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Grit Oppermann arbeitet seit dieser Woche als Psychotherapeutin in Osterwieck Ohne Couch und weißen Kittel

Von Mario Heinicke 07.03.2015, 02:27

Osterwieck kann sich glücklich schätzen: In der Altstadt hat sich eine Psychotherapeutin niedergelassen. Fachärzte dieses Gebietes gibt es nicht nur im Harzkreis viel zu wenige.

Osterwieck l Eine Couch für die Patienten steht nicht in der Praxis von Grit Oppermann. "Ich kenne auch kaum Kollegen mit einer Couch", räumt sie mit einer landläufigen Vorstellung auf. Stattdessen drei Sessel. Super bequem. Und eine Ärztin ohne weißen Kittel.

Das war bis zur vorigen Woche noch ganz anders. Da arbeitete Grit Oppermann am Blankenburger Standort des Harzklinikums. Als Oberärztin verantwortete sie einen stationären Bereich der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Ihr Spezialgebiet: die Betreuung alter Menschen. Stichwort Alzheimer. Zehn Jahre war sie zudem ehrenamtliche Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft Sachsen-Anhalt. Auch als das Osterwiecker Stephanusheim einen Wohnbereich für Demenzkranke aufbaute, stand sie zur Seite.

Dass die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie nun ihren weißen Kittel ausgezogen hat, ist auch als symbolischer Schnitt zu sehen. "Ich war jetzt 21 Jahre klinisch tätig: Das ist ungemein anstrengend." Mit ihrer eigenen Praxis verspricht sie sich nun zum Beginn der zweiten Hälfte ihres Berufslebens mehr Zeit für die Familie zu haben. Für die kleinere der beiden Töchter, die am Fallstein-Gymnasium lernt, ebenso für die Eltern in Lüttgenrode. Kurz, sie möchte stressfreier arbeiten. Denn niemand als sie weiß besser, wohin Dauerstress führen kann.

Grit Oppermann wohnt übrigens seit über 25 Jahren in Rhoden. Aufgewachsen ist sie in Halberstadt, wo sie 1987 das Abitur ablegte und danach zum Medizinstudium nach Leipzig ging. "Ich wollte Augenärztin werden", erzählt sie. Motivation war vor allem, später vielleicht ihren sehbehinderten Eltern helfen zu können. Während ihres Studiums schwenkte sie aber um in Richtung Chirurgie und Orthopädie.

Als sie nach dem Studium ab 1994 im Halberstädter Krankenhaus als Arzt im Praktikum, wie die Arztausbildung damals hieß, arbeitete, führte sie auch kleinere Operationen aus. Im Frühjahr 1996 war diese Stelle ausgelaufen, eine Folgestelle auf diesem Fachgebiet erst einige Monate später in Aussicht. Aber es gab eine freie Stelle in der Blankenburger Psychiatrie.

Beim Antrag acht Stellen im Harzkreis unbesetzt

"Beim Studium habe ich dieses Fachgebiet nicht wirklich gemocht" bekennt sie. "Aber in Blankenburg habe ich mich von Anfang an pudelwohl gefühlt." So wurde aus der angehenden Operateurin eine Ärztin, die ihre Patienten eher mit Gesprächen als dem Skalpell zu heilen versucht.

Oppermann weiß, dass Fachärzte fehlen. Als sie vorigen August ihren Antrag bei der Kassenärztlichen Vereinigung für eine Praxis für Psychotherapie stellte, waren für den Landkreis Harz noch acht Stellen unbesetzt. Der Buschfunk reagierte wieder einmal schnell. "Die ersten Patienten haben schon zwei Wochen vor Praxiseröffnung noch in der Klinik angerufen. Da hatte ich noch nicht mal ein Terminbuch." Die Terminwünsche kamen bereits aus dem ganzen Harzkreis.

Grit Oppermann ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, darf in ihrer Praxis aber nur als Psychotherapeutin tätig sein. Denn in der Psychiatrie gebe es derzeit keinen weiteren Ärztebedarf im Landkreis, diese Stellen seien alle besetzt.

Der Unterschied: Der Psychiater beschäftigt sich mehr mit Krankheitsbildern, die klinisch und medikamentös behandelt werden. Zum Beispiel Alzheimer, Schizophrenie oder Suchterkrankungen. Der Psychotherapeut widmet sich mehr der therapeutischen Behandlung, geht in die Gedankenwelt des Patienten. Oppermann hat zum Beispiel die Ausbildung für autogenes Training und Hypnose. "Zur Hypnose benötigt der Patient ein sehr enges Vetrauensverhältnis", erklärt sie.

Dass Psychotherapeuten heute immer mehr Zulauf bekommen, führt sie auf die allgegenwärtigen Lebensumstände zurück: der Druck in Arbeit und Familie, das Immer-erreichbar-sein-Müssen, das Leitbild "jung und dynamisch", der Zeitfaktor.

In der Praxis von Grit Oppermann herrscht jedenfalls kein Stress. Von der städtischen Wohnungsgesellschaft hat sie vormals als Wohnung genutzte Räume angemietet mit Blick auf den idyllischen Schäfers Hof. Es herrscht Wohnzimmeratmosphäre. Und ihren weißen Kittel hat die Ärztin zumindest noch in Griffweite. Sie möchte das Blankenburger Klinikum noch etwas unterstützen. Und ebenso den Rettungsdienst. Von Blankenburg aus wird sie wie in ihren Klinikjahren ab und zu als Notärztin im Einsatz sein.