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Verbandsgemeinde-Bürgermeister blickt auf ein katastrophales und emotionales Jahr im Elbe-Havel-Land zurück Witt: Die Katastrophe ist längst nicht bewältigt

14.01.2014, 01:21

Ein Jahr, das in den Chroniken der Dörfer im Elbe-Havel-Land einen besonderen Stellenwert hat, ist zu Ende. Auf die vom Fischbecker Deichbruch geprägten Ereignisse und die Pläne für 2014 blickt Verbandsgemeinde-Bürgermeister Bernd Witt im Volksstimme-Gespräch mit Anke Schleusner-Reinfeldt.

Volksstimme: Mit welchen drei passenden Worten beschreiben Sie das Jahr 2013?

Bernd Witt: Emotional, katastrophal und prägend. Was wir hier mit dem Fischbecker Deichbruch erlebt haben, ist und bleibt hoffentlich einmalig. Über unsere Region ist viel Leid geschwappt. Und die Natur hat uns gezeigt, dass sie die Stärkere ist. Denn Katastrophen sind nicht planbar, deshalb ist auch nicht alles ganz reibungslos gelaufen. Aber alle haben ihr Bestes gegeben, um die Situation zu meistern. Neben dem Deichbruch als großem Thema gab es auch noch die Schulentwicklungsplanung der Verbandsgemeinde für die nächsten fünf Jahre, die sehr intensiv und emotional geführt wurde.

Volksstimme: Ein halbes Jahr nach der Katastrophe kehrt bei vielen langsam wieder Normalität ein, aber etliche Hausbesitzer sind immer noch nicht zurück in den eigenen vier Wänden oder stehen nach dem Abriss vor dem Nichts ...

Witt: Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Im kommunalen Bereich fangen wir gerade erst mit dem Wiederaufbau an, bislang fanden lediglich Sicherungsmaßnahmen statt. Im privaten Bereich sind wir inzwischen Gott sei Dank ein Stück weiter, aber die Situation ist längst nicht zufriedenstellend. Nur die Hälfte der Flutopfer konnte Weihnachten wie gewohnt in der Stube feiern. Erschreckend ist, wie viele große Schäden gerade erst in den letzten Wochen aufgetreten sind. Eine Familie aus Kabelitz beispielsweise, die mit der Sanierung schon ganz gut vorangekommen war, muss ihr Heim nun abreißen. Deshalb kann ich allen Hausbesitzern im Flutgebiet nur raten, die Bausubstanz genau im Auge zu behalten und nach Rissen und Setzungserscheinungen zu schauen. Vermehrt treten jetzt dort Schäden auf, wo man sie nicht vermutet hatte.

Volksstimme: Einige Einwohner sind weggezogen und auch die Sterberate soll in den Wochen während und kurz nach der Flut höher als gewöhnlich gewesen sein?

Witt: Im Juni/Juli sind doppelt so viele Menschen gestorben wie gewöhnlich. Das zeigt, wie groß die physische und psychische Belastung gerade bei den Menschen der älteren Generation war. Die befürchtete ganz große Wegzugswelle ist glücklicherweise nicht eingetreten. Dennoch sind einige Bürger weggezogen, die im Elbe-Havel-Land eigentlich alt werden wollten.

Volksstimme: Die Spendenbereitschaft aus ganz Deutschland war groß und der Bund hat ein Förderprogramm auferlegt, das die kommunalen Schäden zu 100 Prozent und die privaten Schäden bei Nichtversicherten zu 80 Prozent ersetzt - sind Sie damit zufrieden?

Witt: Ja, die Spendenaktion und die Hilfsbereitschaft aus ganz Deutschland ist überwältigend. Und das Programm zum Wiederaufbau ist einmalig, auch wenn die Umsetzung auf einem anderen Blatt steht. Die Kommunen bleiben nicht auf ihren Schäden sitzen. Selbst einen zehnprozentigen Eigenanteil hätten sie nicht aufbringen können. Von den 80 Millionen Euro wären das immerhin noch acht Millionen Euro gewesen.

Für den privaten Bereich müsste die Umsetzung der Förderung einfacher vonstatten gehen. Leider zeigt sich in vielen Fällen die deutsche Bürokratie wieder von ihrer besten Seite. Vom Versprochenen "gleich, sofort und unbürokratisch" kann keine Rede sein. Die Investitionsbank war sich ihrer riesengroßen Aufgabe wohl nicht bewusst.

Volksstimme: Wann beginnen im kommunalen Bereich die Sanierungen?

Witt: Es geht jetzt los. Das Kabelitzer Dorfgemeinschaftshaus wird bereits entkernt, an verschiedenen Stellen sind bereits Heizungen repariert. Hauptsächlich haben Planungen stattgefunden, für die die Verbandsgemeinde und auch die Kommunen in Vorleistung gegangen sind. Vieles ist in Vorbereitung, wir müssen die Form wahren. Leider sind vom Land noch keine Mittel zum Wiederaufbau im kommunalen Bereich geflossen.

Volksstimme: Warum dauert das bei so wichtigen Dingen wie der Verbindungsstraße zwischen Schönhausen und dem Damm so lange?

Witt: Dazu wird derzeit die Planung erarbeitet, aber auch hier gibt es noch keine Bewilligung. Den Brückenbau und die Straße wollen wir in diesem Jahr abschließen. Das trifft auch auf andere Wege und Brücken zu, die für die Bauern von Bedeutung sind.

Volksstimme: Bis wann soll auch der letzte Punkt auf der Wiederaufbauliste abgearbeitet sein?

Witt: Eigentlich bis 2016. Aber bei der Vielzahl der Aufgaben wird es wohl schwer, das zu schaffen. Eine Verlängerung ist unausweichlich. Immerhin sind rund 200 Projekte abzuarbeiten.

Volksstimme: Wie bewältigt das Bauamt die umfassenden Arbeiten, die ja zusätzlich geleistet werden müssen?

Witt: Ein erhöhter Arbeitszeiteinsatz ist nötig und es sind bereits zahlreiche Überstunden angefallen. Aber das war nötig. Zusätzlich Unterstützung gab es durch die Einstellung eines Mitarbeiters. Das ist auf jeden Fall schon mal eine Erleichterung. Aber die langjährige Bauamtsleiterin Christine Maczutajtis geht in wenigen Tagen in den Ruhestand, so dass wieder eine wichtige Person fehlt. Wir werden sehen, wie wir das alles bewältigen. Es werden soviel wie möglich an Aufgaben extern vergeben, anders ist die Bewältigung der anstehenden Maßnahmen nicht möglich. Nicht nur auf das Bauamt, sondern auf die gesamte Verwaltung kommt in der nächsten Zeit eine große Mehrbelastung zu.

Volksstimme: Die Grundschulschließungen waren 2013 ein viel diskutiertes Thema. Von den Schollenern gab es immer wieder den Vorwurf, dass sich die Verbandsgemeinde nicht genügend für den Erhalt und für Ausnahmeregelungen eingesetzt hat.

Witt: Diesem Vorwurf muss ich klar widersprechen. Wir haben uns in anderthalb Jahren intensiv mit allen Schulen auseinandergesetzt. Niemandem fiel die Entscheidung leicht. Und Schollene steht auch nicht hinten an, im Gegenteil: Auf der Prioritätenliste steht die Gemeinde mit dem Umbau der Schule zum Kindergarten ganz vorn.

Volksstimme: Zum weiteren Zusammenwachsen der Verbandsgemeinde hat all das nicht beigetragen. Was sagen Sie zu den Vorwürfen, dass Schönhausen immer im Mittelpunkt steht?

Witt: Schönhausen ist nun mal der größte Ort mit den meisten Einwohnern, so dass auch viel passiert. Das umfassende Gewerbe, das beispielsweise in Schollene und Kamern fehlt, beschert Steuereinnahmen, die wiederum Investitionen möglich machen. Was hier in den letzten Jahren passiert ist, hat die Gemeinde allein finanziert - ob den Straßenbau, die Einrichtung des Bismarckmuseums, die Sanierung und Herrichtung des Bürgerzentrums, das ging finanziell nicht zu Lasten der Gemeinschaft. Jede Gemeinde hat ihre Schwerpunkte anders gesetzt: Die eine Kommune legte Augenmerk auf die Straßen und Dorfgemeinschaftshäuser, die andere auf Gerätehaus und Kindergarten. Einige haben auch sehr sparsam investiert, um sich nicht zu verschulden. Jede der sechs Mitgliedsgemeinden hat für mich den gleichen Stellenwert, keine wird besser oder schlechter behandelt.

Volksstimme: Unabhängig von den Flutsanierungen: In welche kommunale Projekte investiert die Verbandsgemeinde 2014 und in den Folgejahren?

Bernd Witt: Das sind wie gesagt der Kindergarten in Schollene und auch das ,Spatzennest\' in Schönhausen.

Volksstimme: Nicht zu vergessen die neuen Feuerwehrautos und Gerätehäuser?

Witt: Das stimmt wohl! Die Feuerwehranalyse hat deutlich gezeigt, dass wir hier investieren müssen, um den Anforderungen gerecht zu werden. Hier haben wir eine Hausaufgabe, an der wir in den nächsten vier, fünf Jahren arbeiten müssen. Welchen Stellenwert die Feuerwehren haben, hat das Jahr 2013 mehr als deutlich gezeigt. Bei der Unterstützung und Ausstattung dürfen wir nicht nachlassen.

Volksstimme: Reichen die eigenen Finanzen aus oder müssen Kredite aufgenommen werden?

Witt: Sie reichen auf keinen Fall. Wir werden nicht nur alle Fördertöpfe anzapfen, sondern kommen auch nicht um die Aufnahme von Krediten, die momentan ja sehr günstig sind, herum. Es werden hoffentlich auch Programme auferlegt, die mit unseren Plänen überein stimmen. Man muss nicht auf Teufel komm raus sparen, sondern das Geld mit Sinn und Verstand ausgeben. Der Investitionsbedarf ist da, wir müssen jetzt handeln! Allein für die Feuerwehren brauchen wir zwei Millionen Euro, dazu noch die beiden Kindergärten - das wird nicht billig.

Volksstimme: Am Bürgerzentrum sollen die Außenanlagen gestaltet werden?

Witt: Ja, aber das ist Sache der Gemeinde Schönhausen, die den Großteil des Gebäudes an die Verbandsgemeinde vermietet hat. Eigentlich sollten die Außenanlagen ja schon 2013 fertiggestellt werden. Dieses Jahr plant die Gemeinde das mit ein, denn bis 2015 - dem für uns alle wichtigen Bismarckjahr - soll alles fertig sein. Der Verwaltungssitz ist nun mal ein wichtiger Anlaufpunkt und auch ein Aushängeschild für die Gäste, die wir erwarten.

Volksstimme: Wie steht es um die finanzielle Ausstattung der sechs Kommunen, von denen bereits vier in Haushaltskonsolidierung sind?

Witt: Vielleicht kommt eine Gemeinde vorzeitig aus der Konsolidierung raus, so dass nur noch drei Kommunen betroffen sind. Aber generell sind alle nicht auf Rosen gebettet. Ein kleinwenig profitieren die Gemeinden vom neuen Finanzausgleichgesetz, weil es geringfügig mehr Zuweisungen vom Land geben wird.

Volksstimme: Inwieweit hilft der Schadensausgleich durch die Deichbruchkatastrophe?

Witt: Wenn wir ehrlich sind: sehr! Die Erneuerung der Kabelitzer Straße in Fischbeck beispielsweise wird nun schneller umgesetzt. Auch der Wiesengrund, die Märsche oder die Breitscheidstraße in Schönhausen wären in den nächsten Jahren wohl nicht erneuert worden. Und die Gemeinde Klietz hätte sich vorläufig die Erneuerung der Straßen in der Seesiedlung auch nicht leisten können. Wenn wir in ein paar Jahren mit allem durch sind, können wir froh sein. Denn die Eigenmittel der Kommunen werden wohl nicht viel mehr werden. Und sie lassen keine großen Sprünge zu.

Volksstimme: Sie haben Ministerpräsident Reiner Haseloff gebeten, die Einführung des doppischen Haushaltes noch für ein Jahr auszusetzen. Warum?

Witt: Wir haben seit der Katastrophe nicht mehr daran weiterarbeiten können. Es ist uns unmöglich, den doppischen Haushalt für 2014, der mit der Bewertung sämtlichen Eigentums verbunden ist, zu erarbeiten. Eine Hals-über-Kopf-Erstellung würde doch gar nichts bringen! Wir brauchen dieses Jahr unbedingt, und selbst damit wird es eng. Ich hoffe, wir stoßen auf offene Ohren beim Land. Bis März soll das Gerüst des Haushaltes stehen und dem Rat zur Beschlussfassung vorgestellt werden. Denn die Zahlen sind ja die Grundlage für die Haushalte der Kommunen, für die dann geplant werden kann.

Volksstimme: Schon nächstes Jahr stehen Bismarcks 200. Geburtstag und auch die Bundesgartenschau an, zu der das Elbe-Havel-Land laut Ihrem Wunsch ja der "Vorgarten" werden soll. Langsam müssten konkrete Pläne geschmiedet werden ...

Witt: Die Zeit rast und durch die Flut sind wir schon in Verzug geraten. Inpunkto Bismarckjahr gibt es mit der Bismarckstiftung und dem Kultusministerium bereits einige Absprachen. Es wird nun allerhöchste Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Viele Dinge sind angeschoben, auch, was das Altmärkische Heimatfest 2015 in Schönhausen betrifft.

Volksstimme: Im Mai stehen die Kommunalwahlen an. Derzeit wird über die Wahlbereiche für den ebenfalls zu wählenden 20-köpfigen Verbandsrat diskutiert. Warum wird nicht in den Abschnitten wie vor fünf Jahren gewählt?

Witt: Weil sich die Voraussetzungen in den zurückliegenden fünf Jahren verändert haben. Die gesetzlichen Vorgaben können nicht mehr eingehalten werden. Es gibt verschiedene Varianten zu den Wahlbereichen, über die wir auf der Sitzung des Verbandsrates am 29. Januar in Klietz abstimmen werden.

Volksstimme: Wann werden die Bürgermeister neu gewählt?

Witt: Bis auf Klaus Beck in Kamern im kommenden Jahr.

Volksstimme: Noch ein Satz zum Schluss?

Witt: Ich wünsche allen Bürgern ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2014. Gleichzeitig möchte ich mich bei allen für ihre Hilfe bei der Bewältigung der Folgen der Katastrophe bedanken.