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  7. Richter entscheiden über neun zusätzliche Windräder

Über das Für und Wider der Erweiterung des Parks für Energieanlagen zwischen Rätzlingen, Lockstedt und Bösdorf Richter entscheiden über neun zusätzliche Windräder

Von Anett Roisch 17.02.2014, 02:29

Neun Windräder stehen bereits zwischen Rätzlingen, Bösdorf und Lockstedt. Neun weitere Windkraftanlagen sind beantragt. Die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz wurde 2011 aus naturschutzfachlichen Gründen verwehrt. Die Entscheidung liegt jetzt bei den Richtern des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg.

Rätzlingen l Sie sind nicht zu übersehen, die riesigen Flügel der neun Windkraftanlagen, die sich zwischen Rätzlingen, Lockstedt und Bösdorf im Wind drehen. Bereits vor über fünf Jahren wurden die neun bestehenden Anlagen für Naturwind errichtet. Neun weitere Windräder plant die Windpark GmbH Co. Rätzlingen KG, hinter der der größte europäische Windanlagenhersteller, Enercon aus Aurich, steht. Nun möchte Enercon im Westen, Nordosten und zwischen den vorhandenen Windrädern neun 2,3-Megawatt-Anlagen mit 98 Metern Nabenhöhe und einem Rotordurchmesser von 71 Metern bauen. Die Flur- stücke seien per Nutzungs- vertrag gesichert.

Mit 1000 Meter Abstand zu den benachbarten Orten wären alle Grenzwerte eingehalten. Die höchste Lärmbelastung an einem Wohnhaus am Rand von Rätzlingen läge bei 39,4 Dezibel, die größtmög- liche Schattenwurfbelastung würde bei 27 Stunden im Jahr liegen.

Das Landesverwaltungsamt Halle verwehrte im Juli 2011 die Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz aus naturschutzfachlichen Gründen. Die Genehmigung wurde wegen unzureichender Ermittlung der Auswirkungen in Bezug auf ein benachbartes EU-Vogelschutzgebiet versagt. Grund dafür ist der Drömling. Das Urteil wurde mit der Nähe zum faktischen Vogelschutzgebiet Drömling als Zugrastgebiet für Goldregenpfeifer, Gänse, Kiebitze und Kraniche und als Brutgebiet unter anderem für Wiesenweihe und Weißstorch begründet.

Dabei bezieht sich das Gericht auf Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten und auf Hinweise des Niedersächsischen Landkreistages bei der Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen vom Oktober 2011.

Diese Festlegungen sollten entsprechend eines Erlasses des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt bei der Festlegung von Untersuchungsräumen auch im Land Sachsen-Anhalt berücksichtigt werden. Zu Schlafplätzen von Kranichen, Schwänen und Gänsen sollte danach bei Beständen über einen Prozent der Individuen einer biogeografischen Population ein Abstand von mindestens 3000 Meter eingehalten werden.

Hinzu komme die besondere Lage des Vorhabensgebiets zwischen dem im Norden gelegenen "Drömling" und der Spetzaue im Süden als Teil des Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebietes Spetze und Krummbek im Ohre-Aller-Hügelland.

Enercon hat Klage eingereicht. Diese wurde vom Verwaltungsgericht Magdeburg im August 2013 abgewiesen. Inzwischen hat Enercon Berufung eingelegt. "Die Berufung wurde zugelassen. Das heißt, es kann zu einer mündlichen Verhandlung kommen. Es kann aber auch sein, dass die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichten. Dann gibt es nur eine schriftliche Entscheidung. Das wird allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen", weiß Claudia Blaurock, Richterin am Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.

"Die Zulassung einer Berufung beweist die Wichtigkeit des Urteils für das ganze Land Sachsen-Anhalt und somit auch für das laufende Verfahren zum Windpark Wegenstedt"

Helmut Mewes, Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Windpark Wegenstedt

"Alle Argumente gegen die Errichtung dieser Windräder gelten auch für den geplanten Windpark Wegenstedt. Die Zulassung einer Berufung beweist die Wichtigkeit des Urteils für das ganze Land Sachsen-Anhalt und somit auch für das laufende Verfahren zum Windpark Wegenstedt", sagte Helmut Mewes, Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Windpark Wegenstedt. Klagen von Naturschutzverbänden seien deshalb folgerichtig.

"Union und SPD sind sich einig, dass auch die Mindestabstände zwischen Wohngebieten und Windrädern im Baugesetz zum Schutz der Bevölkerung neu geregelt werden müssen. In diesem Zusammenhang verweisen sie auf die Empfehlung der Länder Sachsen und Bayern im Bundesrat: Richtschnur ist das Zehnfache der Höhe eines Windrades", ergänzte Mewes. Das würde für den Windpark Wegenstedt einen Abstand von 1500 Meter erfordern. "Geplant ist aber nur ein Abstand von 1000 Meter. Bereits vor Jahren war bekannt, dass auch andere Länder einen höheren Mindestabstand festgelegt haben", erklärt Mewes.

"Wir von Enercon sind zuversichtlich, dass die beantragte Genehmigung zum Bau des Windparks erteilt wird", erklärt Enercon-Pressesprecher Felix Rehwald. Aus der Sicht des Windkraftunternehmens wurden alle naturschutzrechtlichen Belange berücksichtigt. "Das gilt auch im Hinblick auf die Kartierung der relevanten Vogelarten, was ja der Grund für die gerichtliche Auseinandersetzung war. Es wurde 2,5 Jahre ohne negativen Befund kartiert. Das Landesverwaltungsamt bestand jedoch erstmalig auf drei Jahre Kartierungsdauer - ohne zu berücksichtigen, dass in unmittelbarer Nähe zuvor bereits Anlagen genehmigt und errichtet wurden. Und das mit nur einem Jahr Kartierung", ergänzt Rehwald. Enercon sei daher optimistisch, was die Erfolgschancen des Berufungsverfahrens anbelangt. "Mit der Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es die Berufung nicht für unbegründet ansieht", ergänzt er

Das sieht Rätzlingens Ortsbürgermeister Wilhelm Behrens (parteilos) anders: "Wir haben in Rätzlingen genügend Windräder. Außerdem gibt es bei uns eine Biogasanlage und den Solarpark. Jetzt reicht es hin."