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Vor 25 Jahren flüchteten zwei Sowjetsoldaten über die Grenze bei Veltheim in den Westen Plötzlich klingelten zwei Gestalten an der Tür

Von Bernd-Uwe Meyer 03.12.2011, 04:23

Es geschah vor 25 Jahren, am zweiten Advent 1986. Durch das Große Bruch flüchteten zwei Sowjetsoldaten in den Westen. Plötzlich klingelte es an einer Haustür im niedersächsischen Roklum.

Roklum/Veltheim l Als wäre es gestern gewesen, erinnert sich Familie Miehe in Roklum noch genau an den kalten, zweiten Adventssonntag 1986, als in aller Frühe kurz vor sieben Uhr zwei beschmutzte und frierende Gestalten an ihrer Haustür klingelten. "Ich habe einen Schreck bekommen", sagt Detlef Miehe, der damals eilig seine Eltern rief. Die Unbekannten baten in kurzen englischen Sätzen um Hilfe. "Beide zitterten und froren. Sie hatten Angst", ist Hanna Miehe unvergessen geblieben.

Die Roklumer bewirteten die Besucher mit einem reichhaltigen Frühstück. Alle im Hause Miehe vermuteten sofort, dass die ängstlichen Männer aus der DDR geflohen sein könnten. Sohn Detlef rief über die Notrufnummer die Polizei an.

"Ich habe beide Soldaten noch am Sonntagmorgen bei der Polizei in Wolfenbüttel befragt. Einer sprach etwas englisch. Es waren Balten, die sich in ihrer Truppe wegen ihrer Herkunft drangsaliert fühlten", berichtete Bernd Kahnert, der damals Kommandeur beim Bundesgrenzschutz war. In Roklum wollte Kahnert weitere Einzelheiten über den Fluchtvorgang erfahren. "Weil es sich um einen ganz besonderen Fluchtfall handelte, den andere Dienststellen ungestört auswerten sollten, bat ich Familie Miehe um Verschwiegenheit."

Doch das Ereignis sprach sich schnell herum. Bernd Kahnert und das Ehepaar Miehe wissen noch genau, dass die Grenzgänger kurz darauf in einer Magazinsendung des westdeutschen Fernsehens interviewt wurden. Hanna Miehe: "Am Montag riefen Journalisten an. Wir haben keine Auskunft erteilt." Überregionale Zeitungen und "Bild" berichteten im Dezember 1986 und Anfang 1987 über diese Flucht.

Demnach sind Petar und Tauno am 5. Dezember 1986 aus einer Kaserne in der DDR nach dem Abendappell über den Kasernenzaun Richtung Leipzig geflohen. Unterwegs sollen beide einen roten Lada entwendet haben. Nach einer langen Fahrt hätten sie das Grenzgebiet bei Hessen erreicht und mit Hilfe von Isolatoren den Grenzzaun im Großen Bruch überwunden. An Grenzsoldaten seien beide tief geduckt vorbeigerobbt. Nachdem sie starr vor Kälte erschöpft am zweiten Zaun heruntergefallen waren, liefen sie eine kleine Anhöhe hinauf. Am Ortsschild "Roklum Landkreis Wolfenbüttel" hätten die beiden Balten erkannt, dass sie sich im Westen befinden. Nach der damaligen Aussage der Geflüchteten könnten sie die Grenze zwischen Hessendamm, Veltheim und Roklum überwunden haben. Es halten sich Gerüchte, dass ein ehemaliger Grenzer, der aus Deersheim stammt, beide Sowjetsoldaten beobachtete, selbst Angst gehabt und über diesen Vorfall lange geschwiegen haben soll.

Warum klingelten die Flüchtlinge ausgerechnet bei Miehes? Ihr Haus war am frühen Adventsmorgen schon erleuchtet, weil die Kinder Katrin und Detlef wegen ihres geplanten Badeland-Ausflugs mit der Schützenjugend am Frühstückstisch saßen.

Die beiden Abiturienten Tauno und Petar wollten übrigens in die USA auswandern. "Es wäre toll, wenn wir noch einmal etwas von den Flüchtlingen hören würden", wünscht sich der heute 78-jährige Hans-Georg Miehe.