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Lothar Schulze schrieb seine Erlebnisse mit dem DDR-Sicherheitsdienst in einem Buch nieder Stasi brachte Klötzer in den Knast

Von Siegmar Riedel 19.09.2014, 03:11

Er will die Kehrseite der Medaille zeigen. Ihn stört es, wenn gutbetuchte ehemalige Stasi-Offiziere in ihren Büchern schreiben, es sei in der DDR alles in bester Ordnung gewesen und sie hätten doch nur Gutes gewollt. Der Klötzer Lothar Schulz hat deshalb seine Erlebnisse mit der Stasi in einem Buch veröffentlicht.

Klötze l Lothar Schulze ist 1945 eine Woche nach dem Ende des Krieges in Neuferchau geboren worden. Als achtjähriges Kind musste er dort miterleben, wie die DDR-Obrigkeit mit der Aktion Ungeziefer Tausende Menschen heimatlos machte und ihnen ihr Zuhause nahm. Damals wurden unliebsame Bewohner in den Grenzregionen in Nacht- und Nebel-Aktionen abtransportiert und umgesiedelt. "Ein Trecker fuhr mit ein oder zwei Anhängern durch den Ort", erinnert sich Lothar Schulz, der heute in Klötze wohnt. "Darauf die Menschen mit ihrem Hab und Gut. Ich sah viele verweinte Augen. Das vergesse ich nie wieder."

Seine Maurer-Lehre begann Lothar Schulz 1959 in Oebisfelde - im damaligen Sperrgebiet. Er bemerkte, dass viele Leute kurz über die Grenze verschwanden. Auch der Direktor einer Berufsschule kam nicht wieder, berichtet Schulz. Im Sommer 1961 überredeten ihn fünf Jugendliche, zusammen aus der DDR zu fliehen. "Bis Röwitz bin ich mitgegangen. Dann kehrte ich um, weil ich erst meine Lehre beenden wollte. Die anderen waren weg", erzählt Lothar Schulz. Einer kehrte jedoch zurück und sei von der Stasi ausgequetscht worden. Und damit begann Schulzes ganz persönlicher Ärger mit der Staatssicherheit.

Während einer Belegschaftsversammlung des Baukombinates in einem großen Saal musste er aufstehen. "Ein Staatsanwalt warf mir vor, dass ich die Flucht nicht gemeldet habe, weil die Leute hätten erschossen werden können", sagt Lothar Schulz. "Der stellte mich vor versammelter Mannschaft in ein schlechtes Licht und wollte wissen, wieviel Flaschen Bier ich am Tag trinke." Das gleiche Prozedere mit dem selben Staatsanwalt musste er noch einmal in der Gemeinde über sich ergehen lassen.

Dass längst ein Informeller Mitarbeiter (IM) in Oebisfelde auf ihn angesetzt war, erfuhr er nach der Wende aus seiner Akte. "Dieser Mann hat immer versucht, mich in die Nähe der Grenze zu bringen, damit ich verhaftet werden kann", weiß er heute.

Gefährlich wurde für ihn auch seine Sammelleidenschaft. Lothar Schulz wollte sich zwei gekreuzte Säbel an die Wand hängen. Doch wie sollte er so etwas bekommen? Als der IM ihm ein Terzerol (eine kleine Vorderladerpistole) schenkte und etwas später zusammen mit einem anderen Mann einen englischen Trommelrevolver, der allerdings Schrott war, anbot, tauschte er die Schusswaffen leichtsinnigerweise gegen zwei Säbel ein.

"Zwei Männer holten mich ab, neun Mann verhörten mich."

Ein anderes Mal lud ihn der IM zu sich ein. Ein weiterer Mann war anwesend, der ihm für 20 DDR-Mark ein Gewehr verkaufen wollte. "Das habe ich nicht genommen", betont Lothar Schulz.

Doch die Stasi-Leute hatten erreicht, was sie wollten. Schulz wurde angezeigt, musste vor Gericht. "Zwei Mann holten mich ab und führten mich durchs Dorf. Das ist eine meiner schlimmsten Erniedrigungen gewesen. Neun Mann haben mich verhört und mir dabei Schläge angedroht", berichtet Lothar Schulz. Vor Gericht hatte er die Stasi-Leute als Zeugen und fingierte Beweise gegen sich. Vorgeworfen wurde ihm, er sei mit seiner Tonbandmusik ein schlechtes Vorbild für die Jugend. Außerdem hätte er sich Waffen besorgt, um einen gewaltsamen Grenzdurchbruch zu organisieren. Dafür hätte er eine Bande gebildet. "Wir waren eine Gruppe junger Männer und hatten als Erkennungszeichen rote Hemden", erklärt Schulz. Das sollte die Bande sein, mit der er fliehen wollte. "Rothemden-Bande haben die das genannt." In Kusey habe es übrigens eine Gruppe mit weißen Hemden gegeben.

Das Gericht konnte Lothar Schulz nichts nachweisen. Er hatte aber keine Chance, wurde wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu zehn Monaten Haft in der Vollzugsanstalt Raßnitz bei Halle verurteilt. "Die habe ich vollständig abgesessen", sagt er im Volksstimme-Gespräch. Fast die Hälfte der Gefangenen dort seien wegen politischer Vergehen verurteilt gewesen.

1964 ist Lothar Schulz aus dem Knast entlassen worden. Die Zeit hinter Gittern hatte ihn verändert. "Danach habe ich keinem Menschen mehr über den Weg getraut", berichtet er. Doch die Repressalien gingen weiter. Wenn etwas im Dorf geschah, ist er jedes Mal geholt und verdächtigt worden. "Die haben mich richtig zum Schwerverbrecher gemacht", sagt er.

Später lernte Lothar Schulz eine Frau aus Klötze kennen, beide wollen heiraten. Etwa zeitgleich fragte das Wehrkreiskommando bei der Stasi an, das weiß er aus seiner Akte, ob er, Lothar Schulz, jetzt für den Wehrdienst frei sei. Grund: Nach einer Haftstrafe konnten die Betroffenen erst nach einer bestimmten Zeit zur Armee eingezogen werden. Lothar Schulz war frei für den Wehrdienst, meinte die Stasi. Schließlich wollte er heiraten. Ergebnis: Zwei Wochen vor der Hochzeit bekommt er den Einberufungsbefehl, vier Tage nach der Trauung musste er sich in Richtung Prora "in Marsch setzen".

"Ich kam zu einer Seelandeeinheit und konnte nicht mal schwimmen."

"Ich kam zu einer Seelandeeinheit, konnte aber nicht mal schwimmen", lacht Lothar Schulz. Immer wieder sei er seekrank geworden.

Repressalien war Lothar Schulz auch in seinem Beruf ausgesetzt. Als Maurer ist er bei manchen Arbeiten, beispielsweise beim Umbau des Polizeireviers, ausgeschlossen worden. Nach der Wende qualifizierte er sich zum Grafikdesigner. "Mit Diplom, darauf bin ich stolz", sagt Lothar Schulz. Als er seine Stasi-Akte einsehen wollte, war die nur in Fragmenten vorhanden. Aber Gerichtsakten brachten ihn weiter. "Da wurde mir das ganze Ausmaß der Bespitzelung bewusst", sagt Lothar Schulz.

Er ist sicher, dass noch mehr IM auf ihn angesetzt waren. Der IM aus Oebisfelde sprach ihn nach der Wende in einem Supermarkt an und tat, als wäre nichts gewesen. "Hab` ich den zusammengeschissen", zeigt sich Lothar Schulz wütend.

Vor zwei Jahren entschloss er sich, seine Erlebnisse in der DDR aufzuschreiben. "Erzwungene Heimat - Ein Leben unter Schild und Schwert" heißt das Buch, das er in kleiner Auflage unter dem Pseudonym Ludwig Scholz selbst herausgab.

Am 24. August vor 50 Jahren ist Lothar Schulz aus dem Knast entlassen worden. Dieses Jubiläum feiert er jedes Jahr auf besondere Weise: "Ich setze mich hin, trinke ein Glas Rotwein und höre die Musik, die wir damals mochten: Elvis Presley, Beatles, Rolling Stones", erzählt er. Vergessen kann er die DDR, ihre IM und ihre Grenze nicht.

Das Buch gibt es in der Buchhandlung Metzing und im Internet, ISBN 978-3-00-045951-1.