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Intensive und dramatische Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg / Junger Familienvater fiel im April 1915 an der Ostfront Otto Wolfien aus Emden schreibt in Briefen Zeitgeschichte

Von Marita Bullmann 04.08.2014, 03:33

Emden l Mit starrem Blick guckt der junge Mann in Uniform vom Buchtitel. "Otto Wolfien Kriegstagebuch 1914/15 Feldpostbriefe an Frau und Kinder" steht darunter. Dr. Harm Bredemeier gibt in diesem Buch an Hand von Briefen, Fotos und anderen Dokumenten einen Einblick in die ersten Kriegsjahre des Ersten Weltkriegs. Otto Wolfien war der Großvater von Bredemeiers Frau Annette.

"Otto Wolfien wurde am 3.Mai 1882 im kleinen Dorf Emden bei Neuhaldensleben (heute Haldensleben) nahe Magdeburg als Sohn des Ackermanns (Bauern) und Hofbesitzers Wilhelm Hermann Otto Wolfien und seiner Frau Mathilde geboren. Er studierte Jura und war bis zu seiner Einberufung im August 1914 als Rechtsanwalt in Magdeburg tätig. Am 30. Oktober 1908 heiratete er die am 29.9.1883 in Hundisburg bei Neuhaldensleben geborene Marie Dorothea Michael, von Beruf ebenfalls Rechtsanwältin, mit der er zwei Kinder hatte - die am 16.4.1910 geborene Susemieke (Susanna Maria) und den am 27.1.1912 geborenen Karl Wilhelm Otto-Heinrich", schreibt Harm Bredemeier im Vorwort, das mit einer Kurzchronik über die Familie Wolfien beginnt, die seit 1439 in Emden, Hauptstraße 16, ansässig war.

Otto Wolfien wurde am 2.August 1914 als Zugführer und 2. Leutnant der 7. Kompanie im 2.Bataillon des 8.Reserve-Infanterie Regiments, 5.Division, 3. Reservekorps, 1.Armee zunächst nach Landsberg an der Warthe eingezogen, schreibt Harm Bredemeier. Anfang August wurde sein Bataillon an die Westfront verlegt. Bei Einsätzen in verschiedenen Kampfgebieten wurde er mehrmals verwundet. Er fiel am 9.April 1915 an der russischen Front durch eine Granate.

"Die Briefe Otto Wolfiens spiegeln den großen Kontrast wieder zwischen der heute nur schwer nachvollziehbaren Begeisterung des August 1914 mit ihren jubelnden Menschenmassen und der Euphorie unserer Soldaten einerseits sowie der zunehmenden Verzweiflung und dem Entsetzen über die erschütternden Erlebnisse in Flandern mit ihren ebenso grauenvollen wie sinnlosen Opfern andererseits. Sie geben aber auch einen Eindruck von den Erlebnissen der Soldaten zwischen ihren Einsätzen, von Bewohnern und Landschaften der besetzten Gebiete, ihren Lebensgewohnheiten und Bedürfnissen", schreibt Harm Bredemeier und ergänzt: "Otto Wolfien schreibt in druckreifen Sätzen bis ins kleinste Detail seine Erlebnisse und Gedanken nieder und berichtet von militärischen Einzelheiten, die ihm im 2.Weltkrieg wohl vor ein Kriegsgericht gebracht hätten."

Detailliert sind die militärischen Einsätze des jungen Familienvaters aufgelistet. Die folgenden Briefe an seine Frau und Kinder sind mit Erläuterungen zur Zeitgeschichte versehen. Schon in seinem fünften Brief, geschrieben am 18.August heißt es: "Schrecklich ist der Krieg, und der Übergang vom Manöverspiel zum Ernst wirkt doch erschütternd."

Im nächsten Brief heißt es: Von Warsage, dem furchtbar verwüsteten Ort, ... zogen wir weiter auf Visé, eine Stadt von 6000 Einwohnern. Hast Du schon einmal einen derartigen Häuserkomplex in Flammen gesehen? Als wir auf der Höhe davon ankamen, brannte alles; aber auch alles. Und in dieses Meer von Rauch und Flammen stiegen wir hinab und über stürzende Balken, halb verschüttete Straßen, Tierkadaver bahnten wir uns den Weg zur Maasbrücke." Hier schreibt er noch vom Kampf Soldat gegen Soldat, dass die Zivilbevölkerung nicht in den Kampf eingreifen darf. Und dennoch würden sich die Zivilisten gegen die Soldaten wehren.

Die Schilderungen werden immer intensiver, was das Leben der Soldaten angeht und die Kämpfe. Sehr liebevoll schreibt er an seine Frau, aber auch an seine Kinder. Sehr anrührend eine Karte an Susemieke, auf der er erzählt, wie ihn der Osterhase gefunden hätte und die Ostereier aus der Heimat abgegeben hätte. "Wenn erst Frieden ist, bringt Dir Vater seinen Fips mit. Vorläufig braucht er ihn noch, um die vielen Mäuschen zu fangen, die nachts durch die Stube und auf dem Tische umherlaufen", schreibt er über seinen Hund. Diese Karte war das letzte Lebenszeichen von Otto Wolfien, er starb am nächsten Tag.

Im Brief des Kommandeurs kann seine Frau später lesen, dass Ihr Gatte ... gestern in treuer Erfüllung seiner Pflicht gegen unser Deutsches Vaterland den Heldentod vor dem Feinde gefunden hat. Er hatte mit seiner Kompanie die Kampfstellung des Regiments besetzt. Dort traf ihn eine russische Granate. Der Tod trat sofort ein, großes Leiden blieb ihm erspart." Er wurde auf dem Soldatenfriedhof in Adamowa Gora bestattet.

Harm Bredemeier hat dieses Buch mit einem einzigartigen Blick in ein viel zu kurzes Menschenleben bereits 2009 herausgegeben. Jetzt, 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, ist es hochaktuell.

Das Buch ist erschienen bei Books on Demand Norderstedt, ISBN 978-3-83708-474-0.