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Heute letzter Arbeitstag für Osterwiecks Wirtschaftsförderer Erwin Marchlewsky "Auf 50 Gespräche kommt eine Ansiedlung"

Von Mario Heinicke 31.03.2011, 06:26

Seit 17 Jahren ist er Wirtschaftsförderer in Osterwieck, begleitete die Gewerbe- und Industrieansiedlungen. Heute ist im Rathaus der letzte Arbeitstag für Erwin Marchlewsky, der auch elf Jahre Bürgermeister von Schauen war. Er geht in die Freizeitphase der Altersteilzeitregelung.

Osterwieck/Schauen. Die vergangenen Monate hatten es nochmal in sich. Die Vorbereitungen für die Neuvergabe der Energiekonzessionen liegen auf seinem Schreibtisch, waren verbunden mit mehreren Dienstreisen nach Berlin. Die Entscheidung im Stadtrat steht noch aus. Die DSL-Erschließung des Stadtgebietes geht auch noch bis zum Sommer. Ja, eigentlich dürfte Erwin Marchlewsky noch gar nicht in den Ruhestand gehen. Doch die Entscheidung darüber war schon vor über drei Jahren gefallen. "Ich muss erstmal ein bisschen zur Ruhe kommen", freut er sich auf die nächsten Wochen - und ist guter Hoffnung, dass ihm daheim in Schauen nicht die Decke auf den Kopf fällt.

Erwin Marchlewsky hat noch einige Beschäftigungs-Eisen im Feuer. So wie er auch schon als hauptamtlicher Wirtschaftsförderer immer noch ehrenamtliche Aufgaben wahrnahm. Als Bürgermeister, Feuerwehrmann, Kreistagsabgeordneter, Vorsitzender der Teilnehmergemeinschaft der Flurneuordnung, Vorsitzender der Forstbetriebsgemeinschaft, Vorstands- mitglied des Unterhaltungs- verbandes Ilse-Holtemme, Schaubezirksführer für die Gewässer erster und zweiter Ordnung, Vorsitzender des Bürgervereins. Nicht alle Ehrenämter hatte er zur selben Zeit inne, aber einige werden ihn noch in den Ruhestand begleiten.

Wer Erwin Marchlewskys Engagement für Schauen kennt, ihn über die Geschichte des Dorfes und den allen Bewohnern innewohnenden Stolz sprechen hört, dass das Dorf einst ein eigener Staat war - derjenige ahnt nicht, dass Marchlewsky eigentlich mehr oder weniger zufällig zugezogen ist. Das war vor 50 Jahren als Zwölfjähriger. Geboren wurde er 1949 weit weg von Schauen, ja außerhalb Deutschlands - in der Normandie. Die Mutter eine Französin, der Vater ein Halberstädter. Französisch ist für ihn daher keine Fremdsprache. 1951 zogen sie zu den Großeltern nach Mönchhai bei Dingelstedt, wo Erwin aufwuchs, bis der Vater in Schauen als Bürgermeister eingesetzt wurde. Die Bürgermeister wechselten in Schauens DDR-Geschichte häufig. Was dem Dorf nicht gerade gut tat.

In die Lokalpolitik schnupperte Erwin Marchlewsky schon zu DDR-Zeiten als Schauener Gemeinderatsmitglied. Als die Wende kam, trat er in die CDU ein und schrieb vor den ersten freien Kommunalwahlen ein CDU-Wahlprogramm für das Dorf. "Ich war der Meinung, man könnte mehr aus dem Ort machen." Ganz oben stand das Ziel, eine zentrale Trinkwasserleitung zu bekommen. Im Dorf gab es nur Hausbrunnen mit nitrathaltigem Wasser. Das Gülleproblem trug dazu bei. Die CDU ist in Schauen bis heute stark, aus der Mitte des Gemeinderates wurde Marchlewsky 1990 zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt.

"Ich war der Meinung, man könnte mehr aus dem Ort machen"

Eine neue Etappe begann damit in seinem Arbeitsleben. Gelernt hatte er handwerkliche Berufe. Als Klempner und Installateur arbeitete er bei der gleichnamigen Osterwiecker PGH. Er wechselte zur Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV), wurde dort Kraftfahrer und machte nach Feierabend seinen Meister im Hochbau. In dieser Funktion arbeitete er bei der KWV und zuletzt im Deersheimer Geflügelzuchtbetrieb.

Als Schauener Bürgermeister schrieb Marchlewsky erstmal an Bundesumweltminister Töpfer, um Fördermittel für Trinkwasser zu bekommen. "Ich hatte doch keine Ahnung, wer wofür zuständig ist." Der Bundesminister leitete den Hilferuf an den zuständigen Kollegen nach Magdeburg weiter, und 1991 konnte in Anwesenheit von Landesminister Rauls der Bau beginnen.

Den selbstbewussten Schauenern gelang 1992 ein Coup, den ihnen einige Osterwiecker lange übel nahmen. Dabei hatten die Stadtväter selbst Schuld. Weil die alteingesessene Bäckerei Siemer in Osterwieck aus allen Nähten platzte und die Stadt kein Baugrundstück zur Verfügung stellen konnte, klopfte der Konditormeister im Schauener Bürgermeisterbüro an. Anfang 1994 nahm die Großbäckerei ihre Produktion auf. Für das Dorf ein Sechser im Lotto. Nicht nur wegen der Gewerbesteuer, sondern vor allem wegen der vielen Arbeitsplätze.

Diese Ansiedlung war aber nicht der Grund, dass Erwin Marchlewsky im Sommer 1994 Wirtschaftsförderer im Osterwiecker Rathaus wurde. Schauen hatte sich der freiwilligen Gründung der Verwaltungsgemeinschaft entzogen und wurde erst per Gesetz Osterwieck zugeordnet. "Wir hätten diesen Schritt ruhig schon vorher gehen sollen", sagt er heute. "Aber das weiß man vorher nicht." Jedenfalls waren im Sommer alle Amtsleiter-Posten im Rathaus schon an Vertreter der anderen Gemeinden vergeben. Marchlewsky blieb "nur" die Wirtschaftsförderung. Zu dem Zeitpunkt lag das Gewerbegebiet Lüttgenröder Straße in den Anfängen, das Industriegebiet bestand schon auf dem Papier. Als erste Ansiedlung begleitete Marchlewsky die Firma Alstab, die aus Schladen nach Osterwieck zog.

Ob die Zahl der Neuansiedlungen bis heute groß oder klein ist, darüber gibt es unterschiedliche Betrachtungsweisen. Jedenfalls kann ein Außenstehender kaum beurteilen, was alles dazugehört, um eine Firma für Osterwieck zu gewinnen. "Auf 50 Gespräche kommt eine Ansiedlung", schätzt der Wirtschaftsförderer. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben Osterwieck kämpfen auch Ilsenburg, Wernigerode und niedersächsische Orte um Neuansiedlungen. Manch Nachfragende hatten keine Chance, Fördermittel zu bekommen - und verzichteten. Und es gab auch diejenigen, die "erstmal auf den Busch klopften" und dann leise verschwanden.

Mitunter musste sich Marchlewsky mit der Kritik auseinandersetzen, dass die bestehenden Betriebe vernachlässigt wurden. Er will den Vorwurf nicht vom Tisch wischen. "Grundsätzlich ist jeder Arbeitsplatz wichtig. Aber man muss auch Prioritäten setzen."

Als Wirtschaftsförderer war Erwin Marchlewsky in die Planungen und den Bau der Arsenfabrik eingebunden, was Mitte 2000 die Stadt entzweit hatte. "Ich war das Vorhaben mit viel Euphorie angegangen", blickt er zurück. Dass viele Einwohner Bedenken gegen das Vorhaben hatten, sei für ihn nachvollziehbar gewesen. Nicht aber, dass die Bürgerinitiative den Zahlen und Werten, die die Behörden ja auch kontrollierten, misstraute. "Das war eine bittere Erfahrung." Die daraus entstandenen zwei Jahre Verzug seien mitverantwortlich für die Insolvenz gewesen.

Mit Peter Eisemann konnte Erwin Marchlewsky in den vergangenen zwei Monaten schon seinen Nachfolger einarbeiten. Er wird nun die künftigen Gewerbeansiedlungen begleiten. Dazu gehört als nächstes ein Solarpark im Industriegebiet, der bis zum Sommer stehen soll.

"Jeder Arbeitsplatz ist wichtig. Aber man muss auch Prioritäten setzen"

Eisemann wird sich in seiner Tätigkeit mehr um Stadtmarketing und Tourismus kümmern. So wie auch für Marchlewsky das Aufgabenfeld umfangreicher als die reine Wirtschaftsförderung war. Der Öffentliche Personennahverkehr, der Stadtwald, die Bewirtschaftung der Gewässer, der Wertstoffhof - das waren nur einige der weiteren Gebiete des Wirtschaftsförderers.

Ab morgen ist das alles für Erwin Marchlewsky also Erinnerung. Vom Schreibtisch wird er sicher wieder mehr ins Handwerkliche wechseln, auf dem eigenen Grundstück oder den Grundstücken von drei seiner Kinder, die in Schauen wohnen, mit Hand anlegen. Und er wird sich sicher über das Dorfbild, an dessen Erneuerung er wesentlichen Anteil hat, freuen. Zweimal wurde Schauen als schönstes Dorf im Landkreis ausgezeichnet. Schon wieder Erinnerungen an seine Amtsjahre. "Auf diesen Titel sind alle Schauener stolz gewesen."