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Enercon möchte neun weitere Energieanlagen errichten Rätzlinger befürchten, Windräder werden zu nah am Ort gebaut

Von Anett Roisch 28.02.2014, 02:13

Windenergie finden die meisten Menschen eigentlich gut - solange die riesigen Türme samt Rotoren nicht vor der eigenen Haustür stehen. Doch nicht nur optisch haben viele ein Problem mit Windparks: Anwohner in Rätzlingen klagen, dass der Mindestabstand zu gering und der Lärm zu groß seien.

Rätzlingen l "Der geforderte 1000-Meter-Abstand von Windkraftanlagen wird bei einem Windrad, das bereits steht, unterschritten. Es sind 938 Meter. Das sollte überprüft werden. Aber ich habe dazu keine neuen Informationen vom Bauamt der Stadt", sagte Peter Fäsche, Bewohner der Everinger Straße in Rätzlingen, bei der jüngsten Sitzung des Ortschaftsrates in Rätzlingen.

Neun Windräder stehen zwischen Rätzlingen, Bösdorf und Lockstedt. Seit 2007 sind zehn - später nur noch neun - weitere Windkraftanlagen von der Windpark GmbH Co. Rätzlingen KG, hinter der der Windanlagenhersteller Enercon aus Aurich steht, beantragt. Die Genehmigung für die Erweiterung des Windparks nach Bundesimmissionsschutzgesetz wurde im Juli 2011 aus naturschutzfachlichen Gründen verwehrt. Die Entscheidung liegt jetzt bei den Richtern des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg.

"Die Hauptleidtragenden der ganzen Misere sind wir - die Bewohner der Everinger Straße, des Gehrendorfer Weges, der Eickendorfer Straße und auch der Dorfmitte. Mein Grundstück liegt direkt am Windpark. Die Räder sind laut. In den Richtlinien der anderen Bundesländer beträgt der Mindestabstand 1500 Meter", erklärte Fäsche und zeigte auf einen ganzen Ordner mit Briefverkehr.

"Die Windgeräusche sind unangenehm. Gerade sonntags hört man die Geräusche sogar in geschlossenen Räumen", beschrieb Marcel Blume, Nachbar der Familie Fäsche. Auch das sogenannte Licht-Hacker-Prinzip (Licht-Schatten-Wirkung) wäre störend. "Wenn die Sonne abends in der Höhe des Windrades ist, schlägt das Licht Kreise im Zimmer", schilderte Blume.

"Wenn ich mir jetzt den neuen Bebauungsplan ansehe, stehen noch zwei weitere Windräder in diesem kritischen Bereich. Die Windräder kommen immer dichter ran", sagte Fäsche und zeigte auf einen Plan aus dem Jahr 2008.

"Die Richtlinien - der Abstand der Windräder zu unseren Grundstücken und Häusern - werden nicht eingehalten. Ich habe nichts gegen erneuerbare Energien, aber bitte nur dort, wo sie niemanden stören. Die Lärmbelästigung betrifft ja auch die Kinder der Tagesstätte, die angrenzt", schimpfte Blume.

"Umweltschonende Energie - das muss sein, aber in Rätzlingen haben wir mit der Biogasanlage und dem Photovoltaikpark schon viel für die Energiepolitik getan"

Peter Fäsche, Bewohner in Rätzlingen

Auf eine Unterschriftensammlung verwies Fäsche. Vor der Errichtung der ersten Windräder hatte er Unterschriften von 36 betroffenen Familien zusammengetragen. "Wer arbeitet, der braucht auch mal Erholung. Umweltschonende Energie - das muss sein, aber in Rätzlingen haben wir mit der Biogasanlage und dem Photovoltaikpark schon viel für die Energiepolitik getan. Ich kann nur hoffen, dass die Interessen der Bürger und des Umweltschutzes eingehalten werden", so Fäsche.

"Der zweite Bauabschnitt wurde vom Landesverwaltungsamt abgelehnt", erklärte Rätzlingens Bürgermeister Wilhelm Behrens (parteilos).Die Genehmigung wurde wegen unzureichender Ermittlung der Auswirkungen in Bezug auf ein benachbartes EU-Vogelschutzgebiet versagt. Grund dafür ist der Drömling.

Enercon hat Klage eingereicht. Diese wurde vom Verwaltungsgericht Magdeburg im August 2013 abgewiesen. Inzwischen hat Enercon Berufung eingelegt. Die Berufung wurde zugelassen. Ein Jahr könne es dauern, bis eine Entscheidung fällt. "Es wurden alle naturschutzrechtlichen Belange berücksichtigt", erklärte Enercon-Pressesprecher Felix Rehwald.

"Wir - der Rätzlinger Ortschaftsrat - haben schon des Öfteren gesagt, dass wir keine weiteren Windräder mehr haben wollen. Aber wir müssen abwarten, was nun passiert", so Behrens.

Uwe Dietz, Bauamtsleiter der Stadt Oebisfelde-Weferlingen, informierte über einen Schriftverkehr mit dem Landkreis Börde. Darin stehe, dass die Windkraftanlagen entsprechend der Genehmigung des Landesverwaltungamtes vom 29. November 2006 errichtet worden seien. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass innerhalb des Genehmigungsverfahrens auch die Überprüfung bezüglich der einzuhaltenden Abstände zur Wohnbebauung vorgenommen wurde.

Dies bestätigte auch Eckhard Groß, Leitender Planer der Regionalen Planungsgemeinschaft Magdeburg. Für die Nutzung der Windenergie habe die Regionalversammlung der Planungsgemeinschaft Abstandskriterien beschlossen. Eine dieser Kriterien sei, dass zu dörflichen und städtischen Siedlungen der Abstand 1000Meter betragen soll. "Der Regionalplan wird im Maßstab 1:100000 erstellt. In diesem Maßstab und mit den entsprechenden Planzeichen kommt es zu Ungenauigkeiten. Ein Millimeter auf dem Plan entspricht 100 Meter in der Realität", erklärte Groß.

Vor diesem Hintergrund könne es durchaus möglich sein, dass der Abstand der Anlage von der Wohnbebauung den Wert von 1000 Meter in geringem Umfang unterschreitet. Ist eine Gebietsgrenze nicht durch natürliche Gegebenheiten wie Graben, Baumreihe oder ähnliches gegeben, habe sich bei dem für Regionale Entwicklungspläne geltenden Maßstab eine Toleranz von 100 Meter in der Praxis durchgesetzt. Generelle Abstandsregelungen im Bund oder im Land Sachsen-Anhalt, die durch Gesetz oder Rechtsverordnung festgesetzt worden sind, gäbe es nicht. Die Anlagenzulassung richte sich demnach nach den zulässigen Werten. Der 1000-Meter-Abstand zur Wohnbebauung sei eine Selbstbindung der Regionalplanung für die Ausweisung der entsprechenden Gebiete.

"Selbst wenn wir eine minimale Unterschreitung gehabt hätten, ist die Genehmigung rechtskräftig"

Hubert Weinrich, Sachgebietsleiter Immissionsschutz im Landkreis Börde

Auf Nachfrage hat sich Hubert Weinrich, Leiter des Sachgebietes Immissionsschutz im Fachdienst Natur und Umwelt des Landkreises Börde, die Akten zum Rätzlinger Windpark noch einmal angesehen. "Wir sind mit unserem Computerprogramm, mit dem man Entfernungen messen kann, auf 1080 Meter gekommen. Das deckt sich etwa mit den Werten, die die Planungsgesellschaft aufgestellt hatte. Selbst wenn wir eine minimale Unterschreitung gehabt hätten, ist die Genehmigung rechtskräftig. Es ist damals auch niemand gegen den Bescheid vorgegangen", erklärte Weinrich.

Im Hinblick auf die neuen geplanten Windkraftanlagen und wegen des laufenden Gerichtsverfahrens möchte sich der Landkreis Börde nicht äußern. "Es handelt sich um eine rechtsanhängige Angelegenheit. Das ist Sache des Landesverwaltungsamtes", erklärte der Leiter des Sachgebietes Immissionsschutz.