - bis zur offiziellen Zeitumstellung wieder alles stimmt.

Die Mitglieder der Kirchengemeinde wollten sich nun einmal bei ihrem "Uhrenbetreuer" bedanken und haben zusammengelegt, so dass Pfarrer Andreas Breit ihm bei seinem jüngsten Besuch auf dem Turm einen Umschlag überreichen konnte mit ein bisschen "Tankgeld". Zum Turmaufstieg braucht er das zwar nicht, aber sonst recht oft - allein schon um zur Arbeit nach Jerichow zu fahren, wo er im Fachkrankenhaus arbeitet.