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Die Hacker-Gemeinde "Anonymous": Terroristen oder moderne Internetaktivisten? Muss nur noch kurz die Welt hacken...

Von Kristin Schröder und Thomas Butzek 07.03.2012, 04:22

Eine Maske geht als Symbol für eine Bewegung um die Welt: Versteckt hinter Guy Fawkes-Masken kämpft Anonymous für Meinungsfreiheit und das Recht diese frei zu äußern. Und das nicht immer mit legalen Mitteln.

Stendal l "Wir sind Anonymus. Wir sind viele. Wir vergessen nicht. Wir vergeben nicht. Erwartet uns." Nicht weniger pathetisch bekennt sich das Kollektiv "Anonymus" zu seinen Aktivitäten.

Seit einigen Monaten sind sie regelmäßig in den Medien präsent. Getarnt oder vermummt gehen derzeit Tausende mit weißen Guy Fawkes-Masken auf die Straßen und protestieren gegen die Ratifizierung des Acta-Handelsabkommens. Viele dieser Proteste sind von der Anonymous-Bewegung organisiert. Doch wer oder was ist Anonymous eigentlich?

Kurz gesagt: jeder kann Anonymous sein, denn Anonymous versteht sich selbst als Idee und entstand als dezentraler und führerloser Zusammenschluss von Menschen, die sich in diversen Foren, sogenannten Imageboards, zusammenfanden. Das sind Webseiten, auf denen Benutzer Bilder speichern und diese diskutieren können, ohne sich mit persönlichen Daten anmelden zu müssen. Die nicht registrierten Benutzer erhalten dann bei einem Beitrag, den sie dort veröffentlichen automatisch den Namen "Anon", daraus entstand dann der Name der Gruppe Anonymous.

Typisch für das Auftreten von Anonymous in der Öffentlichkeit sind die der Comic-Serie "V wie Vendetta" entnommenen Masken, die ursprünglich das Gesicht des britischen Attentäters Guy Fawkes darstellen. Diese dienen sowohl als Erkennungszeichen als auch zur Anonymisierung und im Zuge von Protestaktionen auch zum Schutz vor Verfolgung. Denn wer genau oder wie viele Anonymous ist, weiß keiner genau zu bestimmen.

Das ursprüngliche Ziel der Gruppe, die zum ersten Mal im Jahr 2008 in Erscheinung trat, war, der Sekte Scientology das Handwerk zu legen und die finanzielle Ausbeutung der Mitglieder durch Scientology zu beenden. Unter anderem veröffentlichten sie während der Operation Chanology ein sekteninternes Viedeo des Schauspielers Tom Criuse, in dem er unkritisch über Scientology spricht und für die Sekte wirbt. Die Sektenführer wollten daraufhin Anonymus strafrechtlich verfolgen lassen und die Gruppe wehrte sich, in dem sie mit einem Hacker-Angriff die Webseiten der Sekten lahmlegten. Das war der Startschuss für weitere Anonymous-Aktionen.

Inzwischen haben sich die Ziele der Gruppe deutlich erweitert und sie stehen nach eigenen Aussagen für eine freiere und bessere Welt ohne Zensur, Diktaturen, Rassismus, Kriege, Menschenrechtsverletzungen, Hunger und Leid in der Welt. Das Hauptziel bleibt jedoch, den freien Informationsfluss und das damit freigewordene Wissen zu schützen. Sie kämpfen also gegen Unterdrückung.

Im Jahr 2010 begann dann die Operation Payback, bei der Anonymous wiederholt Webseiten von Organisationen und Unternehmen attackierten, die ihre Kooperation mit Wikileaks beendet haben. Hintergrund war, dass die Enthüllungsplattform Wikileaks ein Spendenkonto bei Paypal und Mastercard eingefroren hatte und damit das Geld nicht mehr zu Wikileaks floss.

Im vergangenen Jahr griff das Kollektiv Internetseiten staatlicher iranischer Stellen an, um gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran zu protestieren. Auch in Deutschland ist Anonymus aktiv. In der Operation Blitzkrieg wurden rechtsradikale Webseiten ins Visier genommen und die Plattform Nazi-Leaks gegründet. Darauf finden sich frei zugänglich Listen mit Namen von NPD-Spendern und E-Mails der NPD-Führung. In einem zuvor veröffentlichten Video kritisiert Anonymous die Unfähigkeit der Neonazis andere Kulturen zu akzeptieren und Fremdenhass zu verbreiten.

Doch wie arbeitet Anonymous eigentlich? "Es gibt eine Hauptzelle, vermutlich in den USA und China, die fast alle Aktionen planen, durchführen und Bekennerschreiben herausgeben", sagt Toni Becker. Der Stendaler Web- entwickler befasst sich seit Längerem mit den Aktivitäten von Anonymous und kennt als Webprogrammier das Vorgehen von Hacker-Gruppen. "Dann gibt es noch die Bewegung Anonymous, an der sich jeder beteiligen kann und die Aktionen mit der Hauptzelle absprechen und unterstützen." Die Anonymous-Aktivisten sprechen sich auf Imageboards und Chatkanälen untereinander ab und planen so nicht nachverfolgbar ihre Aktionen. "Auch die Aktivisten untereinander kennen sich in den wenigsten Fällen beim Namen", erklärt der 27-jährige Becker. Ist erst einmal Einigkeit über eine Operation erreicht, werden meist Webseiten angegriffen.

"Die Angriffe erfolgen in der Regel durch sogenannte Distributed-Denial-of-Service-Attaken kurz DDoS-Attacken. Hierbei wird von tausenden Computern gleichzeitig auf eine Webseite zugegriffen bis diese nicht mehr erreichbar ist", erklärt der Programmierer. "Das kann man sich vorstellen wie ein Pappkarton. Es passen 500 Blatt Papier hinein, aber bei der Attacke wird versucht eine Million Blätter in den Karton hineinzuquetschen bis der Karton platzt." Ein Schaden an den Servern entstehe dabei nicht. Wenn die Attacke vorrüber ist, kann der Server wieder ganz normal weiter arbeiten und die Webseite ist wieder erreichbar.

Derzeit ist die Bewegung allerdings nicht durch Hacker-angriffe, sondern durch legale und friedliche Proteste gegen das Acta-Handelsabkommen überall präsent. Hierbei wurde von der Gruppe in der Operation Paperstorm aufgerufen, in allen Landeshauptstätten mit Flyern und Protestmärschen über die Inhalte des Abkommens aufzuklären und gegen die Ratifizierung, also die verbindliche Zusage das Abkommen zu unterzeichen, zu protestieren.

Bei der Aktion ist die Gruppe erstmals gezielt an die Öffentlichkeit gegangen und hat mit Videos auf Youtube und in sozialen Netzwerken versucht Aufklärungsarbeit über das unter Ausschluss der Öffentlichkeit erstellte Abkommen zu leisten. Erste Erfolge hat die Massenbewegung bereits erreicht, denn mehrere europäische Länder, darunter Deutschland, Tschechien, Polen und Slowenien, haben die Ratifizierung zurückgezogen und wollen das Abkommen erneut prüfen lassen.