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Sonderführung durch die aktuelle Ausstellung beim Cage-Projekt / Künstler setzen sich mit dessen Werk auseinander Zufalls-Fische im Herrenhaus machen Musik

Von Renate Petrahn 22.10.2013, 01:09

Ein Kaktus, der klingt, eine Nadel in einer Partitur - die aktuelle Ausstellung im Herrenhaus des Burchardiklosters ermöglicht einen ganz anderen Zugang zum Künstler John Cage als dessen Musikstück "So langsam wie möglich", das noch mehr als 600 Jahre klingen soll.

Halberstadt l John Cage (fast) für sich allein, wann gibt es das schon? Am Sonntag war es möglich. Die John-Cage-Orgel-Stiftung hatte zu einer Sonderführung durch die aktuelle Ausstellung im Herrenhaus des Burchardiklosters eingeladen, die im Zusammenhang mit dem 13. Klangwechsel noch bis zum 6. November präsentiert wird. Zu den zahlreichen Gästen gehörten Monika Hinz und Udo Mammen. Der am Vorabend einstimmig wieder gewählte Vorsitzende des Fördervereins des Gleimhauses besuchte die Ausstellung mit auswärtigen Teilnehmern der Jahresmitgliederversammlung.

Durch die Ausstellung führte Rainer O. Neugebauer, Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung. Ein Mann, der das Projekt wie kaum ein anderer verkörpert. Seine Begeisterung für Cage wirkte geradezu ansteckend auf seine Gäste, zumal er seine Ausführungen mit allerlei Anekdotischem und Wissenswertem über Cage und seine Freunde unterhaltsam würzte. Zunächst sprach Neugebauer über den 2006 von Sabine Groschup gedrehten künstlerischen Dokumentarfilm über John Cage. Interessant in diesem Zusammenhang die Vorgehensweise der Filmemacherin à la John Cage. Sie überlässt dem Zufall den Ablauf ihres Filmes, sagte Neugebauer. "So wird die Reihenfolge der von der Regisseurin etablierten 89 Szenen des Films (= der 89 Töne der Komposition) per Zufallsoperation bestimmt." Die sogenannte Szenenziehung, so Neugebauer weiter, ersetze den Schnitt und fügt das immer gleiche Filmmaterial in jeweils neue zufällige Reihungen (Variationen) zusammen.

Die den Film begleitende Ausstellung zeigt zum ersten Mal Fotos von Barbara Klemm über das Cage-Projekt. Die langjährige Fotografin der FAZ (Frankfurter Allgemeinen Zeitung), die konsequent in schwarz-weiß fotografiert, hat in einzigartiger Weise das Zeitgeschehen der letzten Jahrzehnte mit der Kamera begleitet, erzählte der Kuratoriumsvorsitzende. Eine retrospektive Werkschau der renommierten Fotografin: "Fotografien 1968 - 2013" wird ab 16. November im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt.

Im zweiten Teil des Rundgangs widmete sich der Kuratoriumsvorsitzende dem "Raum für Cage ... mit Cage". Kurator Georg Weckwerth hatte diesen Ausstellungsplatz der Loftwohnung des Komponisten nachempfunden. Im Mittelpunkt des ebenso eigenwilligen wie interessant gestalteten Raums befindet sich die Plexigramm-Skulptur, die Cage zur Würdigung des großen Konzeptkünstlers und Wegbegleiters Marcel Duchamp geschaffen hat, und die Neugebauer mit besonderer Verve vorstellte.

Die in diesem Raum anzutreffende Auswahl bildnerischer Arbeiten, ergänzt durch Filmprojektion, macht den Facettenreichtum im Schaffen von Cage und der ihm gewidmeten Arbeiten anderer Künstler gut nachvollziehbar. Die Dimension des John-Cage-Orgel-Projektes in Halberstadt ist in der mehrteiligen, einem Notenblatt nachempfundenen Leinwandarbeit von Sabine Groschup: "My ORGAN²/ ASLSP: A work in progress for the next" besonders augenfällig. Die ersten Noten im auf 639 Jahre angelegten Projekt sind bereits gestickt, an der letzten hängt noch die Nadel mit Faden als Hinweis auf zu gestaltende Zukunft.

Und schließlich zeigte Neugebauer am Beispiel des "Klingenden Kaktus", wie man selbst Musik machen kann. Ähnlich überraschende Effekte produzieren die "Zufalls-Fische", die über eine Lichtschranke eine Glocke am Schornstein des Herrenhauses erklingen lassen.

Mit seiner von viel Liebe und Sachverstand geprägten Führung verstand es der Kuratoriumsvorsitzende, seine Gäste sichtlich zu beeindrucken. Diejenigen unter ihnen, die sich noch nicht eingehend mit Cage beschäftigt hatten, erhielten einen detailreichen Überblick über diesen außergewöhnlichen Künstler, der malte, Musik komponierte, sich mit Alltagsgeräuschen befasste - Straßenlärm auch als Musik empfand - und außerdem ein ausgezeichneter Pilzkenner war.

Wer bereits "Cageianer" war, der wurde in seinem Urteil bestätigt.