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Bürger haben vor 25 Jahren Trink- und Abwasserkanäle selbst geschaffen und sollen jetzt dafür bezahlen Beitrag bringt Wulferstedter auf die Palme

Von Yvonne Heyer 11.04.2015, 03:16

Dicke Luft herrscht in Wulferstedt: Den Bürgern sind Anhörungsbögen für den "Herstellungsbeitrag II" ins Haus geflattert. Unmut herrscht darüber vor allem, weil die Wulferstedter einst selbst Hand angelegt haben, um ihre Wasser- und Abwasseranschlüsse zu schaffen. Jetzt sollen sie dafür zahlen.

Wulferstedt l Mitte März haben die Wulferstedter auf einer Informations- und Bürgerversammlung ihrem Ärger schon einmal Luft gemacht. Wulferstedt ist der einzige Ort innerhalb der Verbandsgemeinde Westlichen Börde, in der der "Herstellungsbeitrag II" erhoben werden soll. Um den Ärger der Bürger darüber zu verstehen, erklärt der ehemalige Bürgermeister Erwin Neumann: "1985 gab es in Wulferstedt kein Wasser mehr, die Brunnen waren versiegt. 190 Haushalte waren davon betroffen. Wir mussten handeln. 1986 haben wir begonnen, neue Leitungen zu verlegen. Wie es in der DDR mit dem entsprechenden Material dafür aussah, muss ich wohl nicht erst erklären. Trotzdem haben wir alle gemeinsam begonnen, das Problem zu lösen, viele Leute haben nach Feierabend und an den Wochenenden mit angepackt, geschachtet und Rohre verlegt", berichtet der ehemalige Bürgermeister. Kurz nach der Wende war das Dorf komplett fertig, waren neue Trink- und Abwasserleitungen verlegt. "Wir Wulferstedter haben schon immer zusammengehalten, nur so konnte das Probelm gelöst werden. Wir müssten für unsere Leistungen eigentlich noch Geld kriegen und nicht nachträglich zur Kasse gebeten werden", sind sich Wolfgang Karl, Elisabeth Dreyer, Rainer Mock, Erwin Neumann und Horst Winte einig.

Die Leitungen halten noch

Und dass damals eine gute Arbeit geleistet wurde, beweist den Wulferstedter die Tatsache, dass kürzlich mit der Sanierung der Poststraße festgestellt wurde, dass die damals verlegten Leitungen noch in Ordnung sind. "In den vergangenen 25 Jahren wurde in unserem Dorf keinerlei Aufwand für die Erschließung betrieben und doch sollen die Bürger jetzt zahlen. Das ist niemanden verständlich zu machen", meinen die genannten Bürger, die nach der Einwohnerversammlung noch einmal im Gespräch mit der Volksstimme ihren Unmut zum Ausdruck brachten. Sie sind zudem der Auffassung, dass mit diesem "modernen Raubrittertum" junge Leute erst recht die Dörfer verlassen würden.

Die Einwohnerversammlung am 17. März hatte rund 200 Leute auf den Plan gerufen. Hier informierte TAV-Börde-Geschäftsführerin Vinny Zielske die Bürgern über das Verfahren zum "Herstellungsbeitrag II" und nahm zu den Fragen Stellung. Die Fragen, die beim Besuch der Volksstimme den Bürgern nachträglich auf der Seele lagen, wurden an die TAV-Geschäftsführerin weitergeleitet. Kritisiert hatten die Wulferstedter, dass Vinny Zielske unvorbereitet vor die Bürger getreten wäre, dass sie falsche Angaben zu den verschickten Anhörungsbögen gemacht hätte. So hätte sie gesagt, wer jetzt noch keinen Bescheid bekommen hätte, würde auch keinen mehr bekommen. Doch nach dem 17. März erhielten die Bürger aus Wulferstedt noch reichlich Post vom TAV.

"Wir befinden uns in der Phase der Versendung der Vorinformationen an die Grundstückseigentümer. So werden alle zwei Wochen etwa 500 Vorinformationen versandt, bis alle 7000 in Frage kommenden Grundstückseigentümer im Verbandsgebiet des TAV Börde ihre Erhebungsbögen erhalten haben. Das wird bis Ende Mai andauern" erklärt Vinny Zielske auf Volksstimme-Nachfrage.

Im Rahmen der Vorinformationen werden Daten wie Eigentümer, Grundstücksgröße, Geschosszahl und Anschlussmöglichkeit vor dem 15. Juni 1991 abgefragt. Wulferstedt sei in Sachen der Erhebungsbögen inzwischen komplett abgearbeitet. Die Hinweise der Grundstückseigentümer werden nach Rücksendung durch den TAV Börde geprüft und bearbeitet. Erst danach würden die tatsächlichen Beitragsbescheide verschickt.

Fragwürdig erscheint den Wulferstedter die Kalkulation für den zu zahlenden privilegierten Beitragssatz von 2,94 Euro pro Quadratmeter der anrechnungsfähigen Grundstücksfläche. "Die Kalkulation zum Herstellungsbeitrag enthält alle Kosten zur Herstellung und Erneuerung der öffentlichen, zentralen Abwasseranlage wie Kanäle, Überleitungen, Pumpstationen, Klärwerke die nach 1991 beim TAV Börde entstanden sind und auch in den nächsten Jahren bis zur endgültigen Fertigstellung der zentralen Abwasseranlage entstehen werden", beantwortet Vinny Zielske diese Frage. Nicht enthalten seien Kosten für den jeweiligen Hausanschluss eines Grundstücks und auch nicht die Kosten, welche zur Reinigung des Abwassers im Rahmen der jährlichen Abwassergebühren, die nach Menge des Verbrauches ermittelt werden, zu entrichten sind.

Klärteiche sollen weichen

Bislang wird das Wulferstedter Abwasser in die Klärteiche geleitet, die die Bürger ebenso selbst geschaffen haben. Jetzt steht zur Debatte, dass die Teiche außer Betrieb genommen werden müssen. Das Abwasser würde dann über Hornhausen nach Oschersleben gepumpt. Was die Wulferstedter stört, ist der Fakt, dass einmal davon die Rede sei, die Teiche hätten 2015 noch Bestandsschutz, dann wiederum hieße es, die Teiche würden bis 2016 bestehen bleiben. "Von Bestandsschutz kann erst einmal nicht die Rede sein. Laut unserem Abwasserbeseitigungskonzept, welches stetig fortgeschrieben und von der Unteren Wasserbehörde des Landkreises kontrolliert wird, sind wir angehalten, die Klärteiche der Gemeinde Wulferstedt in den kommenden Jahren, 2016 oder 2017, außer Betrieb zu nehmen. Dafür muss eine Überleitung zur Kläranlage Oschersleben gebaut werden, die über Hornhausen führt. Da sich alle Grundstückseigentümer an der Beitragszahlung der Investitionskosten zur Herstellung der zentralen Schmutzwasseranlage beteiligen müssen, ist die Frage zu klären, wer hatte vor 1991 bereits einen Anschluss und fällt unter den privilegierten Beitragssatz von 2,94 Euro oder wer gilt als nach 1991 angeschlossenes Grundstück als Neuanschließer mit 7,67 Euro.

Der "Herstellungsbeitrag II" wird nicht nur von Grundstückseigentümern im Verbandsgebiet des TAV Börde diskutiert. In ganz Sachsen-Anhalt steht der Beitrag zur Debatte und deshalb beschäftigt sich auch der Verein Haus Grund mit diesem Thema. Auch einige Wulferstedter haben bereits in Erwägung gezogen, sich an einer angestrebten Musterklage zu beteiligen. Zuständig wäre dann der Oschersleber Verein Haus Grund mit Ernst-Albert Kube als Ansprechpartner. "Wir beschäftigen uns schon länger mit dem Thema und haben schon einige Anfragen bekommen", so Ernst-Albert Kube.

Die Verbandsgemeinde Westliche Börde, die für gemeindeeigene Grundstücke in Wulferstedt den "Herstellungsbeitrag II" bezahlen müsste, hat sich an den Städte- und Gemeindebund gewandt und einen Anwalt mit der Prüfung beauftragt. "Etwas Schriftliches liegt uns allerdings noch nicht vor", so die stellvertretende Verbandsgemeindebürgermeisterin Jutta Oberhack.