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Bürger fordern schärfere Kontrollen für die Ausbringung von Gülle auf Wiesen und Feldern Zeitbombe tickt im Grundwasser

Von Anett Roisch 30.05.2014, 03:16

"Auf den Äckern landet noch immer zu viel Gülle": Besorgte Bewohner der Gemeinde Calvörde befürchten, dass eine intensive Landwirtschaft die Qualität des Grundwassers stark beeinträchtigen wird. Sie fordern von den Verantwortlichen, schärfere Kontrollen durchzuführen.

Zobbenitz l Die Gülle ist nicht nur eine geruchsintensive Begleiterscheinung der Viehzucht, sondern sie wird zum Umweltfluch, befürchten Bürger. Die Gülle wird auf Wiesen und Feldern in der Region Klüden, Zobbenitz und Dorst in großen Mengen ausgebracht. Dagegen wollen Heinrich Aderholz aus Zobbenitz, Thomas Lange aus Wegenstedt und Erwin Schoof aus Klüden etwas tun. Sie fordern bessere Kontrollen durch die Umweltämter, schärfere Sanktionen und ehrliche Nährstoffbilanzen jedes Landwirts. Ein Kataster, in dem genau aufgeführt wird, welche Menge Gülle in welcher Konzentration aufteilt wird, wäre dringend nötig, sagen sie.

Aderholz berichtet von seinen Beobachtungen: "Die Schiffe mit der Gülle und die ganze Technik kommen aus Winsen an der Luhe." Er zeigt Fotos, die zeigen, wie die Gülle vom Schiff in Tanklaster gepumpt und auf die Äcker gefahren wird. "Die Gülle wird gar nicht eingearbeitet. Sie kommt einfach nur auf die Flächen. Das hat früher kein Bauer so gemacht", weiß Aderholz.

Die Bundesregierung hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie dazu verpflichtet, die Stickstoffüberschüsse zu senken. Doch die Realität sieht anders aus. "Das Umweltamt kontrolliert nicht, wie viel Gülle auf welche Fläche kommt. Das ist kein Ackerland mehr, sondern ein Entsorgungsgebiet", ärgert sich Lange.

"Es sind meist die holländischen Unternehmer, die die Gülle auf den Flächen verteilen. Irgendwann sind die Holländer wieder weg. Doch der verseuchte Boden bleibt", blickt Schoof voraus. "Bei einer Messung bei Dorst haben Manfred Franke, Bewohner von Dorst, und ich festgestellt, dass die Nitratbelastung im oberflächennahen Grundwasser jetzt schon um mehr als das doppelte höher ist als die übliche Nitratbelastung", schildert Lange.

Die Folgen der viel zu hohen Nitratbelastung würden erst die nachfolgenden Generationen zu spüren bekommen. "Das ist ja ein Kreislauf vom Grundwasser bis zum Brunnenwasser, das die Tiere trinken. Die Giftstoffe sind dann im Fleisch, das dann wieder die Menschen krank macht", beschreibt Schoof.

"Unsere Düngemittelverordnung muss überarbeitet werden. Eine Bedüngung von Getreideflächen kann demnach bis an die Häuser gehen", weiß Aderholz. Die Gülle würde jetzt nicht mehr nur im Frühjahr, sondern fast das ganze Jahr über verteilt werden. Und nicht nur die Gülle der heimischen Landwirte, sondern auch aus Niedersachsen werden tonnenweise Gülle und Gärreste herangekarrt. Bereits jede fünfte Messstelle in Sachsen-Anhalt weist nach Auskunft des Gewässerkundlichen Landesdienstes überhöhte Nitrat-Werte aus. "Bei Uthmöden weisen die Wasser-Messstellen einen um mehr als das siebenfache überschrittenen Grenzwert aus. Ich muss später meinem Kind plausibel begründen können, weshalb ich seine Lebensgrundlage nicht besser habe schützen können!", so Lange.

"Die Lebensqualität hat sich durch den Verkehrslärm der Mais- und Gülletransporte sowie durch die Geruchsbelästigung enorm verschlechtert."

Heinrich Aderholz, Zobbenitz

Auf die Natur würde keine Rücksicht mehr genommen. Zum Beispiel Feldlerchen würden überhaupt nicht mehr auf den Äckern zu sehen sein. "Die Vögel kommen nicht mehr, weil sie keine Würmer im stiefmütterlich behandelten Boden finden", schildert Aderholz. "Die Lebensqualität hat sich durch den Verkehrslärm der Mais- und Gülletransporte sowie durch die Geruchsbelästigung enorm verschlechtert", schimpft der Zobbenitzer. Seiner Ehefrau und Hebamme Lieselotte Aderholz fällt zum Thema ein Zitat ein: "Wir erben die Erde nicht von unseren Vorfahren, wir leihen sie von unseren Kindern".

Dieter Torka, Leiter vom Fachdienst Natur und Umwelt im Landkreis Börde, kann die Bedenken der Bürger verstehen. "Tatsache ist, dass die Belastung des Grundwassers teilweise besorgniserregend ist. Aber wir leben in einer intensiv landwirtschaftlich genutzten Region. Die Ursachen liegen nicht unbedingt nur in der Gülleausführung der Gegenwart, sondern gehen bis ins 19. Jahrhundert und in die DDR-Zeit zurück", sagt der Amtschef.

Auf die Frage, ob die Transporte vom Kanal bei Bülstringen auf die Lkw genehmigt seien, antwortet er: "Der Transport vom Hafen zum Zwischenlager oder zur Ausbringung ist nicht genehmigungspflichtig." Außerdem habe es seit dem August 2013 keine Anlieferung von Gärresten an den Häfen der Umschlags- und Handelsgesellschaft Haldensleben (UHH) gegeben. "2013 hat es wegen der Verladung vom Schiff auf die Lkw eine Anhörung gegeben. Die UHH hat uns versichert, dass so eine Verladung an ihren Häfen nicht wieder passiert", erklärt Torka. Ein Verladen von wassergefährdenden Stoffen wäre momentan nicht zulässig.

Auf weitere Anlieferungen per Schiff gäbe es im Umweltamt keine konkreten Hinweise. "Wenn es zur Aufbringung kam, waren es Straßentransporte oder Gülle aus der Region", erklärt Torka.

Ein Kataster gäbe es nicht. "Es gibt für die Landwirte Aufzeichnungspflichten zum Aufbringen von Wirtschaftsdünger. Für jede Lieferung muss aufgezeichnet werden, wann und woher die Gülle oder die Gärreste kommen und wer sie befördert hat. Dokumentiert werden muss, wie hoch die Menge an Phosphor und Stickstoff ist. Und wo die Gülle ausgebracht wird", erläutert Torka. Kontrollieren würde das Amt stichprobenartig. Wichtig sei es, wenn der Verdacht auf eine Überdüngung besteht, dass die Anzeige zeitnah und nicht erst Wochen später erfolgt.

Ideal wäre ein Kataster, das bei den Behörden liegt. "Es gibt derzeit Bestrebungen, so ein Kataster einzuführen. Die Verschärfung der Düngemittelverordnung ist aber Sache des Gesetzgebers", verweist der Umweltamtleiter. "Wir sind natürlich sehr daran interessiert, die Belastung des Grundwassers zurückzufahren. Aber wir können einem Landwirt, der sich an die Verordnung hält, nicht untersagen, die Gülle auszufahren", so Torka.

Die Ausbringung von Gülle ist auch Thema im Umweltausschuss der Gemeinde Calvörde, der am Dienstag, 3. Juni, um 19 Uhr im Bürgerhaus in Calvörde tagt.