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Referent erstaunt mit Vortag zur Entstehungsgeschichte der Johanniskirche und Stadt Werben Stadtkern mit Astro-Komponente?

Von Andreas Puls 23.02.2015, 02:37

Auf eine Reise zurück in die Zeit der Romanik begaben sich am Sonnabend zahlreiche Zuhörer im Werbener Pfarrhaus. Hans-Peter Bodenstein ließ in einem Powerpointvortrag die St. Johanniskirche Werben in ihrer ursprünglichen Form wieder auferstehen.

Werben l Klaus Kirstein, Vorsitzender des Vereins zur Erhaltung kirchlicher Baudenkmäler im Kirchspiel Werben, begrüßte die Zuhörer im Pfarrhaus und zeigte sich erfreut, dass er den Romanikexperten Hans-Peter Bodenstein als Referenten gewinnen konnte.

Der Seehäuser Bodenstein, Hauptinitiator des Projekts "Nebenstraßen der Romanik" (www.ndrom.de), hat wie kaum jemand sonst die mathematischen und geometrischen Regeln der romanischen Baukunst erforscht. Er ist davon überzeugt, dass die Gotteshäuser stets nach Maßen errichtet wurden, denen ganz auserwählte Zahlen, Zahlenverhältnisse und damit auch geometrische Regeln zugrunde liegen - Ziffern, die für die Baumeister von oft religiöser, ja heiliger Bedeutung waren. Als Beispiele nannte er die Zahlen 6 und 7.

Entsprechende Regeln, so Bodenstein, lassen sich an fast allen kleinen und großen romanischen Kirchen noch heute ablesen. Leider gebe es aus der Bauzeit der Gotteshäuser so gut wie keine Dokumente. Solche Aufzeichnungen seien damals nicht üblich gewesen.

Trotzdem können sich bei Vorhandensein von einigen wichtigen Grundmaßen Gebäude heute wieder rechnerisch und virtuell rekonstruieren lassen - selbst dort, wo die ursprünglich romanischen Gotteshäuser in späterer Zeit umgebaut wurden. Das tat der Seehäuser nun auch mit der Johanniskirche Werben. Mehr noch. Bodenstein ist davon überzeugt, dass sogar die Anlage der Stadt im Mittelalter nach diesen Zahlen und Maßen erfolgt sei. Wie der studierte Mathematiker erläuterte, dienen ihm für seine Rekonstruktionen vor allem dendrochronologische Daten von Ulf Frommhagen sowie eigene Messungen an Objekten als Grundlage.

Glockenturm-Rechteck als Rekonstruktions-Grundlage

Die Werbener Johanniskirche ist heute bekanntlich eine gotische Hallenkirche. "So ziemlich das einzige noch vorhandene Romanische des Gotteshauses ist der untere Teil des Turms", so der Referent. Nicht schlecht staunten die Zuschauer, als Bodenstein zuerst ein Foto der heutigen Johanniskirche auf die Leinwand projizierte und danach eine Fotomontage, die zeigte, wie die Kirche vor etwa 800 Jahren, zur Zeit der Johanniter, ausgesehen haben dürfte. Markanteste Unterschiede: der niedrigere Turm und die kleineren Fenster.

Ausgangspunkt für Bodensteins virtuelle Rekonstruktion bildete der Grundriss des Glockenturms, dessen Rechteck einen klaren "goldenen Schnitt" aufweise, ein Seitenverhältnis von 5 zu 8. Zur Zeit der Romanik sei mit dem Längenmaß Fuß oder Hand gemessen worden. Das Glockenturmrechteck der Werbener Kirche weise das Maß von 30 mal 48 Fuß auf. Weitere Anhaltspunkte zeigten, dass sich an den Turm ein Schiff mit sechs Arkadenbögen angliederte. Die Zahl 6, so Bodenstein, tauche in zahlreichen anderen Maßen des ursprünglichen Gebäudes immer wieder auf. Aber auch einige andere Zahlen. Wie bei den meisten anderen romanischen Kirchen dieser Zeit üblich, errichteten auch die von Markgraf Albrecht dem Bären beauftragten Kirchenbauer eine dreischiffige Basilika.

Johanniter nahmen fast fertige Kirche in Besitz

Diese sei so gut wie fertig gewesen, als die Johanniter um 1160 aus Jerusalem nach Werben kamen. Die Grundsteinlegung dürfte um 1150 erfolgt sein. Bodenstein nannte viele weitere Maße, Zahlen und geometrische Sachverhalte, auf denen seine Rekonstruktion beruht. Auch den Triumpfbogen und die Apsis ließ er nicht aus. Der Referent zog Vergleiche mit anderen Gotteshäusern der Region, die etwa zur gleichen Zeit entstanden - zum Beispiel die in Beuster, Sandau und oder auch Seehausen.

Noch mehr als mit seinen Erkenntnissen und Vermutungen rund um die Johanniskirche versetzte der Seehäuser die Zuhörer mit seinen weiteren Schlussfolgerungen in Erstaunen. Bodenstein zeigte sich davon überzeugt, dass jene Maße, die für die Errichtung der Kirche Anwendung fanden, auch in die Anlage der Stadt Werben eingeflossen seien. Das machte er unter anderem am Abstand und der Ausrichtung sowie den Grundmaßen des Romanischen Hauses fest - dem vermutlich zweiten massiven Gebäude Werbens. Die Heiliggeistkirche liege genau auf einer parallel verlaufenden Achse des romanischen Hauses. Diesem Maßschema ebenso perfekt seien das Elbtor, das Seehäuser Tor und der Marktplatz angeordnet. Basierend auf einem Luftbild, versah Bodenstein den Werbener Stadtkern mit zwei Kreisen, an deren Ausmaßen sich ursprüngliche Besiedlungen noch heute erkennen ließen. Über diese beiden Kreise zog der Redner wiederum ein Rechteck, das zum Erstaunen des Publikums wieder den goldenen Schnitt aufweist.

"Hauptachse der Stadt zeigt nach Jerusalem"

Damit nicht genug. "Die Hauptachse der gesamten Anlage", so Bodenstein, "zeigt genau auf den Sonnenaufgang, der sich damals am 6. August ereignete. Der 6. August ist in der katholischen Kirche der Tag der Verklärung des Herrn, "An einem 6. August wurde Jesus Christus vor seinen Jüngern in Jerusalem mit einem überirdischen Licht verklärt. Die Johanniter kamen aus Jerusalem nach Werben. Und die Achse der Stadtanlage Werbens zeigt genau nach Jerusalem."