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Havelberger Pioniere stehen im Camp Shaheen ein knappes halbes Jahr afghanischen Soldaten beratend zur Seite Afghanistan: Viele wollen ihr Land voranbringen

Von Andrea Schröder 13.12.2014, 02:17

Ein knappes halbes Jahr haben drei Havelberger Pioniere ihr Wissen an Soldaten der afghanischen Armee ANA weitergegeben. Als Berater waren sie fast täglich in der Pionierschule im Camp Shaheen tätig. Über ihre Erfahrungen berichten sie in einem Gespräch mit der Volksstimme.

Havelberg l Morgens gegen acht Uhr hebt der Hubschrauber im Camp Marmal, dem Feldlager der Bundeswehr im afghanischen Mazar-e Sharif, ab und nimmt Kurs auf das Luftlinie 30 Kilometer entfernte Camp Shaheen. An Bord oft die drei Pioniere des Panzerpionierbataillons 803 Havelberg, die an der Pionierschule als Berater der Ausbilder tätig sind. Ihr Auftrag neigt sich nach fünf Monaten dem Ende entgegen. Mit der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes im Anschluss an ISAF durch die Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission "Resolute Support" zum Januar 2015 werden ihre Nachfolger die Arbeit fortsetzen. Das Mandat des Bundestages läuft bis zum 31. Dezember 2015, die Beratung der Pionierschule ist bis mindestens Mitte des nächsten Jahres geplant.

"Man sollte sich nicht verstellen."

Die Pionierschule im Camp Shaheen, einer Liegenschaft der afghanischen Streitkräfte in Mazar-e Sharif, existiert seit 2009. Sie ist auch auf Initiative der Bundeswehr entstanden. Am Aufbau war die deutsche Pionierschule in Ingolstadt maßgeblich beteiligt. Für ihre Arbeit in allen Pioniertruppenteilen landesweit lernen die afghanischen Soldaten dort ihr Handwerk. Das Trio aus Havelberg berät Schulstab und Ausbilder.

Oberstleutnant Frank, in Havelberg stellvertretender Kommandeur, steht dabei direkt dem Kommandeur der Pionierschule zur Seite. Die Themen reichen von der Organisation der Ausbildung über Weiterentwicklung und Vorschriftenwesen bis zur Ebene der Durchführung von Ausbildungen. Oberleutnant Maik unterstützt den Leiter der afghanischen Ausbilder dabei, den Ausbildungskatalog zu koordinieren, abzustimmen und auszuplanen. Hauptfeldwebel Alexander übernimmt in Sachen Pioniermaschinen die Ausbildung der Ausbilder.

Vertrauen aufzubauen ist das A und O in der Zusammenarbeit mit den afghanischen Soldaten. Deshalb beginnt der Arbeitstag oft bei einer Tasse Tee und der Auswertung der Erfahrungen des zurückliegenden Tages und Gesprächen zu aktuellen Entwicklungen. Mit dem Schulkommandeur Oberst Ahmadullah spricht Oberstleutnant Frank etwa darüber, wo aktuell die Schwerpunkte liegen, wo Beratungs-, wo Koordinierungsleistungen erforderlich sind. Dabei geht es auch um Kontakte zur übergeordneten Führung in der Hauptstadt Kabul, damit sie informiert ist über Projekte und Aktivitäten wie zum Beispiel neue Lehrgänge.

Neben dem kulturellen Verständnis spielen auch persönliche Dinge eine Rolle. "Es läuft hier viel über persönliche Kontakte. Und da ist Vertrauen ein wichtiger Faktor. Man sollte sich nicht verstellen und sehr offen an die Aufgaben herangehen. Dazu gehört, genau zu sagen, welche Ziele man verfolgt und was erreicht werden kann. Wir nehmen unseren Auftrag sehr ernst, wir beraten gern, aber wir nehmen nicht die Arbeit ab", sagt der Oberstleutnant. Hauptfeldwebel Alexander ergänzt: "Die Afghanen sind es inzwischen gewohnt, dass es Wechsel von unserer Seite her gibt. Man wird von seinem Vorgänger vorgestellt. Dennoch ist es wichtig, dass man langsam ins Gespräch kommt und nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt."

"Ein Brief ist viel emotionaler als eine E-Mail."

Gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit bestanden der Schulstab und das Beraterteam eine Feuertaufe: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besuchte am 23. Juli das Camp Shaheen und auch die Pionierschule. Da waren die Havelberger gerade erst zehn Tage im Einsatz. "Das hat zusammengeschweißt", berichtet der Oberstleutnant. Von Vorteil ist, dass der Schulkommandeur fließend englisch spricht und deshalb der Austausch direkt, ohne Sprachmittler, erfolgt.

Die deutschen Soldaten helfen auch dabei, dass die afghanischen Streitkräfte die vielen Liegenschaften der Armee ausbauen oder neue in Dienst nehmen können. Die Fähigkeit, diese zu betreiben, ist in der ANA noch nicht aufgewachsen, weshalb die internationalen Streitkräfte unterstützen und in sogenannten Hausmeistertätigkeiten schulen. Hier steht Oberleutnant Maik koordinierend zur Seite. Von amerikanischer Seite wurde eine zivile Firma beauftragt, Zimmerer, Maurer, Elektriker und Klempner auszubilden.

"Wir koordinieren zwischen den Afghanen und den zivilen Kräften, etwa wenn es um religiöse Hintergründe geht. Fest- und Feiertage zum Beispiel muss man kennen und einordnen können", sagt er und berichtet auch von der rund zweistündigen Mittagspause, die im Camp Shaheen noch bis vor kurzem an der Tagesordnung war. Ohnehin muss in der Mittagspause Zeit sein zum Beten. Doch aufgrund nur eines Wirtschaftsgebäudes standen tausende Soldaten des aus mehreren Kasernen bestehenden Camps des 209. Korps in der Mittagspause Schlange, um ihr Essen zu erhalten.

Das hat sich geändert. Die Pionierschule hat eine neue Liegenschaft mit einem eigenen Wirtschaftsgebäude erhalten, so dass sich die Wartezeiten reduziert haben. Die Schule hat eine Kapazität für rund 800 Lehrgangsteilnehmer. Bis zu 350 sind aktuell da.

Beraten wird auch bei Pionieraufgaben wie Straßenbau und Vermessung. Hauptfeldwebel Alexander, der schon mehrfach in Afghanistan im Einsatz war, begleitete zum Beispiel ein Trainingscamp, in dem die Soldaten befähigt worden sind, Straßen selbst zu bauen. Das wurde im Camp praktiziert, dient aber auch dazu, im zivilen Bereich bei Erdrutschen nach starken Regenfällen, Straßen selbst reparieren zu können.

Seine Erfahrung: "Die afghanischen Streitkräfte sind stets darauf bedacht, sich zu verbessern. Die Ausbildungen haben gute Früchte getragen. Die Jungoffiziere und Jungfeldwebel sind selbständiger geworden. Sie sind wissbegierig, wollen lernen." Im Umgang mit dem von der NATO gestifteten Gerät sind die Anforderungen größer als jene, die die einst im Einsatz gewesenen russischen Pioniermaschinen erforderten. Dafür gab es in Kabul spezielle Lehrgänge. "Die afghanischen Streitkräfte wissen, dass sie mit hochwertigem Gerät arbeiten und sind hoch motiviert", schätzt Oberstleutnant Frank ein.

Mittags fliegen die Havelberger wieder zurück ins Feldlager in MeS. Diverse Büroarbeiten warten dort auf sie. Und Sport. Der gehört zwar zum Dienst dazu, ist aber auch eine gute Möglichkeit, abzuschalten, den Kopf frei zu machen. "Die Bedingungen hier sind gut, eigentlich haben wir hier alles. Ich mache jeden Abend Sport, nutze die Sporteinrichtung der Amerikaner. Aber zum Laufen gehe ich nicht aufs Laufband, sondern laufe im Camp", erzählt Oberleutnant Maik. Da ist er nicht allein. Vor allem in den Morgen- und Abendstunden, wenn Hitze und Staub nicht ganz so arg sind, drehen etliche Soldaten ihre Runden entlang der Mauer in dem zwei mal anderthalb Kilometer großen Feldlager.

Badminton, Beachvolleyball-Turniere, Kicker, Skat, Bingo, Salsa, Kochkurse, Kino jeden Montag in der Betreuungseinrichtung "Oase" sowie Angebote der Kirche etwa mit Bibelfrühstück, Kirchenchor und Gottesdiensten gehören zu den Angeboten. Ab und an treten Bands aus Deutschland auf, die damit ihre Verbundenheit zu den Soldaten zeigen. Im Sommer rockte zum Beispiel die Onkelz-Coverband "Reached" die "Oase".

"Uns fallen die Scharen von Schülern auf."

"Man lernt auch wieder Briefe zu schreiben", sagt Oberstleutnant Frank. Trotz guter Internetverbindungen freut sich jeder, wenn er an den Posttagen mittwochs und sonnabends eine Ansichtskarte, einen Brief oder ein Paket von Familie und Freunden aus der Heimat bekommt. "Ein Brief ist viel emotionaler als eine E-Mail."

Nicht immer fliegen die Havelberger ins Camp Shaheen, manchmal geht es auch auf dem Landweg dorthin. Welchen Eindruck haben sie von Mazar-e Sharif, die mit 267000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Afghanistans ist? Entgegen dem Grau-Beige des Feldlagers, das im Norden des Landes in der Wüstenregion am Marmal-Gebirge prägend ist, gibt es in der Stadt grüne Ecken und auch Wasser. "Mazar-e Sharif ist eine sehr lebendige Stadt. Uns fallen vor allem die Scharen von Schülern auf, die in ihren Uniformen zu sehen sind. Die Mädchen in schwarz mit weißen Kopftüchern, die Jungs in blau. Es ist eine sehr kinderreiche Stadt. Es gibt vermögende und nicht vermögende Menschen. Letzteres wird an den Hütten in der Peripherie der Stadt deutlich.

In der Stadt gibt es Hochbauten mit vielen Stockwerken, Hotels, moderne Straßen und Ampelsysteme. Der öffentliche Verkehr erfolgt meist mit Taxis und den dreirädrigen Tuk Tuks", beschreibt Oberstleutnant Frank die Eindrücke und das, was sie von Sprachmittlern erfahren. Es gibt eine Universität mit mehreren Fakultäten, moderne Medien werden genutzt. Arm oder Reich, gebildet oder weniger bis gar nicht gebildet - alles liegt dicht beieinander. Mit Hilfe von ISAF ist das Land in den vergangenen Jahren sicherer geworden, auch wenn die Gefahr, etwa durch Selbstmordattentate oder Sprengfallen getötet zu werden, immer noch groß ist. Dörfer haben Strom- und Wasserversorgung erhalten. Es hat sich etliches getan in dem Land am Hindukusch. Und vor allem haben die Havelberger festgestellt: "Es gibt viele Menschen, die darauf bedacht sind, ihr Land voranzubringen."