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Der Fischbecker Bürgermeister Bodo Ladwig blickt im Volksstimme-Gespräch auf das Katastrophenjahr zurück Ohne die Hilfe und Solidarität stände das Dorf längst noch nicht so aufgeräumt da

14.03.2014, 01:21

Ein mit keinem anderen Jahr vergleichbares 2013 liegt hinter den Gemeinden im Elbe-Havel-Land. Die Bürgermeister blicken im Gespräch mit Anke Schleusner-Reinfeldt zurück auf die letzten zwölf Monate und reden über die Pläne für das neue Jahr. Heute: Bodo Ladwig aus Fischbeck.

Volksstimme: Fischbeck hat 2013 Schlagzeilen gemacht, die ganz Deutschland bewegten. Ahnten Sie, wie schlecht es um den Deich steht?

Bodo Ladwig: Nein! Die Ernsthaftigkeit der Situation wurde mir Sonntagmittag klar, als der Riss auf dem Deich immer größer wurde und die Evakuierung des Dorfes begann. Zuvor hatten wir ja schon die Nacht durch versucht, den Deich zu stabilisieren. Wenn ich heute daran denke, wie gefährlich es für die vielen zivilen Helfer war und was hätte passieren können... Als ich am Sonntag gegen 23 Uhr nach Hause gefahren bin, habe ich mich gefragt, ob der Deich morgen noch steht. Die Hoffnung stirbt bekanntermaßen ja zuletzt. Alle Helfer haben bis zum Schluss um den Deich gekämpft. Für diesen selbstlosen Einsatz gebührt allen meine Hochachtung und Dankbarkeit.

Volksstimme: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als sie den nächtlichen Anruf erhielten, dass die Katastrophe tatsächlich eingetreten ist?

Bodo Ladwig: Ich war ja kurz vorm Einschlafen, denn die Nacht zuvor hatte ich schon kein Auge zugemacht. Zum Glück war meine Frau mit den Kindern schon in Sicherheit. Als ich dann hörte, dass der Deich tatsächlich gebrochen ist, hab ich mich rasch angezogen, Rasenmäher und Fräse noch hochgestellt und bin dann los zu den etwas höhergelegenen Ställen. Man wusste ja nicht, wie schnell das Wasser kommt.

Volksstimme: Als Angestellter der Agrargenossenschaft haben Sie die folgenden Tage auf der Anlage am Ortsrand verbracht und dazu beigetragen, die Kühe zu retten. Wie oft waren Sie der Verzweiflung nahe?

Bodo Ladwig: Dazu war gar keine Zeit, wir mussten ja den Betrieb aufrecht erhalten und uns mit sieben Mann um die 1100 Rinder, davon 600 Milchkühe, kümmern. Aber es war schon zum Verzweifeln, wenn wir nur noch fünf Liter Diesel für das Notstromaggregat hatten und noch kein Boot mit Nachschub in Sicht war. Wir sind unserer Feuerwehr und allen, die uns versorgten, unheimlich dankbar dafür. Der Katastrophenstab hat es leider nicht geschafft, uns zu helfen. Wir hatten, als die Brücke noch passierbar war, mitgeteilt, dass wir dringend Kraftstoff brauchen. Und sicher hätte es auch eine Möglichkeit gegeben, einen großen Kanister per Hubschrauber abzusetzen. Aber da führte kein Weg rein.

Neben der Arbeit hatte ich immer im Hinterkopf, wie es wohl im Dorf aussieht. Als ich nach vier Tagen das erste Mal im Feuerwehr-Boot mitgefahren bin, stand alles unter Wasser und sah so friedlich aus. Der große Schrecken kam, als sich das Wasser langsam zurückzog und offenbarte, was es angerichtet hat. Da stand man erst einmal hilflos da und wusste gar nicht, wo man anfangen soll.

Volksstimme: Sie sind wie viele andere Betroffene auch bis an die Grenzen der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit gegangen. Ist Ihrer Gemeinde die Hilfe zuteil geworden, die man von übergeordneten Stellen bei so einer Katastrophe erwarten kann?

Bodo Ladwig: An die Grenzen der Belastbarkeit sind wir wirklich gelangt. Aber irgendwie musste es ja weitergehen, auch wenn ich stehend hätte einschlafen können. Bei der Verbandsgemeinde, besonders bei Bernd Witt, kann ich mich nur bedanken - sie hat alles Mögliche getan, um uns zu helfen. Vom Katastrophenstab in Stendal haben wir nach drei Wochen auch alles bekommen, worum wir baten. Aber die Zeit davor war man dort auch überfordert. Leider hat man uns hier alleingelassen. Wir hätten hier vor Ort jemanden als Koordinator gebraucht. Beispielsweise bei der Entsorgung der vielen Tierkadaver. Auf unseren eigenen Fischbecker Katastrophenstab konnte ich mich hundertprozentig verlassen. Wir haben uns täglich getroffen, um alles Nötige abzusprechen.

Die gerechte Verteilung der Spenden war nicht einfach.

Volksstimme: Nach der Flut kam die nächste Welle - die der Hilfsbereitschaft. Die Tatkraft und das Geld halfen, das Trauma zu überwinden?

Bodo Ladwig: Das kann man wohl sagen! Dass Tausende Helfer aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland kamen, war einfach sagenhaft! Unser Dorf würde lange nicht so aussehen, hätten wir diese Unterstützung nicht gehabt. Auch die Spenden sind wohl einmalig. Allerdings ist die große Summe bei 152 betroffenen Haushalten und den enormen Schäden auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der dennoch sehr viel weitergeholfen hat. Die gerechte Verteilung war nicht einfach. Und wenn es deshalb mal zu Unstimmigkeiten gekommen ist, ist das auf die Situation zurückzuführen. Viele Betroffene stehen doch heute immer noch neben sich und einige wissen nicht, wie es weitergehen soll.

Volksstimme: Landesminister, Bundesminister und sogar die Kanzlerin kamen nach Fischbeck mit großen Versprechungen. Wie viel davon ist bis heute, acht Monate nach dem Deichbruch, tatsächlich eingetreten?

Bodo Ladwig: Ein heikles Thema. Dass die Bundesregierung acht Milliarden Euro bereitgestellt hat, ist beruhigend. Toll ist auch, dass Nichtversicherte 80 Prozent der Schäden ersetzt bekommen. Aber unbürokratisch ist die Auszahlung nicht - sowohl bei den kommunalen Maßnahmen als auch im privaten Bereich. Ich befürchte, dass das böse Erwachen erst noch kommt, wenn die Maßnahmen abgerechnet werden. Dazu muss es unbedingt regelmäßig Sprechstunden vor Ort geben.

Volksstimme: Die Feuerwehr, die kein Gerätehaus mehr hat und deren Auto durch die zahlreichen Wasserfahrten eigentlich schrottreif ist, ist sicher das größte Sorgenkind?

Bodo Ladwig: Ja, und es ist auch nicht nachvollziehbar, dass wir bis heute keinen Bewilligungsbescheid haben. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich bald etwas rührt. Wir brauchen dringend eine gut funktionierende Feuerwehr.

Volksstimme: Wie viele Fischbecker, Kabelitzer und Wuster konnten noch nicht wieder in ihre Häuser ziehen und wie viele haben für immer ihre Koffer gepackt?

Bodo Ladwig: Das kann ich nicht genau sagen, aber es sind einige. Das erste neue Haus in der Kabelitzer Straße steht, ein zweites ist halbfertig. Es müssen aber auch noch einige abgerissen werden.

Nach einem Jahr werden wir Bilanz über Einhalten der Versprechen ziehen.

Volksstimme: Anfang Juni soll der Jahrestag des Deichbruches mit einer Dankeschönfeier begangen werden?

Bodo Ladwig: Ja, letztes Jahr auf dem Schuttberg war niemandem zum Feiern zumute. Ich könnte mir vorstellen, am 9. Juni zu erinnern und Dankeschön zu sagen. Das müssen wir aber noch im Rat besprechen und eine Kommission bilden, die das vorbereitet. Der Tag ist dann auch Anlass, Bilanz zu ziehen, welche Versprechungen wirklich eingehalten worden sind.

Volksstimme: Die Deichlücke ist verschlossen, die Planung für den Neubau des Stückes zwischen Fischbeck und Jerichow läuft und der Bau soll noch dieses Jahr beginnen. Haben Sie sich das so vorgestellt?

Bodo Ladwig: Ja, da bin ich zufrieden. Allerdings lässt es mit der anfänglich sehr guten Informationspolitik durch den LHW schon wieder etwas nach. Planungen sind schön und gut - sie müssen auch umgesetzt werden. Ich weiß, dass immer noch Eigentumsfragen ungeklärt sind. Das darf jetzt nicht schleifen gelassen werden, der Deich muss sicher werden - nicht nur in Fischbeck, sondern in der gesamten Region!

Volksstimme: Wenn die Häuser, Straßen und Wege eines Tages fertig sind - ist dann alles gut in Fischbeck oder hat die Katastrophe die Menschen verändert?

Bodo Ladwig: Es wird nichts mehr so sein wie vorher, das ist klar. Aber wir haben auch gemerkt, wie gut eine Dorfgemeinschaft funktionieren kann. Dass es auch mal Unfrieden gibt, ist in Anbetracht der nervlichen Anspannung doch völlig normal. Die Schadenbeseitigung wird nicht in ein, zwei Jahren erledigt sein, schließlich haben wir allein im kommunalen Bereich zwölf Millionen Euro Schäden.

Volksstimme: Wie sieht es mit einer deutlich sichtbaren Hochwassermarkierung aus und in welcher Form will Fischbeck an die Katastrophe erinnern?

Bodo Ladwig: Ich kann mir gut vorstellen, neben dem Rinderzuchtmuseum auch eine Erinnerung an die Tage vor und nach dem 10. Juni 2013 zu schaffen. Und eine Markierung vielleicht in Form eines Obelisk sollte auf jeden Fall auch zeigen, wie hoch das Wasser stand. Auch das werden wir im Rat besprechen.

Noch ist Zeit, Fehler in der Schulplanung zu korrigieren

Volksstimme: Ein ganz anderes, auch brisantes Thema: Die Wuster Grundschule soll 2017 schließen. Hätte der Verbandsrat aus Ihrer Sicht eine andere Entscheidung treffen können?

Bodo Ladwig: Schwierig, über Richtig oder Falsch zu urteilen. Vielleicht hat man zu wenig getan, um sich gegen die Entscheidung des Landes zur Wehr zu setzen. In meinen Augen haben Landkreis und Land versagt. Andere Länder machen uns doch vor, dass auch kleine Schule sehr wohl existieren können. Noch ist Zeit, den Fehler in der Schulentwicklungsplanung zu korrigieren.

Volksstimme: Was würde im Fall, dass die Pläne tatsächlich umgesetzt werden, mit dem großen Gebäude passieren?

Bodo Ladwig: Wir wissen doch, wie leerstehende Gebäude nach ein paar Jahren aussehen! Dabei haben wir so viel Geld in die Sanierung gesteckt! Die Sommerschule, die das Objekt ja auch unbedingt braucht, kann es sicher nicht allein tragen. Erst, wenn es soweit ist, machen wir uns Gedanken um mögliche Konzepte.

Volksstimme: Und die Schulküche?

Bodo Ladwig: Dafür gilt das Gleiche! Ich halte nichts von vorauseilendem Gehorsam. Dieses Jahr bekommen wir für die Modernisierung noch Fördermittel. Meiner Meinung nach sollten wir das Vorhaben umsetzen. Das wird der Rat demnächst entscheiden.

Volksstimme: Auch die Senioren haben ihr Domizil auf dem Schulgelände...

Bodo Ladwig: Und da werden sie auch bleiben! Schön, dass es eine so rege Nutzung nun auch durch die Volkshochschule mit einem Malkurs gibt.

Volksstimme: Wann wird der Fischbecker Jugendklub wiedereröffnen?

Bodo Ladwig: Er soll ja raus auf den Sportplatz ziehen. Aber auch dieses Gebäude stand im Flutwasser und muss saniert werden. Entkernt ist es schon.

Volksstimme: Der Windpark wurde um fünf neue, noch größere Räder erweitert. Sie stehen sehr dicht am Dorf und sind weithin sichtbar. Der Preis, den die Anwohner für den nicht gerade schönen Anblick und die Geräuschkulisse zahlen, ist hoch - ist das die finanziellen Einnahmen, die die Gemeinde hat, wert?

Bodo Ladwig: Da kann man geteilter Meinung sein. Auch ich bin nicht begeistert davon. Wenn der Rat damals keinen Bebauungsplan aufgestellt hätte, ständen hier jetzt 40 anstatt 15 Windräder. Bei den jetzt aufgestellten Anlagen sind wir davon ausgegegangen, dass wir die finanzielle Lage der Kommune etwas verbessern. Alles redet von alternativen Energien - dann darf man sich davor auch nicht verschließen.

Volksstimme: Das Haus von Ihnen und Ihrer Frau stand auch im Flutwasser. Ist nach der Sanierung wieder alles beim Alten?

Bodo Ladwig: Zuallererst will ich mich an dieser Stelle bei meiner Frau bedanken, dass sie alles zusammen mit mir durchgestanden hat. Oftmals stand sie allein da, weil ich unterwegs war. Fertig ist zu Hause längst noch nicht alles. Aber drinnen sind die Räume wieder bewohnbar, das Bad ist gerade fertig geworden. Draußen ist noch viel zu tun. Aber so hundertprozentig freuen kann man sich nicht, weil man weiß, dass etliche andere noch nicht soweit sind. Und auch uns steht eine umfangreiche Abrechnung noch bevor...

Volksstimme: Kandidieren Sie wieder als Bürgermeister?

Bodo Ladwig: Für Wust-Fischbeck wird ja im Gegensatz zu den anderen Gemeinden erst 2017 wieder gewählt, weil durch den Zusammenschluss von Fischbeck und Wust 2010 der Bürgermeister gewählt worden war. Am 25. Mai kandidiere ich auf jeden Fall für den Rat der Verbandsgemeinde. Hier sollten von vornherein alle Bürgermeister mitwirken. Denn sie wissen doch am besten, was vor Ort los ist. Es kann nicht sein, dass wir Bürgermeister nur Zuschauer sind, wenn über Angelegenheiten diskutiert wird, die auch unsere Gemeinde betreffen.