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Ein Besuch auf dem Harsleber Kleintiermarkt zeigt: Kaninchen, Taube und Huhn interessieren vor allem die Älteren Kleine Tiere, große Nachwuchssorgen

Von Jörn Wegner 28.07.2014, 03:35

Auf dem Kleintiermarkt in Harsleben werden Kaninchen, Tauben und Hühner verkauft. Doch die Kleintierzucht findet kaum noch Anhänger. Das Hobby, das die Kriegs- und Nachkriegsgeneration begeisterte, droht auszusterben.

Harsleben l Deutsche Langschnäbelige Tümmler sind die Welt von Waldemar Kapust. Die Tiere zeichnen sich durch eine schlanke Gestalt, einen langen Hals und einen leicht gebogenen Schnabel aus. Seit Jahrzehnten züchtet Kapust die Taubenrasse. Dabei geht es oft um Details: Farbfelder im Gefieder müssen scharf und an der richtigen Stelle voneinander getrennt sein. Die Zahl der Schwungfedern in den jeweiligen Farben muss stimmen, der Schnabel soll die korrekte Form haben und vieles mehr, das das Zuchtideal für Tauben vorschreibt.

Waldemar Kapust hat einige seiner Tiere zum Kleintiermarkt nach Harsleben gebracht. An jedem letzten Sonnabend im Monat stehen Käfige auf dem Vorplatz der Mehrzweckhalle im Ort. "Das sind Fehlfarben", sagt Kapust und zeigt auf zwei seiner Tauben. Das heißt, dass sie hier und da einen Mangel im Gefieder oder eine Unreinheit in der Zeichnung aufweisen. Höchstpreise werden sie damit nicht erzielen, wenn sich überhaupt ein Käufer für die Tauben findet.

Der Markt wird vom Halberstädter Rassegeflügelzuchtverein veranstaltet, dessen Vorsitzender Waldemar Kapust ist. Die langschnäbeligen Tümmler seien eine Besonderheit aus der Region, sagt Kapust. Ihren Ursprung haben sie in der Gegend zwischen Braunschweig und Magdeburg. Halberstadt sei ein Zentrum der Zucht gewesen, und die Halberstädter Geflügelzüchter können auf eine lange Tradition zurückblicken. 1877 wurde der Verein gegründet. Damals war die Geflügel- und Kleintierzucht vor allem Sache der ärmeren Schichten. Die "Rennpferde des kleinen Mannes" wurden oft die Brieftauben genannt. Zusammen mit Kaninchen und Hühnern sorgten sie für Entspannung nach langen Arbeitstagen - und in manchen Zeiten auch für die Versorgung mit Fleisch und Eiern.

Das habe sich heute geändert, sagt Klaus Voigt. Der 80-Jährige ist genauso lange wie Waldemar Kapust bei den Halberstädter Geflügelzüchtern dabei. 1967 sind beide eingetreten. "Heute geht es um Schönheit und Standards", sagt Voigt. Natürlich falle bei den Hühnerzüchtern auch immer wieder Fleisch ab, dann, wenn die Tiere sehr weit von den Rassestandards abweichen.

Ein Blick über den Harsleber Kleintiermarkt zeigt, dass die Geflügelzüchter unter einem Problem leiden: Es herrscht Nachwuchsmangel. Waldemar Kapust ist 78, Klaus Voigt 80 Jahre alt. Damit würden sie etwa dem Altersdurchschnitt im Halberstädter Verein entsprechen, sagt Kapust. 32 Mitglieder zählt dieser, und immer häufiger sind Todesfälle zu verzeichnen.

Zwischen den Ausstellungskäfigen auf dem Platz vor der Mehrzweckhalle sind vor allem ältere Männer zu sehen, dazwischen einige Kinder, die sich vor allem für die Kaninchen, einige Papageien und die große Kiste mit den Meerschweinchen interessieren. Besucher zwischen 20 und 50 Jahren sind deutlich in der Unterzahl. "Die Kinder haben Interesse, aber sobald sie 14, 15 werden, sind sie wieder weg", sagt Klaus Voigt. Sein Vereinsvorsitzender ergänzt, dass es für viele jüngere Menschen nicht mehr möglich ist, ein aufwendiges Hobby wie die Geflügelzucht auszuüben. Viel zu unsicher sei die Lebensplanung geworden. "Die wissen doch meist gar nicht, was morgen passiert", sagt Kapust. Die Anschaffung von teuren Volieren und langlebigen Tieren passe nicht zur eingeforderten beruflichen Flexibilität und den unsicheren Lebensläufen.

Voigt ergänzt, dass es auch sonst immer schwerer werde, Geflügel zu halten. In Neubaugebieten sei es selbst auf dem Dorf mittlerweile üblich, die Haltung von Hühnern zu verbieten. "Und wenn dann doch ein Hahn kräht, dann wird gleich die Polizei gerufen." Klaus Voigt weiß von einer aus der Stadt ins Dorf gezogenen Familie zu berichten, die sich über krähende Hähne beschwert. "Früher sind die Kinder auf dem Land täglich in Kontakt mit Tieren gekommen", sagt Voigt. Das habe auch den Züchtervereinen genutzt.

Für Kapust ist der Nachwuchsmangel am eigenen Leib spürbar. Seit 1982 ist er Vorsitzender des Halberstädter Vereins. Nicht, weil er an dem Amt kleben würde, "es findet sich einfach kein Nachfolger", sagt er.

Kapusts Karriereweg im Mikrokosmos der Geflügelzüchter ist nur für wenige noch nachahmenswert. Dabei spricht der Vereinsvorsitzende mit Stolz über seine Erfolge: In den 1970er-Jahren war er Preisrichter für Tauben, dann Sonderrichter für die Langschnäbeligen, 1984 Vorsitzender des Sonderzuchtverbandes der langschnäbeligen Tauben in der DDR, nach der Wende Vize des gesamtdeutschen Vereins. Es folgte der Meister der sachsen-anhaltischen Rassegeflügelzucht, Gold, Silber und Bronze in diversen Kategorien und 2010 schließlich der Bundesehrenmeister. "Das ist die höchste Auszeichnung, die man erreichen kann", sagt Kapust. Die jüngere Generationen hat sich aus oben genannten Gründen andere Ziele gesteckt.