1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Telefonat mit den Amerikanern

Stadtrat Karl Peters bietet die kampflose Übergabe Salzwedels an Telefonat mit den Amerikanern

11.04.2015, 01:22

US-Amerikanische Streitkräfte nahmen am 14. April 1945 Salzwedel ein. Die Volksstimme veröffentlicht zu den Ereignissen in der Hansestadt im Frühjahr 1945 eine Serie. Heute: Teil 2.

Salzwedel (mhd) l Der 13. April 1945 war ein entscheidener Tag für Salzwedel. Stadtrat Karl Peters vereinbarte mit den Amerikanern die kampflose Übergabe der Stadt. Das sind die Erinnerungen Peters´an diesen Tag:

"Infolge eines Gerüchtes aus der Adolf-Hitler-Kaserne (Fuchsberg), Salzwedel würde verteidigt, stand ich am 13. April nachts um drei Uhr auf, immer die Ruinen des vollkommen zerstörten Stadtbildes von Magdeburg vor Augen. Auf der Straße traf ich Volkssturm mit Gewehren. Eine Patrouille sagte, der Bahnübergang Lüneburger Straße ist mit einem Leutnant und acht Mann besetzt, bei Ziethnitz ist SS, bei Kuhfelde Infanterie, es kommt zur Schlacht und dann wird die Stadt zerstört. Ich fuhr mit dem Rad zur Lüneburger Straße, weckte den schlafenden Leutnant und befragte ihn, ob er wirklich schießen wolle. Er erklärte, er sei nur Wachposten für seine durchmarschierende zur Zeit ruhende Truppe. Ob vorn Truppen seien, wüsste er nicht. Ich bereitete dann mein Heim auf eine eventuelle Beschießung vor.

Gegen 9.30 Uhr kamen der Verwaltungsdirektor Weisner und der Vertreter des am Abend vorher abgereisten Landrates Reg.-Ob.-Inspektor Hein zu uns ins Büro. Sie teilten mit, dass Salzwedel eine Katastrophe drohe, falls es von Wehrmacht oder Hitler-Jugend (HJ) verteidigt würde. Ihre Sorge galt hauptsächlich der HJ, während ich mehr von der Wehrmacht befürchtete. Ob.-Insp. Hein setzte hinzu, der Landrat habe am 12. April mit einem amerikanischen Offizier in Brunau telefoniert und von demselben den Bescheid erhalten, Salzwedel würde bei einer Verteidigung durch Jagdbomber in Schutt und Asche gelegt.

Ich schlug vor, zum Platzkommandanten, Hauptmann Viering, zu fahren. Mein Bruder Willi wollte mich begleiten. Per Rad fuhren wir zur Adolf-Hitler-Kaserne und erfuhren dort, daß Hauptmann Viering sich auf den Schießständen hinter Gerstedt befände. Auf einem bis obenhin mit Brot voll beladenen Lastwagen, und zwar ohne Mantel bei ziemlicher Kälte auf dem Brot beziehungsweise dem Führerhaus sitzend, fuhren wir los und waren nach etwa halbstündiger Fahrt dort.

Hauptmann Viering telefonierte gerade, wir mussten vor dem Bunker warten. Außer uns beiden hatte sich noch ein Herr Schröter von der Firma Kleinloff zum gleichen Zweck eingefunden. Wir kamen mit einem Hauptfeldwebel ins Gespräch, der eine rein militärische Ansicht vertrat und nur für eine Verteidigung war. Dieser Dienstgrad kämpft ja meistens nicht mit. Er sagte gerade zu einem Kompanieschreiber: Es werde kein Wehrpass mehr ausgegeben und die bereits ausgegebenen werden zurückgefordert. Wir machten ihm klar, dass er doch dadurch dem Vaterland nicht mehr helfen könne, aber die Leute in Gefangenschaft schicken würde, da kam Hauptmann Viering heraus.

Er war frisch und sah trotz seiner Prothese sehr gesund aus. Er schob den Hauptfeldwebel mit einer Handbewegung zur Seite, machte sich mit uns bekannt und fragte nach unserem Begehr. Wir baten, ihn im Bunker sprechen zu dürfen. Er meinte aber, das ginge auch da draußen. So waren sein Adjutant, der uns begleitende Oberleutnant Möller, und eine ganze Menge Soldaten Zeuge unseres Gespräches.

Unsere Bitte, Salzwedel kampflos zu übergeben, lehnte er mit den Worten ab: Da müsst Ihr Euch jemand anders suchen. Ich bin kein Hampelmann und mache das nicht mit. Ich bin Offizier und habe einen Eid geschworen und werde den Feind bekämpfen, wo ich ihn zu fassen kriege. Dann wurde er großsprechig und meinte, der Amerikaner wäre feige, davon zeuge sein wiederholter Versuch, Salzwedel telefonisch zur Übergabe aufzufordern. Mit einer Kompanie oder einem Bataillon gut ausgerüsteter Soldaten würde er sie in die Flucht schlagen. Der Amerikaner habe ihn auch angerufen, aber er habe geantwortet, dass er auch noch ein Wort mitzureden habe.

Hauptmann Viering postiert seine Truppe

Wir brachten dann alle Gründe vor, die gegen eine Verteidigung Salzwedels sprachen, hielten ihm das Nutzlose eines Widerstandes im Herzen Deutschlands und das Unsinnige einer Zertrümmerung der Stadt und den daraus sich ergebenden Folgen vor, wiesen auch auf die vielen Verwundeten hin, die dann im Freien oder Kellerlöchern hausen müssten. Am Ende der Unterredung sagte Viering: Was Sie befürchten, tritt nicht ein. Ich kann Salzwedel nicht verteidigen, weil ich zu wenig Truppen, Munition und Waffen habe. Ich habe meine Truppen weit vor Salzwedel auf einigen Zugangsstraßen postiert.

Ich habe zwar Befehl gegeben, auf den anrückenden Feind zu schießen, aber ob ich mich noch auf meine Truppen verlassen kann, weiß ich nicht. Ich glaube es kaum; und wenn der Feind auf Straßen einrückt, die ich nicht besetzt habe, so kann er in Salzwedel ohne Schwertstreich einrücken. Dann sagte er noch: Eigentlich müsste ich Sie alle drei erschießen. Ich antwortete darauf, dass ich mir bewusst sei, mich in diese Gefahr begeben zu haben. Er fügte aber gleich hinzu: Ich tue es auch nicht. Darauf verabschiedeten wir uns in dem Bewusstsein, doch viel für unsere Stadt Salzwedel erreicht zu haben.

Zurück in Salzwedel: Dort hörten wir, dass der Landrat zurückgekommen sei und jede Minute erwartet würde. Ich fragte beim Bürgermeister Holtzhausen an, ob er an einer Sitzung im Landratsamt teilnehmen würde. Er sagte zu und erschien sofort nach Eintreffen des Landrates. Dr. Zilch führte die Unterhandlung. Alle waren der Meinung, jede Verteidigung Salzwedels wäre unsinnig, aber keiner brachte den Mut auf, die Stadt zu übergeben. Auch Hein war in Gegenwart des Landrates sehr zurückhaltend und ablehnend.

Am Ende fragte ich den Landrat, ob ich den feindlichen Kommandeur in Brunau anrufen und die Übergabe fernmündlich anbieten dürfe. Er sagte nicht ja und nicht nein. Meinte dann schließlich, wir könnten es ja von unserem Geschäftsapparat aus versuchen. Er und der Bürgermeister würden sich dem einrückendem amerikanischen Führer zu einer Unterredung zur Verfügung stellen.

Dieses Ferngespräch fand dann von unserem Büro aus statt. Erst wollte das Fernsprechamt die Verbindung nicht herstellen mit der Begründung, Hauptmann Viering habe es verboten. Fräulein Südekum aus der Lüneburger Straße vermittelte das Gespräch. Es meldete sich in Brunau ein Amerikaner. Ich nannte meinen Namen, mein Geschäft, meine Fernsprechnummer, und sagte, daß ich Stadtrat sei. Ich erklärte dann, Salzwedel würde nicht verteidigt, und bat, die Stadt nicht zu bombardieren. Der Amerikaner antwortete, er würde dieses seiner vorgesetzten Behörde melden.

Auf meine Anfrage, wie wir uns bei Unruhen gegen Kriegsgefangene verhalten sollten, ob diese etwa der Volkssturm bewachen könnte, wenn das Militär abgezogen sei, sagte er: `Geben Sie den Gefangenen und Ausländern satt zu essen, dann sind sie auch ruhig. Lassen Sie den ältesten Offizier der Engländer, Amerikaner oder Russen den Befehl und die Verantwortung übernehmen.` Er warnte ausdrücklich vor der Bewaffnung des Volkssturmes."