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Busunglück Anwalt als Katastrophenmanager

14 Tage nach dem tödlichen Busunfall erinnert äußerlich nur noch eine massive Stützkonstruktion an das Unglück in der Harmoniestraße in Halberstadt. Hausbesitzer Manfred Bertram kämpft derweil an vielen Fronten, um die Folgen der Kollision in den Griff zu bekommen. Seine Akte wird täglich dicker.

24.06.2014, 01:31

Halberstadt l Nein, Manfred Bertram verzagt nicht. Im Gegenteil. Der 55-Jährige blättert in der Handakte mit amtlichen Schreiben und handschriftlichen Notizen und berichtet von allerlei Episoden aus den vergangenen zwei Wochen. Im Prinzip - der Blick auf die sortierten Hefter auf dem Schreibtisch macht es deutlich - managt Bertram sein Alltagsgeschäft. Er ist schließlich Rechtsanwalt. Die blaue Akte, die der 55-Jährige vor sich liegen hat, ist freilich eine besondere. Es ist "seine" Akte, es geht um das Eckhaus Spiegelstraße/Harmoniestraße. Abgeheftet sind darin Korrespondenzen und Notizen, die mit dem tragischen Unfall am 10. Juni zu tun haben. An jenem Dienstagmorgen war ein Linienbus, dessen Fahrer wohl einen Herzinfarkt erlitten hatte, in Bertrams Haus gerast. Der Fahrer starb, sechs Fahrgäste wurden verletzt.

Warten auf Gutachten

Seither hat sich die Erde weitergedreht. Nachdem Fachleute des Technischen Hilfswerkes (THW) das schwer beschädigte Gebäude professionell abgestützt und die akute Einstutzgefahr gebannt haben, sitzt Bertram wieder in seinem Büro und versucht, alle weiteren Schritte zu koordinieren. "Dreh- und Angelpunkt ist das Experten-Gutachten, um Klarheit über die Zukunft des Hauses zu bekommen", sagt der 55-Jährige. Der Sachverständige sei bereits dagewesen, seine mündliche Prognose, wonach das Fachwerkhaus zu retten ist, klinge erst einmal gut. Allein: Schwarz auf Weiß hat Bertram dies noch nicht.

"Klar ist nur, dass es wohl der Fachwerkskonstruktion zu verdanken ist, dass das vor 1900 gebaute Haus überhaupt noch steht", erzählt Rechtsanwalt Bertram, der das Gebäude zusammen mit einem weiteren Eigentümer besitzt. Ein modernes Haus hätte die Kollision mit dem tonnenschweren Bus wohl nicht überstanden.

Der Bus der Harzer Verkehrsbetriebe (HVB) hatte sich nach der mehrere hundert Meter langen Irrfahrt durch die Harmoniestraße in eine Hausecke gebohrt. Die Schäden sind immens. Risse ziehen sich bis zum Dach durch das Mauerwerk, über die Reparaturkosten kann Manfred Bertram bislang nur spekulieren: "Der Gutachter schätzt sie auf 70 000 bis 100 000 Euro."

Zahlen, die die Spanne deutlich machen. Und als Rechtsanwalt weiß Bertram nur zu gut: Auch wenn, wie in diesem Fall, die Unglücksursache und damit die Haftung unstrittig sind - gerungen wird am Ende oftmals doch. Meist über die Höhe der Entschädigungen.

Mit den HVB ist Bertram längst im Gespräch. "Ich hoffe, dass wir schnell vorankommen und alles gut klären können." Gemeint sind damit vor allem die Kosten und Rechnungen, die nun auf Manfred Bertram zukommen. Angefangen beim Statiker, der am Unfalltag die Stützarbeiten des THW begleitete und sie schließlich abnahm, über die Rechnungen für Absperrungen und Schilder bis hin zu den Kosten für den aufwändigen THW-Einsatz.

Was auf den ersten Blick verwunderlich anmutet, schließlich hat Bertram am Unfall selbst keine Aktie. Auf den zweiten Blick erschließt sich aber die Logik: Weil alle Rettungsarbeiten und Hilfseinsätze an Bertrams Haus festzumachen sind, ist er fast immer der Adressat für Auflagen und Rechnungen.

Am Ende wohl auch für die THW-Rechnung. Wie hoch die ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Mit Blick auf die vielen Helfer, die stundenlang schufteten, und das Material dürfte einiges zusammenkommen. Franziska Kalbitz vom THW-Ortsverband Quedlinburg versichert zwar: "Wir versuchen immer, die Kosten so niedrig wie möglich anzusetzen." Bei Sprit und Material sollte das möglich sein - bei den Lohnausfall-Zahlungen für die Arbeitgeber der THW-Helfer haben die THW-Leute indes keinen Spielraum.

"Wir rechnen gegenüber der Feuerwehr Halberstadt ab, weil die uns ja angefordert hatte", sagt Franziska Kalbitz. "Anschließend wird die Rechnung wohl direkt zu mir durchgereicht", vermutet Manfred Bertram. Und er würde sie gleich an die HVB weiterreichen und hoffen, nicht finanziell in Vorleistung gehen zu müssen.

Über die Kooperation mit den HVB und deren Hilfe kann Bertram bislang nicht klagen. Er kämpft beispielsweise seit Tagen darum, mit dem Haus endlich wieder ans Gasnetz angeschlossen zu werden. Das Problem steckt im Detail: Während Strom und Wasser schon am Abend des Unglückstags wieder zugeschaltet wurden, fordern die Stadtwerke beim Gas eine spezielle Dichtheitsprüfung von einer zertifizierten Firma, bevor sie das Ventil aufdrehen.

Unterstützung von HVB

"Bei dieser Suche war ich bislang erfolglos - entweder wollten oder konnten die Firmen nicht", berichtet Bertram. Wie es der Zufall so will, klingelt just in diesem Moment das Telefon - eine HVB-Mitarbeiterin vermittelt dem 55-Jährigen eine Firma in Wernigerode.

Ob das die Lösung ist, bleibt abzuwarten. Dabei sei das Problem akut, wirft Bertram schmunzelnd ein: "Heizen ist jetzt zwar nicht das Thema, aber bei allen Abnehmern im Haus gibt es seit 14 Tagen kein warmes Wasser. Ich selbst dusche als Nutzer einer Wohnung auch nur mit kaltem Wasser." Als Rechtsanwalt kennt Bertram Konsequenzen wie Mietminderungen und weiß nur zu gut, dass genau das die Probleme sind, aus denen sich bei der Regulierung ein handfester Streit entwickeln kann.

Manfred Bertram wäre aber nicht Manfred Bertram, ginge er nicht grundsätzlich positiv an die Sache ran. "Wird schon werden", sagt der Anwalt, der seit 25 Jahren im Geschäft ist. "Ich bringe ja einige Erfahrung mit - ich glaube, wenn ich die nicht hätte, wäre ich wahrscheinlich längst schon überfordert."