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Bundesverband mittelständische Wirtschaft richtet in Schönebeck Veranstaltung zum Thema Hochwasserschutz aus Nächste große Flut darf erst 2020 kommen

Von Ulrich Meinhard und Massimo Rogacki 08.01.2015, 01:11

Wie ist der Stand der Hochwasserschutzmaßnahmen? Sind wir auf die nächste Flut vorbereitet? Diese Fragen wollte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) gestern von Fachleuten beantworten lassen. Das öffentliche Gespräch fand bei Weltrad am Cokturhof statt.

Schönebeck l Wenn es in Schönebeck wieder zu einer Jahrhundertflut kommen sollte, dürfte nichts mehr passieren. Das Hochwasser sollte allerdings bis 2020 warten. Dann nämlich sollen die Schutzmaßnahmen soweit fertiggestellt sein, dass Überflutungen und damit Schäden verhindert werden können. Auf diesen Zeitplan hat der Direktor des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW), Burkhard Henning, gestern während einer Veranstaltung zum Thema Hochwasserschutz hingewiesen. Zu dieser informativen Zusammenkunft hatte der Beauftragte des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft für die Bereiche Schönebeck und Jerichower Land, Karl-Heinz Burbank, eingeladen. Im Plenum saßen knapp 60 Firmenvertreter, Mitarbeiter aus Verwaltungen und Planungsbüros sowie weitere interessierte Bürger.

"Das Thema Hochwasser wird allmählich zum täglichen Geschäft", sagte der Magdeburger Beigeordnete Holger Platz in seinem Redebeitrag. Die Flut 2013 habe sich von allen vorherigen Hochwassern unterschieden durch ihre "Schnelligkeit, Unberechenbarkeit und ihre Dimension", stellte Platz fest. Bereits nach dem Hochwasser 2002 seien in der Landeshauptstadt die für ein solches Naturereignis vorgesehenen Abläufe verbessert worden. "Sonst hätten wir 2013 alt ausgesehen."

Für Magdeburg habe sich dann die Frage gestellt, wie das Schutzziel zu definieren sei. Eine Deichhöhe von 7,80 Meter gilt, in Abstimmung mit dem LHW, als Maßstab, landesweit und damit auch für den Schönebecker Raum. Das Ergebnis für Magdeburg war ein Fünf-Punkte-Plan:

- mehr technischer Hochwasserschutz (Schutzmauern etc.)

- personell verstärkter Katastrophenstab

- verbesserte Lagerhaltung

- Überarbeitung der Evakuierungspläne und Integration Ortskundiger in die technische Einsatzleitung

- verbesserte Kommunikation mit der Bevölkerung

Holger Platz gab zu bedenken, dass die Gefahr einer sich stets nach oben drehenden Spirale bestehe beim Erwarten weiterer und noch größerer Hochwasserereignisse: "Wir sind nicht in der Lage, jeden vor Schaden zu bewahren und alles zu regeln", räumte er ein.

Von Sachsen-Anhalt als einem Hochwasser-Transit-Land sprach LHW-Direktor Burkhard Henning. Deshalb müsse Hochwasserschutz verstanden werden als eine Aufgabe, die an der Quelle beginnt und an der Mündung eines Flusses aufhört. Seinen Ausführungen nach werden die Deiche im Jahr 2020 so weit auf Vordermann gebracht sein, dass sie einer Flut wie 2013 (Höchstmarke Barby im Juni 2013: 7,62 Meter) standhalten.

Henning gab weiterhin einen Überblick über die Struktur des LHW, zu der mehrere Flussbereich gehören, wie etwa der Flussbereich Schönebeck. Er kam zudem auf die geplanten Deichrückverlegungen zu sprechen - 19 an der Zahl - im Schönebecker Raum im Lödderitzer Forst und bei Motplaisir/Glinde. Mehr als 85 Prozent der sogenannten Retentionsräume (Auenflächen) sind der Elbe in den vergangenen knapp 100 Jahren weggenommen worden für Bebauung oder landwirtschaftliche Nutzung. Das ließe sich zwar nicht in Gänze rückgängig machen, doch sei ein teilweises Wiederzurverfügungstellen einstiger Überflutungsflächen unabdingar: "mit Augenmaß".

Deichrückverlegungen sind in den vergangenen Jahren, vor allem vor der Flut 2013, auch im Schönebecker Raum oft als unsinnig kritisiert worden. "Wir werden weiterhin das Verständnis wecken müssen, dass die ein oder andere Bewirtschaftungsform nicht mehr aufrecht zu erhalten ist", sagte Henning. Hochwasserschutz könne nicht nur von der öfffentlichen Hand eingefordert werden, jeder müsse einen Beitrag dazu leisten.

"Große Probleme sehe ich nicht."

Burkhard Henning

Die Deichrückverlegungen im Lödderitzer Forst sollen im Laufe des Jahres 2017 fertiggestellt sein. Dann stehen der Elbe hier 600 Hektar Retensionsraum zur Verfügung, das reiche, um die Wasserhöhe bei einer Flut um 20 bis 30 Zentimeter zu senken, wie Beispiele andernorts zeigen. "Das ist enorm", betonte der LHW-Direktor.

Alle geplanten Schwerpunktmaßnahmen an Elbe und Saale, darunter eine Schutzmauer in Schönebeck von der Salineinsel bis Frohse, seien inzwischen "angearbeitet". "Große Probleme sehe ich nicht", so Henning.

Eine zusätzlich geplante Maßnahme sei das Beseitigen der Verbuschung im Umflutkanal und der Alten Elbe. Eine jüngst von der Technischen Universität Dresden vorgelegte Studie belegt, dass der Wasserspiegel örtlich um bis zu 35 Zentimeter höher ausfallen kann, wenn sich die Fluten aufgrund einer Verbuschung stauen.

Aus Sicht der Versicherungen äußerte sich Bernhard Sterz von der ÖSA (Öffentliche Versicherungen Sachsen-Anhalt) zum Thema Hochwasserschäden. "Wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein in der Bevölkerung, dass Naturkatastrophen jeden treffen können und jeder selbst für Haus und Wohnung Eigenvorsorge treffen muss", meinte er. Die ÖSA unterteilt in vier Gefährdungsklassen. GK 1: Hochwasser einmal in 200 Jahren; GK 4: einmal in zehn Jahren. "Ich wünsche allen Unternehmern, dass sie ihren Betrieb in der GK 1 haben", sagte Sterz.

Es könne aber gut sein, dass in einer einzigen Straße alle vier Gefährdungsklassen angesetzt sind. "Dieses System wird auf Hausnummernebene bedient", so der Versicherungsexperte. Freilich ist es von Menschen entwickelt, und das Wasser richtet sich zuweilen nicht nach diesen Plänen. Die übergroße Menge der Schäden geschah 2013 in angeblich weniger gefährdeten Gebieten. Fast 99 Prozent der Wohngebäude und Haushalte in Sachsen-Anhalt sind gegen Elementarschäden versicherbar", stellte Sterz heraus. Mitunter jedoch mit einem Selbstbehalt von 30000 Euro. "Aber immer noch besser als ein Totalverlust", befand er.

Ein Bürger, der seinen Namen nicht nennen wollte, bemängelte nach den Redebeiträgen, dass das für Schönebeck typische Grundwasserproblem kaum angesprochen wurde. Sein Vorschlag: Pumpen könnten geleast werden. Das wäre eine gute Lösung etwa für das Gewerbegebiet Stremsgraben.

Auch Stadtrat Werner Grundmann (SPD) vermisste das Ansprechen der Grundwasserproblematik. "Unser Oberbürgermeister versucht ja viel, aber die Politik hält sich raus und die Versicherungen sowieso", ärgerte sich der Stadtrat.

Axel Wolf von der DSD Streicher Anlagenbau GmbH Gommern sagte: "Betroffen waren wir 2013 nicht, aber im Grenzbereich. Insofern war es für mich schon interessant, was Herr Henning zu berichten hatte."

Guido Lenz, Direktor des Ameos Klinikum Schönebeck, erinnerte sich: "2013 ging es um Zentimeter. Ich bin mit dem Wasser aufgestanden und das Wasser hat geblinzelt. Wir sind mit dem Klinikum entweder Teil der Helfer oder eines der kompliziertesten Opfer. Solange wir am Netz sind, kann alles lokal abgewickelt werden, aber wenn auch wir evakuiert werden, müssten auf einen Schlag alle Patienten umgelegt werden. Eine Riesen-Aufgabe." Lenz weiter: "Für uns ist Hochwasserschutz ein Thema. Wir werden das noch häufiger erleben und müssen uns fit machen. Wir nehmen das absolut ernst und gucken uns genau an, was hier in Schönebeck zum Hochwasserschutz gemacht wird."

Landrat lobt Miteinander beim Hochwasserschutz

Werner Sinast von der Sinhor Dach GmbH sagte: "Ich habe ein Unternehmen in Calbe, in der Schloßstraße, und wir sind über den Mühlengraben mit der Saale quasi 1:1 verbunden. Wir sind über einen Zeitraum von vier Wochen vollgelaufen. Das war extrem."

Barbys Bürgermeister Jens Strube warnte: "Es gab 2013 in Barby, auch aufgrund des Deichbruchs, einen Schaden von 48 Millionen Euro. Das darf sich nicht wiederholen."

Das Resümee von Landrat Markus Bauer lautete: "Ein Grenzdenken darf es gerade beim Hochwasserschutz nicht geben. Wir sehen ja, was sich erreichen lässt, wenn alle zusammenarbeiten."