1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Ingeborg Heidenreich entführt Zuhörer mit Kanalgeschichten in die Schifferkirche

Wieglitzer wollen Gotteshaus sanieren und für Reisende zu einem Ort des Krafttankens machen Ingeborg Heidenreich entführt Zuhörer mit Kanalgeschichten in die Schifferkirche

Von Anett Roisch 31.03.2014, 03:20

Geschichten nach eigenen Erlebnissen und wahren Begebenheiten, ausgeschmückt mit einer Portion Fantasie, hat Ingeborg Heidenreich im Wieglitzer Gotteshaus präsentiert. Die Pastorin hat das Projekt, aus dem Gotteshaus eine Schifferkirche am Kanal werden zu lassen, in ihren Werken schon vollbracht.

Wieglitz l Ingeborg Heidenreich ist nicht nur eine Pastorin im aktiven Ruhestand, sondern auch leidenschaftlich gern eine Autorin und Dichterin. Mit Geschichten und gereimten Versen, die sich um den Kanal drehen, unterhält sie in der Wieglitzer Kirche ihr Publikum. Das passt wunderbar ins Konzept, denn die Wieglitzer Christen haben eine Vision. Sie wollen ihr kleines Gotteshaus sanieren und nach der Verschönerung als Schifferkirche eröffnen.

Inspiriert von diesen Plänen reist die Pastorin, die seit kurzem im aktiven Ruhestand ist, mit ihren Zuhörern in die Vergangenheit. In der ersten Geschichte schreibt sie über Fritz, der seinem Vater erzählt, dass Wieglitz eine Schifferkirche bekommt. Ungläubig geht der Vater zum Dorflehrer, der bestätigt, dass der Kanal gebaut werde und deshalb eine Schifferkirche nötig sei. Auch Wieglitzer packen beim Kanalbau mit an. Als Fritzchen dann den Arbeitern am Ufer zusieht, trifft er auf den Maler Heinrich Uffrecht. Der Künstler erzählt dem Jungen, dass er Haldensleben bald verlassen muss, weil seine Frau Jüdin sei und er deshalb aus der Kammer der Kunstschaffenden ausgestoßen werde. "Kommt doch zu uns nach Wieglitz. Wir schützen euch in unserer Schifferkirche", liest Ingeborg Heidenreich vor. Uffrecht hat 1934 wirklich ein Bild vom Kanalbau bei Wieglitz gemalt. Dieses Ölgemälde können Besucher des Haldensleber Museums noch heute in der Ausstellung über die Künstlerfamilie Uffrecht bewundern.

In einer anderen Geschichte geht es bei einem Spaziergang am Kanalufer um Düfte, in der auch Bäcker Ahrendt, der mit frisch gebackenen Prillicken den Leuten den Alltag versüßt, eine Rolle spielt. Ursel Heinhaupt spielt in der nächsten Erzählung beim Fest an der Maibude im Wald auf ihrem Schifferklavier. Und so finden sich einige der Anwesenden in den Vorlesestücken wieder. Spannend wird es, als eine Begebenheit über die Fähre am Kanal bei Bülstringen wieder lebendig wird. "Es war in einer eisigen Winternacht kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die alte Kanalbrücke war zerstört. Es gab eine Fähre, doch der Fährmann hatte schon Feierabend gemacht, als junge Bülstringer um 4 Uhr nachts vom Tanz in Satuelle kamen", berichtet die Autorin. Ein junger Mann habe sich damals getraut, sich mit einem Seil über den Kanal zu hangeln und die Fähre rüberzuholen. Eine ältere Dame im Publikum kann sich noch an dieses Abenteuer erinnern. Gerade die Frauen seien es gewesen, die damals aus den Trümmern der alten Kanalbrücke eine provisorische Überführung bauten, um so die Verbindung der beiden Teile des Dorfes wieder herzustellen.

Auch von Annerose, die Tochter des Wieglitzer Dorflehrers, ist in einer Geschichte die Rede. Annerose träumt am Ufer des Kanals von Afrika. Sie fragt einen Schiffer, ob er sie mit auf große Reise nehme. Im wahren Leben ist Annerose Bicknäse als erwachsene Frau tatsächlich als Missionarin in den Kongo gereist. Von der Zukunft erzählt Ingeborg Heidenreich in ihrer letzten Geschichte. Per Drahtesel radelt ein Pärchen am Kanal entlang und macht eine Pause in der Wieglitzer Schifferkirche. Dort finden sie ein stilles Plätzchen sowie Kaffee und Kekse, um unter dem schlichten Kreuz neue Kraft zu tanken.

Groß ist die Hoffnung der Wieglitzer, dass es bald Fördermittel vom Amt für Landwirtschaft-, Flurneuordnung und Forsten zur Sanierung gibt und so die Pläne für die Schifferkirche verwirklicht werden.

Tosenden Beifall und ein Geschenk bekommt die Geschichtenerzählerin von Astrid Leischwitz vom Vorstand der Kirchengemeinde. "Ich habe mit ganz vielen Dorfbewohnern erzählt, historisches Material und eigene Erfahrungen verarbeitet und alles noch etwas ausgeschmückt", beschreibt die Pastorin, die als Hobbyautorin zur Schreibrunde der Stadt- und Kreisbibliothek Haldensleben gehört. "Entstanden sind die Geschichten erst vor wenigen Tagen, als Angelika Huchel vom Kirchenrat meine Frau eingeladen hatte, etwas vorzulesen", verrät Pfarrer Hans Heidenreich. Ingeborg Heidenreichs Geschichtenbuch ist dick. Locker könnte sie deshalb noch einen weiteren Abend füllen.