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Familienmitglieder des Havelbergers kehrten aus den Weltkriegen schwer verletzt oder nicht zurück Wilfried Köhnke fand Grab des Vaters

Von Wolfgang Masur 22.09.2014, 01:18

2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914-1918) zum 100. Mal. Etwa 40 Staaten weltweit beteiligten sich am Kriegsgeschehen. Über 17 Millionen Menschen kostete er das Leben. Nicht zu Unrecht gilt er als die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts".

Havelberg l Wenn die Menschen in diesen Monaten die weltverändernden Ereignisse vor 100 Jahren ins Gedächtnis rufen, so ist dies auch eine Zeit der ganz persönlichen Erinnerung für Wilfried Köhnke aus Havelberg. Seine Gedanken gehen zurück an die Großeltern und den Vater.

Diese Gedanken bekamen jetzt noch einen Anstoß, denn seine Cousine Gudrun Theis aus Nettelbeck (bei Putlitz) hat ein altes Bild vom Großvater Hermann Köhnke entdeckt. Auf dem Foto ist eine Gruppe junger Soldaten zu sehen.

"Ein lustiges Völkchen in bester Stimmung"

Sie schreibt dazu Folgendes: "Jetzt habe ich dieses Bild gefunden. So viele junge Männer, die in ihrem Leben so vieles bewegen wollten. Familie gründen, Häuser bauen, Berufe ausüben und auch für Volk und Vaterland in den Krieg ziehen. Das Bild zeigt ein lustiges Völkchen in bester Stimmung und Gemeinsamkeit. Ob es im Herzen jedes Einzelnen auch so aussah? Ich kannte nur einen von den zwölf jungen Männern, meinen Großvater Hermann Köhnke, der in der Mitte des Tisches saß, geboren am 1. April 1885, verheiratet 1912. Sein Schicksal hat mich mein ganzes Leben lang belastet. Er ist zwar wieder nach Hause gekommen aus dem Ersten Weltkrieg gegen Frankreich, aber ein Knieschuss in seinem rechten Bein hat ihn sein ganzes Leben lang geschunden. Damit er überhaupt einigermaßen laufen konnte, hat man ein Stück aus dem Knie herausgesägt, damit das Bein ein wenig kürzer war, er es hinterherziehen konnte und es nicht immer zur Seite schwenken musste.

Mit steifem Bein Landarbeit erledigt

Da er auf dem Lande lebte, musste er alle Arbeiten mit diesem steifen Bein bewältigen. Nicht nur das Pflügen, Kartoffelsammeln im Stehen, Mähen - was ja damals noch mit der Sense erledigt wurde -, auch das Dreschen, das noch mit viel Handarbeit verbunden war, hat er mit großem Kraftaufwand erledigen müssen. Außerdem litt er ständig unter Schmerzen, denn seine Wunde unterhalb des Knies eiterte jahrelang.

Kleine Knochenstückchen sind oft aus den wunden Stellen herausgekommen. 1948 wurde er am Schienbein noch einmal operiert. Ein guter Arzt hat es geschafft, die Wunde zu reinigen, das Schienbein hatte danach aber eine tiefe Furche. Mein Großvater redete nicht viel darüber, wir wussten es, er hat viel Schmerzen ausgehalten und war nach der Operation noch stiller geworden.

Dann kam der Zweite Weltkrieg...

Als er in den Krieg ziehen musste, hatte er einen Sohn mit seiner Frau Mariechen. Sie lebten in Neuwerben zwischen Elbe und Havel. Dort hatten sie sich von seinem Treibkahn ein kleines Häuschen angeschafft. Die kleine Wirtschaft hat damals für ein bescheidenes Leben gereicht. Es wurden noch einige Kinder geboren und es hätte alles noch ganz gut ablaufen können, wenn nicht der Zweite Weltkrieg angezettelt worden wäre.

Der erste Sohn musste schon früh wie mein Großvater gegen Frankreich in den Krieg ziehen. 1940 ist er für Volk und Vaterland nicht wieder nach Hause zurückgekehrt. Für ihn wurde ein Nachruf in der Zeitung gedruckt. Ein Bild mit einem Kreuz und seinem Namen haben die Großeltern und die Ehefrau erhalten. Der zweite Sohn wurde später mit noch nicht einmal 20 Jahren auch nach Frankreich eingezogen. 1943 kam er kurz auf Urlaub nach Hause, um später nach Russland versetzt zu werden.

Abschied mit Akkordeonspiel

Obwohl ich damals erst Fünf war, war es für mich schon eine schwere Zeit. Alle wussten, wir werden uns nie wiedersehen. Jeder hat sein Möglichstes getan, um die paar Tage so gut wie möglich zu gestalten und zu erleben. Mein Onkel konnte Akkordeon spielen. Sein Abschied im Flur: "Wo die Nordseewellen ..." (bei uns Elbewellen). Im Februar nach seinem Urlaub kam ein Papierbeutel mit einer blauen Blechtasse und ein paar abgewetzten Kleidungsstücken bei uns an. Das war`s dann. Niemand konnte sagen, wie und wo mein Onkel umgekommen ist.

100 Jahre nach Kriegsbeginn des Ersten Weltkrieges muss auch ich sagen: dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweinen möge; aber auch kein Vater, wie mein Großvater".

"Diese Zeilen von meiner Cousine weckten Erinnerungen, und beim Betrachten der Bilder meines Großvaters musste ich auch an meinen Vater, Richard Köhnke, denken. Ich wurde am 5. Mai 1940 geboren und mein Vater ist am 6. Juni 1940 gefallen", erzählt Wilfried Köhnke. Er erinnert sich an die mühsame Suche nach dem Grab seines Vaters, denn er wollte ja wissen, wo er seine letzte Ruhe gefunden hat.

Partnerstadt half bei der Suche

"Ich hatte herausgefunden, dass mein Vater in Frankreich gefallen war, und begann so, über Havelbergs Partnerstadt Saumur, die Friedhofssuche." Bei einem geplanten Frankreichbesuch, in brütender Hitze, fanden dann die Eheleute Evelin und Wilfried Köhnke, begleitet von ihrem Sohn Patrick, den Ort. Dazu hatte Wilfried Köhnke aber einen alten Lageplan von seiner Mutter, den sie ihm in den 1960er Jahren gab, mit dabei. In einem Geschäft erfuhren sie jedoch, dass der Friedhof vor einigen Jahren umgebettet wurde in einen 35 Kilometer entfernten Ort. Der französischen Sprache nicht mächtig, war das aber schon ein großer Erfolg.

Grabtafel der Familie steht in Nitzow

"Als wir an dem richtigen Friedhof ankamen, waren wir sehr erstaunt, denn ein Fahrzeug mit deutschen Soldaten stand da. Die Soldaten erledigten dort, im Auftrag des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge, eine Grabpflege", berichtet Wilfried Köhnke. Auf einer Bronzetafel am Friedhofsgebäude waren die 12000 Gräber des Friedhofs aufgelistet und in Arealen aufgeteilt. Es stand eine Suche bevor, die sich als nicht so einfach erwies. Schließlich wurde das Grab doch gefunden.

"Unser Sohn war zutiefst gerührt, als wir am Grab seines Opas standen, der im Alter von 27 Jahren gefallen war. Patrick war bei der Grabsuche in Frankreich nämlich auch gerade 27 Jahre alt", so die Köhnkes.

Großvater Hermann ist am 18. April 1963 verstorben. Auf dem Friedhof in Nitzow erinnert eine Grabtafel an die schon verstorbenen Großeltern, Söhne und Töchter der Köhnkes.