Binder bombardieren sich mit Anzeigen Krieg am Gartenzaun

Die Geschichte, die sich gestern im Salzwedeler Amtsgericht abspielte,
hätte das Drehbuch für eine Folge "Richterin Barbara Salesch" sein
können. Zwei Nachbarn standen sich seit Jahren erbittert am
Maschendrahtzaun gegenüber.

Von Marco Heide 18.02.2015, 02:23

Salzwedel/Binde l Starre Fronten, tiefe Gräben, keine Konfliktpartei will sich auch nur einen Meter aus ihren Löchern bewegen. Warum, weiß aber niemand mehr so richtig. Der Kleinkrieg begann bereits im Jahr 2004. Damals zog Michael S. (Namen geändert) mit seiner Frau, die neben Ralf B.s Grundstück ein Haus besitzt ein. S. und B. kannten sich, wie es in einem Dorf wie Binde üblich ist. Dann untersagte der Neunachbar die Nutzung einer Wiese, die Ralf B. bis dato nutzen durfte, die ihm aber nicht gehörte. Seitdem gibt es Ärger. Doch die Wiese ist offenbar schon lange in den Hintergrund gerückt.

Am Dienstag stand Ralf B. nun vor Gericht. Und das nicht zum ersten Mal. Die Staatsanwaltschaft legte ihm zwölf Taten zur Last, die er zwischen dem 24. Februar und 12. Juni 2014 begangen haben soll. Neben elf Beleidigungen stand eine versuchte gefährliche Körperverletzung - Ralf B. soll einen Stein auf seinen Nachbarn geworfen haben.

Ein Ordner voller Anschuldigungen

Alles Quatsch meinte der 51-Jährige. Er habe seinen Nachbarn lediglich "dummer Milchfahrer" oder "Knecht" genannt. Kraftausdrücke seien nicht gefallen. Und den bösen Mittelfinger habe er nie gezeigt, höchstens mal den mahnenden Zeigefinger. Vielmehr sei sein Nachbar, derjenige, der die Streits anzettelt und verbal die Keule auspackt. Pisser, Arschloch, Schlampe - "Ich habe alles seit 2011 mitgeschrieben", erklärte Ralf B. und blätterte in einem dicken Ordner. Auch zahlreiche Bilder, die der Angeklagte zur Verhandlung mitbrachte, gehören zu der Akte.

Nicht ganz so umfangreich, aber genauso akribisch führen Michael S. und seine Frau Buch über die Kampfhandlungen an der Gartenzaun-Front. Bei der Befragung durch Amtsgerichtsdirektor Dr. Klaus Hüttermann blätterte sich S. durch einen Kalender, in dem die Gefechte dokumentiert sind.

Während der Verhandlung stellte Hüttermann in den Raum, dass bei einer Verurteilung zu prüfen sei, ob der Angeklagte überhaupt zurechnungsfähig sei und spielte damit auf das Verhalten Ralf B.s bei einer polizeilichen Vernehmung an. "So ein Protokoll habe ich in all den Jahren noch nicht gelesen", gestand der Amtsgerichtsdirektor.

Auf Knien bei Vernehmung im Polizeirevier

In dem Schriftstück ist vermerkt, dass der Beschuldigte auf dem Boden gekniet und geschrien habe. "Ich wollte mir Notizen machen und durfte nicht an den Schreibtisch. Deshalb habe ich mich auf den Boden gekniet und den Stuhl als Schreibunterlage verwendet", versuchte sich der 51-Jährige zu erklären.

Darüber hinaus soll sich Ralf B. mehrmals auf der Arbeitsstelle von Michael S.` Frau, die in einem Modegeschäft tätig ist, blicken lassen haben. Er räumte ein, dass er auch in der Firmenzentrale angerufen und sich über die Lebenspartnerin seines Nachbarn beschwert habe. "Meine Frau ist mit Tränen in den Augen zur Arbeit gefahren. Manchmal stand er auch vor dem Geschäft und provozierte sie mit Gesten", erklärte Michael S. Den Höhepunkt des Konfliktes, der allerdings nicht Gegenstand der Verhandlung war, stellte eine handfeste Auseindersetzung der beiden dar, die sich im vergangenen Sommer abspielte - und zwar auf dem Binder Friedhof.

Nachdem schließlich beide Seiten lang und breit erklärt hatten, dass das Böse jeweils auf der anderen Seite des Gartenzaunes sitze, platzte der Staatsanwältin der Kragen: "Ich finde es unerträglich, dass sich hier zwei Nachbarn wie Kindergartenkinder aufführen. Irgendwann landen sie alle in Uchtspringe, weil es keiner mehr ertragen kann." Strafrichter Klaus Hüttermann stellte nüchtern fest: "Wir werden hier kein Urteil fällen, mit dem wir Frieden stiften."

Sichtschutz soll Frieden schaffen

Vielleicht wird es aber in Zukunft etwas ruhiger, weil sich die Streithähne weniger sehen. Denn das Gericht hat das Verfahren gegen Auflagen eingestellt. So muss Ralf B. einen mindestens 1,80 Meter hohen Sichtschutz an der Grundstücksgrenze aufstellen. Außerdem soll er einen Wasserwagen, der dicht am Grundstück der Familie S. steht und dem Angeklagten als Ausguck gedient haben soll, so versetzen, dass die Nachbarn ihn nicht mehr als störend empfinden.