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Erster Weltkrieg Der Tod kam mit der Post

In diesem Jahr jährt sich zum 100. Mal der Ausbruch des Ersten
Weltkrieges. Auch an Wulkau ist dieser nicht spurlos vorüber gegangen.
Viele Informationen darüber finden sich unter anderem in der
Schulchronik dieser Zeit.

Von Erika Kügler 24.11.2014, 01:32

Wulkau l "Mit Gott für Kaiser und Vaterland", mit Hurra und dem Versprechen "Weihnachten sind wir wieder zu Hause", zogen auch aus Wulkau die Männer an die Fronten. Es wurde ein Krieg, in dem vor allem die Bevölkerung Schaden trug. Kaum eine Familie, die keinen Toten oder Versehrten zu beklagen hatte.

Es waren Männer im besten Alter, oft Vater und Sohn, die mobil gemacht wurden - insgesamt 139 Namen, die auf der Kirchengedenktafel in Wulkau verzeichnet sind.

Die meisten Namen und ihre Familien sind mir noch bekannt, ich bin mit ihren Enkelkindern aufgewachsen. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg. Alles wollte man am liebsten vergessen, als wäre es nicht geschehen, und so fand man die nebenstehend abgebildete Fototafel auch auf einer Müllkippe. Der Müllplatz der Geschichte aber hat ein Gedächtnis und so sollen auch diese Zeilen mahnend erinnern.

"Die Frauen trugen das Leiden"

Auf unserem, wie auf wohl allen Friedhöfen und Plätzen der Gemeinden - nicht nur in Deutschland - stehen die sogenannten Kriegerdenkmale, die an die Gefallenen erinnern. Nur wenig hat man daraus gelernt - wie die Toten zu ehren und Gleiches zu verhindern. Bis heute ist kein Frieden auf der Erde.

Es ist kein Zufall, dass ich als Frau und Mutter zu diesem Thema nicht schweigen möchte. Schon Clara Zetkin meinte, wenn die Männer töten, so ist es an uns Frauen, für die Erhaltung des Lebens die Stimme zu erheben.

Im damaligen Lebensgefühl jammerte und weinte man nicht, wenn die Männer "zur Ehre" in den Krieg zogen. Ein Beispiel: "Trage das kleine Kreuz, das die Not der Zeit dir auferlegt, um uns alle vor dem furchtbaren, drohenden Kreuz zu bewahren." (Aus "Zehn Gebote für die deutsche Frau".)

Dabei waren es die Frauen, die den Krieg und das Leiden trugen. Die wilhelminische Einstellung der Männer war, den Krieg gewinnen zu wollen für Heimat und Frieden. Nur war aus den vorangegangenen Befreiungskriegen im Ersten Weltkrieg ein Vernichtungskrieg geworden mit Mord und Zerstörung von Heimat in anderen Ländern.

Die Erinnerung an den Krieg beginnt mit der Trauer um die Toten.
Was haben ein Heldenhain und Trauereichen mit dem Tod zu tun?
Der Tod kam per Post an die Hinterbliebenen.
Den Ahnen gab ich für Deutschland - nicht nur Gold für Eisen!

Millionen Kriegsversehrte gab es allein in Deutschland, man gründete die Kriegskrüppelfürsorge und 1919 die Kriegsgräberfürsorge - eine Erinnerungsarbeit mit den benachbarten Staaten zusammen.

Ist fürs Vaterland zu sterben ein heiliges Opfer? Was sind Vaterland, Eichenlaub, Eisernes Kreuz, Erinnerungsmedaillen (Orden) und Verwundetenabzeichen?

"Ich sterbe auch gern den Heldentod"

Ein Schüler schrieb damals in einem Aufsatz: "Wenn ich achtzehn Jahre alt wäre, meldete ich mich als Freiwilliger zur Artillerie (...). Ich würde mich tapfer zeigen und ... mir das Eiserne Kreuz verdienen. Wenn es Gottes Wille ist, sterbe ich auch gern den Heldentod für das Vaterland."

Was ist ein heldenhafter Tod in einem Krieg, wo auch mit Brieftauben die Nachrichten übertragen wurden, Pferde die meisten Transporte bewältigten und sich der Soldat im Schützengraben erstmals gegen maschinellen Einsatz und einem Vernichtungskampf mit Giftgaseinsatz erwehren musste.

Aus Wulkau starb Friedrich Lindemann am 22. August 1914 als erster von 25 Männern und zwei Vermissten, Otto Ludewig erlitt am 31. Dezember 1918 als letzter den Tod.

Die Tafel in der Kirche zu Wulkau weist zu den 27 Kämpfern, die im Krieg blieben, weitere 112 Mitkämpfer aus. Das sind 139 Männer, die aus unserem kleinen Dorf in den Krieg zogen. Ein Krieg, der die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts werden sollte. Und der, als er erst erstmal begonnen hatte, zur nationalen Selbstverteidigung wurde.

"Ach wie leer wurde unser Dörfchen"

Die Männer auf der Bildertafel sind uniformiert abgebildet. Meistens schauen sie ernst in die Kamera, wissend, dass sie Mutter, Frau und Kinder allein auf ihren Höfen und ihren Gewerken lassen.

Neun der Mitkämpfer sind auf dem Bild, die nicht auf der Gedenktafel in der Kirche zu finden sind: G. Lisowski, F. Marthe, A. Massow, F. Massow, O. Massow, O. Päge, F. Roloff, W. Seidenschnur und O. Scharnbeck; somit wären es bereits 148 mobile Männer aus unserem Ort.

Ein sehr individuelles Bild entsteht, wenn ich in die Schulchronik dieser Zeit blicke. Der damalige Lehrer schreibt: "Am 1. August 1914 erhallten die Kriegsposaunen durch unser Vaterland. Wie ein Mann erhob sich ganz Deutschland, um gegen seine Feinde, Russen, Franzosen, Engländer, in den Kampf zu ziehen. Auch in unserem Orte Wulkau atmete alles auf, als endlich nach dem wochenlangen Harren die Mobilmachung die heiß ersehnte Klärung brachte. Schon am 2.August mußten verschiedene Söhne unseres Dorfes zu ihrem Truppenteil eilen. Ach wie leer wurde unser Dörfchen in diesen Tagen!"

Der Lehrer dokumentierte die Kriegsereignisse, und um nun auch allen die Kriegsnachrichten zukommen zu lassen, richtete er in der Schule Leseabende ein, die meisten Zeitungsberichte wurden dabei vorgelesen.

Sein euphorischer Ton änderte sich, als die Nachricht vom ersten Gefallenen das Dorf erreichte. Durch die langen und oft schwierigen Übermittlungswege kam die Nachricht vom Tod des dritten Gefallenen aus unserem Ort wie als Erstgefallener.

Der Lehrer, Herr Hübner, beschrieb den Tod von 18 Gefallenen aus Wulkau, die Nachricht, wann die ersten drei getötet wurden, hat wohl erst nach dem Ende des Krieges die Angehörigen erreicht. Nicht erwähnt wurden in seinen Aufzeichnungen die Soldaten Otto Mertens, gefallen am 1. Oktober 1915, und Wilhelm Malyske, gestorben am 6. Mai 1917. Ebenso nicht der als vermisst aufgeführte Hermann Wille, der auf dem Fotoblatt am 18. Oktober 1918 als gefallen gilt, und Vermisste wie Erich Klostermann und Robert Koschecknick.

"Ein guter Junge war dahin gegangen"

Sehr berührend sind die Schilderungen über die Nachrichten der gefallenen "Kriegshelden" und die schicksalhafte Auswirkung für die Familien. Mit welcher Begeisterung und Opferwilligkeit waren die über zwei Millionen Kriegsfreiwilligen auf das "Feld der Ehre" gezogen! Doch bald, so berichtet der Lehrer, "wurde auch unser Ort von dem Schrecken des Krieges getroffen.

Der einzige Sohn von F. Richter, Friedrich, fiel am 25. Oktober 1914 bei Beauvains. Ein guter Junge war mit ihm dahin gegangen. Nur kurze Zeit nach dem kam die zweite Trauerbotschaft. Am 6. November starb Christopf Ludewig an Typhus im Lazarett zu Bethel, Frankreich. Die sehr schwer geprüften Eltern ließen die Leiche herholen und im Januar wurde der junge Held auf unserem Dorffriedhof in heimatlicher Erde bestattet."

So folgen viele Seiten über vier Jahre, wie die Kriegstoten betrauert werden. Ich zitiere weiteres aus der Schulchronik:

"Eine bittere, schwere Zeit war auch die Zeit für unsere Wulkauer geworden. Das Lachen und Jubeln war verstummt, der bittere Ernst, das große Leid hatten Einzug in unser sonst so fröhliches Dörfchen gehalten, aber auch stille Ergebenheit in Gottes heiligen unerforschten Willen habe ich auf unseren Wegen zu den Trauernden gefunden.

Daß unsere Jungens auch draußen an der Front ihren Mann standen, das beweisen die Auszeichnungen, die verschiedene Wulkauer sich holten.

Kleemann, Scharnbeck und Massow haben das Eiserne Kreuz sich geholt. W. Kuphal das Friedrich-Kreuz von Anhalt und Erich Schulenburg das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse.

Wir sind stolz auf unsere Wulkauer und danken ihnen von Herzen und mit Gebeten für das, was sie draußen stündlich für uns getan haben.

Noch zwei Ritter des Eisernen Kreuzes sind hinzugekommen: Max Henne und Max Schenk.

Mit wieviel heißen Gebeten ist wohl das Jahr 1916 begrüßt worden ,Herr schenke uns den Frieden`."

Über die Opfer, die allein in einer Familie getragen werden mussten, beschreibt der Chronist die "Heldenmutter" Emma Ziemann. "Ihr starben innerhalb dreier Tage 1916 zwei hoffnungsvolle Söhne den Heldentod. Walter Ziemann, ein lieber guter Mensch, der wohl keinen Feind im ganzen Dorf hatte, fiel am 9. März bei Donaumout. Nur zwei Tage vorher, am 7. März, war sein jüngerer Bruder, unser Freiwilliger Fritz Ziemann, den Heldentod gefallen.

Konnte man bei diesem furchtbar grausigen Schicksal Trostworte finden?

Am 14. Juli fiel der Landwirt Hermann Brandt. Er war der älteste Sohn der Witwe Maria Brandt. War der Verlust hart, doppelt hart, da der Verstorbene sehr für seine Mutter gesorgt hatte, so hatte Frau Brandt doch eine Kraft. Ihr Sohn Wilhelm füllte voll und ganz den Platz des Verewigten aus.

So rauschte das Jahr 1916 mit seinem Kriegsgetöse über uns dahin.

Den ersten Friedensschimmer brachte uns das Jahr 1917, den Waffenstillstand mit der Ukraine, dem der mit Rußland folgte. In Gottes Rat war es anders beschlossen.

Das deutsche Volk durfte nicht die Früchte seines Opfermutes, seiner beispielhaften Tapferkeit einheimsen. Ungeheure Opfer erforderten die Schlachten.

"Das alte Reich in Trümmern"

Am 20. April 1918 fiel bei Merville, Frankreich, der Hauser Wilhelm Fromm. Sehr betrauert von seiner jungen Frau und seinen Eltern, die mit ihm das dritte Opfer seit dem furchtbaren Kriege brachten. Zwei Schwiegersöhne waren schon gefallen. Und immer war es nicht genug.

Am 22. Juni starb im Lazarett zu Altona an seiner furchtbaren Verwundung der Unteroffizier Ernst Marthe. Doppelt hart wurden die armen Eltern getroffen, da wenige Tage vorher der jüngste Sohn Fritz an der Diphtherie gestorben war. Die beiden Brüder liegen in einem Grabe auf unserem stillen Dorffriedhofe.

Wilhelm Kuphal, der älteste Sohn des Besitzers K., wurde bei Loissons von einer Granate im Schützengraben in Stücke gerissen, es war am 2. 9. 18.

Dann kam der 9. November! Der Tag der Revolution! Der Kaiser geflüchtet! Ludendorff geflohen. Das alte Reich in Trümmern.

Im Lazarett zu Stendal starb am 31. 12. 18 der Seminarist und Leutnant Otto Ludewig. Ein ganzes Jahr nach seiner schweren Verwundung, ehe der Tod ihn erlöste.

Und als letzter Offizier starb an der Grippe Franz Marthe am 17. 10. 18. Er folgte seinen beiden Brüdern bald in die Ewigkeit. Er ruht in Frankreichs Erde.

1920 ist Butter nur noch das Pfund für 25 Mark zu haben. Für Weizen wurden 300 bis 400 Mark pro Zentner gefordert. Ein Ei kostet 2,50 Mark. Wo soll das hinführen?

Die Not der armen Großstadtkinder schreit zum Himmel. Die Stadt Berlin allein hat ungefähr 400000 unterernährte Kinder.

Um unsere Gefallenen zu ehren, hat die Gemeinde beschlossen, den toten Helden ein Denkmal zu setzen. Die Sammlung ergab bis jetzt 4105 Mark. Ein Familienabend zu Weihnachten brachte eine Summe von 195 Mark.

Am 19. Juni 1921 wurde der Gedenkstein für unsere gefallenen Helden auf dem Friedhofe eingeweiht. Gleichzeitig wurden an diesem Tage unsere neuen gestifteten Glocken ihrer Bestimmung übergeben. An diesem Weiheakte nahm die Schule regen Anteil und verschönerte durch Gesänge die Feier", berichtet der Wulkauer Chronist.