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Ungebrochen großes Interesse aus dem Landkreis Börde Nachgeblättert: Spurensuche im Stasi-Archiv

Von Dirk Halfas 17.01.2015, 01:08

Ungebrochen groß ist die Nachfrage auf Einsicht in die Stasiunterlagen im Landkreis Börde. Aus ihm kamen 2014 über 600 der 5746 Antragseingänge bei der Außenstelle Magdeburg des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU). Seit Beginn der Arbeit der Behörde im Jahr 1992 waren es 218203 Anträge, davon über 20000 aus dem Landkreis Börde.

Haldensleben l "Im Hinblick auf die große Nachfrage merkt man auch, dass die Bürger durch unsere Veranstaltungen angeregt werden, sich mit diesem Thema zu befassen", meint Jörg Stoye, Leiter der BStU-Außenstelle Magdeburg. So gebe es eigene Veranstaltungen über die Staatssicherheit selbst und andere in Kooperation mit Einrichtungen wie der Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Gedenkstätten, bei denen Themenfelder abgearbeitet werden, etwa wie die Stasi in der Wirtschaft, den Betrieben oder in der Grenzregion agiert hat.

Dabei zeige sich, welcher Aufwand von der Stasi betrieben wurde, sich auch mit kleinsten Angelegenheiten zu befassen. "Man muss ja eine Vorstellung davon haben, was einen bei der Einsicht erwarten könnte", sagt Stoye. Er selbst hat zum Beispiel im letzten Jahr in Hötensleben einen Vortrag gehalten, das Gymnasium Wolmirstedt war zu einem Schulprojekt in seinem Haus und mit der Katholischen Arbeiterbewegung Oschersleben fanden eine zweistündige Archivführung und ein Vortrag statt.

Einen "durchschnittlichen Antragsteller" gibt es laut Jörg Stoye nicht. "Die verschiedenen Hintergründe spiegeln sich sowohl vom Alter als auch vom Interessenhintergrund wider", berichtet der BStU-Leiter. "Ich hatte erst kürzlich einen 93-jährigen Herrn, was zeigt dass er sehr lange überlegt hat, sich diesem Thema zu stellen. Gleichzeitig hatten wir vor kurzem den Antrag einer 16-jährigen Schülerin, die über den Lebensweg ihres Großvaters nachfragt, der damals zu den Zwangsausgesiedelten des Grenzgebietes gehörte", sagt Jörg Stoye.

Nachwievor gebe es auch die politisch Verfolgten als Antragsteller und zwar selbst nach dieser langen Zeit. "Das liegt daran, dass diese Menschen, was man als Außenstehender verstehen muss, eine große Scheu haben, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen oder es auch aus Angst verdrängt haben und jetzt erst durch Gespräche oder durch unsere Fachvorträge informiert wurden, dass es eine Behörde gibt, die sich dem Thema annehmen kann und Unterstützung gibt", erklärt Jörg Stoye.

"Ein Großteil der 1989 noch vorhandenen Akten muss nach unserer Einschätzung vernichtet worden sein."

Auch viele sogenannnte "Heimkinder" kamen in den letzten Jahren in seine Behörde. Die Heimeinweisung und Trennung der Kinder von den Eltern und das Auseinanderreißen der Familien aus politischen Gründen sei ein wichtiger Fakt, mit dem sich sein Archiv befasse. Grundsätzlich kann dieses 1,7 Millionen Menschen im ehemaligen Bezirk Magdeburg Auskunft geben.

2013 konnte zu mehr als 70 Prozent der Anfragen Stasimaterial gefunden werden, entweder nur Karteikarten mit knappen Informationen oder Aktenmaterial von drei bis zu 30000 Seiten zu einer Person. Über 9000 laufende Meter Akten gibt es für den Bezirk Magdeburg, davon wurden 2500 als Schnipsel überliefert. Diese stammen zum einen aus den verschiedenen Abteilungen der Stasi, zum anderen aus den Kreisdienststellen.

Bei diesen gibt es allerdings eine Auffälligkeit. "Die Wahrscheinlichkeit ist da, dass man aus der Kreisdienststelle Wolmirstedt relativ wenig findet. Hier existieren nur 17,1 laufende Meter, in Magdeburg sind es zum Beispiel 499, in Oschersleben 280, in Schönebeck 198, in Wanzleben 106 und in Haldensleben 176 laufende Meter Unterlagen. Ein Großteil der 1989 noch vorhandenen Akten muss nach unserer Einschätzung vernichtet worden sein", sagt Jörg Stoye.

Für die Antragstellung in seiner Behörde ist übrigens nur eine Identitätsbescheinigung, also ein Personalausweis, notwenig sowie eine Übersicht der früheren Wohnorte vor 1990. Das Verfahren ist kostenlos und Kopien nach der Akteneinsicht kosten nur wenige Cent. Wenn man einen Antrag als naher Angehöriger zu Verstorbenen oder Vermissten stellt, muss nachgewiesen werden, dass diese Person als solches gilt und dass man mit ihr verwandt war. Eine Antragstellung bei lebenden Verwandten ist nicht möglich, da diese ihr eigener Rechtsträger sind.

"Es gibt auch einen Antrag auf Akteneinsicht als Dritter, wenn Dokumente zur eigenen Person in Akten von anderen, wie etwa Verwandten oder Bekannten abgelegt sind. Man bekommt dann keine Information zu denen, sondern nur zu sich selbst. Wenn man nur eine Vermutung hat, kann man den Antrag auch bei uns stellen. Wenn nichts gefunden wird, gibt es eine schriftliche Information. Ein Antrag muss aber inhaltlich begründet werden", erläutert Stoye.

"Es gibt oft hinterher eine Enttäuschung über Menschen, die einen drangsaliert haben oder dabei mithalfen, aber genauso gibt es Erleichterung, wenn man doch keinen Spitzel in der privaten Umgebung hatte."

Ein normaler Antragsteller bekommt nach circa vier Monaten einen Bescheid, ob sein Name in den Karteikarten, sogenannten Findmitteln, gefunden wurde oder nicht. Sind nur diese Karteikarten aufgefunden worden, werden sie auch gleich mit dem Schreiben nach Hause geschickt. "Wenn es jedoch Aktenmaterial gibt, dauert es derzeit bis zu drei Jahren. Bei Ansprüchen auf Rehabilitation und Wiedergutmachung oder der Anzeige einer schweren Erkrankung versuchen wir die Auskunft innerhalb eines Jahres zu erstellen", erklärt der BStU-Leiter.

In seiner Behörde wird der Antragsteller mit seiner Akte nicht alleine gelassen, sondern von den Mitarbeitern der Außenstelle fachlich betreut. Vor der Einsicht gibt es einige Hinweise, wie das vorgelegte Stasimaterial zu verstehen ist und nach der Einsicht nochmal ein Gespräch, in dem Fragen zum Inhalt der Akten gestellt werden könnten. Stoye weiß einzuschätzen, warum: "Die Menschen sind in der Regel sehr aufgeregt, weil es um ganz private Aspekte des eigenen Lebens geht, die man so noch gar nicht kannte. Es gibt oft hinterher eine Enttäuschung über Menschen, die einen drangsaliert haben oder dabei mithalfen, aber genauso gibt es Erleichterung, wenn man doch keinen Spitzel in der privaten Umgebung hatte."