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Joggerin erzählt Gericht von Folgen ihrer Vergewaltigung / Psychiater attestiert Angeklagtem Schuldfähigkeit "Die Todesangst kommt immer wieder"

Von Rainer Schubert 06.02.2014, 01:18

Lüneburg/Salzwedel l "Nach der Tat habe ich alles verdrängt, alles ausgeblendet, um normal weiterleben zu können. Doch dann kam die Todesangst, die ich bei der Tat hatte, immer wieder hoch, auch heute noch."

Mit stockender Stimme erzählt die 34-jährige Verwaltungsmitarbeiterin der 10. Großen Strafkammer am Landgericht Lüneburg von den Folgen ihrer Vergewaltigung. Sie wurde im Sommer vergangenen Jahres beim Joggen auf einem Feldweg zwischen Salzwedel und Wustrow von einem 26-jährigen attackiert, in ein Maisfeld gezerrt, mit einem Messer bedroht und vergewaltigt. Der in einem Wohnheim für Behinderte lebende Mann hatte die Tat bereits am ersten Prozesstag gestanden.

Die Frau hatte ihre Aussage zwar schon am zweiten Verhandlungstag gemacht, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch brauchte sie dem Täter nicht ins Auge zu schauen, der verfolgte ihre Angaben aus einem Nebenraum über eine Video-Übertragung.

Da das Opfer aber vor dem Prozess am Tatort vor der Kamera eines Fernsehsenders Angaben zum Geschehen gemacht hatte, also laut Vorsitzendem Richter Axel Knaack "selbst die Öffentlichkeit suchte", würde die Gefahr eines Revisionsgrundes bestehen. So wiederholte sie ihre Angaben gestern öffentlich.

"Ich habe unentwegt Bilder im Kopf."

Dabei machte sie klar, wie sehr sie noch heute leidet: "Ich habe unentwegt Bilder im Kopf, die laufen wie kurze Einblendungen immer wieder ab. Ohne Bewachung gehe ich im Dunkeln nicht mehr raus. Ich meide öffentliche Veranstaltungen, schlafe auch selten durch". Die Vergewaltigung habe auch ihre Beziehung zu ihrem Lebenspartner beeinträchtigt. "Wir wollten heiraten, das haben wir vertagt".

Dass sie einem TV-Sender ein Interview gab, begründete sie so: "Das habe ich fürs ganze Dorf gemacht, damit so etwas nicht wieder passiert. Ich wollte auf die Einrichtung aufmerksam machen". Damit meinte sie die Einrichtung in Wustrow, in der sich vier Betreuer um zehn Bewohner kümmern. Dort war auch der 26-Jährige untergebracht, der bereits 2006 wegen einer Vergewaltigung in Magdeburg nach vergleichbarem Muster zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt wurde, eine zunächst ausgesprochene Bewährungsstrafe wurde widerrufen. Er kam nach der Haftentlassung in eine betreute Einrichtung und wurde Ende 2012 nach Wustrow verlegt.

"Er brachte die Wäsche rein, duschte sich kurz."

Eine Betreuerin skizzierte den Mann gestern vor Gericht so: "Ich habe ihn als liebenswerten Menschen kennengelernt. Er war sehr einfühlsam gegenüber Hunden und schwächeren Bewohnern der Einrichtung, aber er konnte auch aggressiv werden." Er sei an Schlägereien beteiligt gewesen. Sexuelle Bedürfnisse habe er aber nicht geäußert. Dass er wegen einer Vergewaltigung vorbestraft ist, hätten die Betreuer nicht gewusst. Die Betreuerin hatte den Angeklagten etwa eine Stunde nach der Tat in der Einrichtung gesehen, er sei völlig normal gewesen: "Er brachte Wäsche mit rein, fragte, was er im Küchendienst erledigen solle, duschte sich kurz und machte dann den Küchendienst."

Der psychiatrische Sachverständige Reiner Friedrich attestierte dem Mann, dessen Eltern beide suchtkrank waren, eine schwierige Sozialisation. Er habe mit einem IQ von 70 eine leichte Intelligenzminderung, nehme Drogen und Alkohol im Übermaß- "aber das alles sorgt für keine relevante Beeinträchtigung", der 26-Jährige sei also schuldfähig. Ein Rückfallrisiko bezifferte Friedrich, wenn der Mann nicht behandelt würde, mit 80 Prozent nach sieben Jahren. Dieses Risiko würde gemindert, würde er zunächst eine Haftstrafe verbüßen und danach rund vier Jahre therapiert werden. Der Prozess wird heute fortgesetzt.