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Der 84-jähtrige Hans Keuck erzählt aus seinem Leben als Müllermeister "Ich stand wie die Kuh vorm neuen Tor"

Von Julian Klevesath 20.01.2015, 01:15

Kürzlich hat die Handwerkskammer Magdeburg 14 Diamantene und 25 Goldene Meisterbriefe an verdiente Handwerksmeister verliehen. Einer von ihnen ist der 84-jährige Müllermeister Hans Keuck, der seine Meisterprüfung am 6. Juli 1954 abschloss und ab 1963 als Produktionstechnologe im Kraftfuttermischwerk in Frohse arbeitete.

Schönebeck l Für einen Moment fangen Hans Keucks Augen an zu leuchten. "Ja, diese Ehrung erfüllt mich schon mit Stolz", gesteht der 84-Jährige, angesprochen auf seine Auszeichnung. "Es freut mich, dass ich das noch erleben durfte." Als er vor über 65 Jahren als 19-Jähriger seine Müllerlehre begann, hätte er sich das wohl kaum träumen lassen. An seinen ersten Tag als junger Lehrling in der Mühle erinnert sich der Pensionär noch gut: "Ich stand da wie eine Kuh vorm neuen Tor", erzählt er lachend. "Ich wusste nichts. Die großen Behälter habe ich für Maschinen gehalten - bis ich drin stand und sie reinigen musste."

Der Müllerberuf ist heute nahezu in Vergessenheit geraten. Lediglich alte Volkslieder erinnern noch daran. Eine romantische Vorstellung, wie sie in den Liedern besungen wird, brachte ihn allerdings nicht auf die Idee, diesen Berufsweg einzuschlagen: "Damals hat man sich nicht eine Arbeit gesucht, weil man etwas lernen wollte, sondern aus dem simplen Grund, dass man etwas zum Essen brauchte", erklärt der 84-Jährige, der seit 1937 in Schönebeck wohnt. Den Krieg hat er noch miterlebt. Während dieser Zeit habe man kaum hungern müssen, aber nach dem Krieg stand an erster Stelle, dass man etwas im Magen hatte.

Im Juli 1949 fing Keuck in Jersleben auf einer Motor- und Wassermühle an zu lernen. Nach zwei Jahren machte er seine Gesellenprüfung und arbeitete anschließend für drei Jahre in Magdeburg in der alten Damm-Mühle der Familie Wilke. "Mein Prüfer Wilke hat mich noch während der Prüfung gefragt, ob ich bei ihm als Müller anfangen möchte", erinnert sich Keuck lachend. Als sein Vater im Winter 1953 starb, kehrte er nach Schönebeck zurück, um bei der Frohser Dampfmühle anzuheuern. "Dort gab es etwas mehr Geld zu verdienen. Während dieser Zeit habe ich im letzten Dreivierteljahr meine Meisterkurse absolviert."

Mit dem Meister in der Tasche ging es 1956 weiter nach Großmühlingen. 1963 wechselte Keuck schließlich zum Kraftfuttermischwerk (KFM) in Frohse, das im selben Jahr in Betrieb gegangen war. Dort blieb der Müllermeister bis zu seinem Vorruhestand im Jahr 1990, zunächst als Produktionsmeister und Siloleiter, ehe er 1969 zum Produktionstechnologen und Obermeister ernannt wurde. "Ich war dort für den gesamten Produktionsablauf, die Bereitstellung der Rohstoffe und Berechnung der Rezepturen zuständig."

"Was wir alles machen mussten, das würde sich heutzutage keiner mehr bieten lassen."

Was beim Blick in seine Vita auffällt, sind die vielen Stationen zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn. Keuck klärt auf: "Es heißt ja: `Ein Müller muss wandern`. Wenn früher einer sein Arbeitsbuch vorgezeigt hat und darin standen 27 Stellen, war er unten durch. Bei einem Müller ist das eine Auszeichnung, denn es zeigt: Der hat was lernen wollen." Rückblickend möchte der 84-Jährige keine seiner Stationen missen. Auch wenn gerade die Lehrjahre ziemlich hart waren und Keucks Durchhaltewillen mitunter auf die Probe gestellt wurde: "Man sagt ja: `Lehrjahre sind keine Herrenjahre.` Was wir alles machen mussten, das würde sich heutzutage keiner mehr bieten lassen. Wir mussten nicht nur die Mühlen, sondern auch den Hof fegen - immer sonnabends. Da gab es schon mal Momente, in denen man gedacht hat: Verdammt nochmal! Wenn man vorher nur auf der Schulbank gesessen hat und dann mit 19 Jahren dorthin kommt und muss gleich damit anfangen Zweizentnersäcke Mehl abzusacken, da war man abends fix und fertig. Die Säcke musste man ja auch noch selber zum Bäcker bringen und auf den Mehlboden schleppen. Die durfte man nicht mit der Sackkarre transportieren."

Auch die Arbeitszeiten in den Lehrjahren hatten es in sich, erinnert sich der 84-Jährige: "Um sechs Uhr morgens wurde geweckt, um halb sieben gab es Frühstück, um sieben ging es dann ab in die Mühle. 18 Uhr war Feierabend. Gewohnt haben wir in der Mühle, da bekamen wir Kost und Logis. Der Verdienst war zehn Mark die Woche."

Wie kann man sich den Arbeitsalltag vorstellen? "Wenn man in einer kleinen Mühle arbeitet, muss man alles machen, was anfällt: von Getreideannahme, über Getreidelagerung und -reinigung, schroten, Mehl mahlen, absacken, wieder ausliefern und nebenbei noch Kunden bedienen."

"Das Müllerleben hat Gott gegeben, aber das Mahlen bei Nacht hat der Teufel gemacht."

Besonders die Nächte waren schweißtreibend, erinnert sich Keuck. "Es heißt ja: `Das Müllerleben hat Gott gegeben, aber das Mahlen bei Nacht hat der Teufel gemacht`!" Dennoch mochte er gerade die Nachtschichten als Müllergeselle am liebsten: "Ganz allein in der Mühle zu sein, ohne dass dir einer reinredet - das war toll! Da musste ich morgens sprechen lernen. Da war keiner, mit dem man reden konnte. Und ein großer Sänger war ich auch nicht", verrät er und schmunzelt dabei.

Mit den kleinen Mühlen von damals haben die heutigen Betriebe nicht mehr viel gemein, zumindest in den Augen des Müllermeisters a.D. Der Beruf, so wie er ihn kannte, werde kaum noch erwähnt, geschweige denn ausgeübt. "Ich weiß nicht, wer sich heute noch dafür entscheidet. Die meisten damals waren Söhne von Müllern, die eigene Betriebe hatten, die dann übernommen wurden. Wir haben damals noch mit der Hand gesiebt. Heute ist dagegen alles Hightech und muss rasend schnell gehen. Alles läuft nur noch über Computer. Dagegen war die Frohser Dampfmühle vorsintflutlich." Wehmut oder Verbitterung empfinde er aber nicht: "Ich beklage mich nicht darüber, dass sich alles verändert hat. Das ist nun mal der Lauf der Dinge. Die Zeiten ändern sich und die Menschen auch."

Von den Mühlen, in denen Keuck gearbeitet hat, ist heute nicht viel übrig geblieben. "Die Frohser Mühle wurde schon in den 1960ern geschlossen, die Damm-Mühle ist heute ein Restaurant." Zwei Jahre nach der Wende kam auch das Ende für das Kraftfuttermischwerk. Keuck erkannte die Zeichen der Zeit und verabschiedete sich rechtzeitig in den verdienten Vorruhestand.

Trotz allem würde der 84-Jährige den Beruf heute vermutlich wieder wählen. Allerdings seien die Voraussetzungen ja mittlerweile ganz andere. "Da müsste man schon in der heutigen Zeit vollkommen neu geboren werden", so Keuck, der seinen Job immer gemocht hat. "Liebe wäre das falsche Wort, aber ich war zufrieden. Ja, ich sage ganz offen: Ich bin gern Müller gewesen. Langweilig war es jedenfalls nie."