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Wirtschaftsstammtisch Bietet Weltmarkt Chancen?

Von Ulrich Meinhard 28.08.2015, 18:02

Staßfurt l Der Salzlandkreis und die große weite Welt. Diese Beziehung ist am Donnerstagabend in den Räumen der Salzlandsparkasse in Staßfurt in den Fokus gerückt worden. Landratsamt und Salzland-sparkasse hatten gemeinsam zu einem Wirtschaftsstammtisch mit Podiumsdiskussion in das Sparkassenschiff eingeladen. Prominenter Gast des Abends war der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck. Der Sozialdemokrat, der Vorsitzender des Vereins Deutsch-Russisches Forum ist, war gebeten worden, einen Impulsvortrag zum Thema "Internationalisierung - Möglichkeiten für den Salzlandkreis" zu halten.

"Wir sind die Mitte Europas." - Markus Bauer

Dass es diesbezüglich durchaus Chancen gibt, hatte Landrat Markus Bauer (SPD) in der Begrüßung bereits festgehalten: "Wir sind international aufgestellt mit Firmen, die importieren und exportieren. Wir haben die Fachhochschule Anhalt, die Internationalität garantiert. Und wir befinden uns nicht nur mitten in Deutschland, sondern mitten in Europa. Damit sollten wir werben", betonte Bauer.

Matthias Platzeck spannte den Bogen weit: Wenige Nationen seien so sehr beim Export aktiv wie die Bundesrepublik Deutschland, was zu einem großen Teil den Wohlstand ausmache. Jeder vierte Arbeitsplatz hänge in Deutschland vom Export ab. "Wir sind auf Internationalität geradezu angewiesen", hob der 61-Jährige hervor und bemühte die Drei-T-Theorie des amerikanischen Ökonomen Richard Florida: Technologie, Talente, Toleranz. Sie seien die Grundlage für Wirtschaftswachstum und Wohlstand, denn: technologischer Fortschritt gehe auf kluge Köpfe zurück, die sich wiederum dann entwickeln können, wenn sie ein Klima der Toleranz vorfinden. Fehlt es, sind die Talente weg, beziehungsweise sie kommen nicht zum Zuge.

Exportrate im Land nur 30 Prozent

Beträgt die Exportrate bundesweit gut 50 Prozent, liegt sie in Sachsen-Anhalt bei nur 30 Prozent. Die Expertin für außenwirtschaftliche Beziehungen bei der IHK Halle/Dessau, Birgit Stodtko, machte darauf aufmerksam, dass Sachsen-Anhalt zwar über leistungsfähige kleine und mittelständische Unternehmen verfüge, aber sich kaum Konzernzentralen im Lande befinden. Auch deshalb sei diese Rate relativ niedrig. Darum seien KMU`s (steht für kleine und mittelständische Unternehmen) auf Hilfe bei der Anbahnung von Exporten angewiesen. Die IHK Halle/Dessau stehe dafür ebenso bereit wie die IHK Magdeburg. "Sprechen Sie uns an", lautete ihr Appell an alle Unternehmer und Unternehmensvertreter. So verfüge die IHK zum Beispiel über eine Niederlassung in Shanghai, die das Tor zum chinesischen Markt öffnen helfen könne.

"Ich sage meinen Studenten immer: Deutschland ist groß geworden durch KMU`s", führte Professor Cornelia Scott von der Hochschule Anhalt aus. Allein an der Hochschule studieren rund 2300 ausländische Studenten aus über 100 Nationen, wie sie sagte. Der Salzlandkreis könne wirtschaftlich von der Internationalität profitieren - wenn neue Absatzmärkte gefunden werden.

Die oft andere Struktur der Behörden und die fremde Sprache seien für kleinere Firmen in der Regel die größten Hemmnisse, um Export-Partner zu finden, meinte Landrat Bauer auf die Frage von Moderator Helmut Ibsch von der Salzlandsparkasse, was denn der Landkreis für eine größere Internationalisierung tun könne. Es sei schlichtweg nötig, sich auf der eigenen Homepage nicht nur in deutscher Sprache zu präsentieren. "Was wir als Landkreis bieten können, ist das Einbinden in ein Netzwerk." Dass auch kleine und mittelständische Firmen Außenhandelsbeziehungen unterhalten können, machte der Landrat an der Tornitzer Firma Henschel Metallbau GmbH als Beispiel fest. Firmenchef Eckhard Henschel weilte unter den Gästen des Abends.

Einen breiten Raum nahm schließlich die russische Krise ein. "Sie greift um sich, katalysiert durch die Sanktionen der EU", sagte Matthias Platzeck, der erst kürzlich in Moskau war. Die derzeit niedrigen Ölpreise seien für den russischen Staatshaushalt eine weitere Katastrophe. So würde der russische Staat Vergünstigungen für die Bevölkerung streichen, wie etwa die Freifahrt für Rentner in der Moskauer Metro. Leidtragende von Sanktionen seien die einfachen Menschen.

Insgesamt kann Platzeck staatlichen Boykotten gegenüber anderen Ländern nichts abgewinnen. So hätten die Amerikaner nach 50 Jahren gemerkt, dass die Sanktionen gegenüber Kuba nichts bringen und sie aufgehoben.

Die deutsch-russischen Beziehungen auf privater, politischer und auch wirtschaftlicher Ebene hält der ehemalige Regierungschef für ein "unglaubliches Geschenk". "Die Russen haben uns nach dem größten Vernichtungskrieg, den Menschen jemals geführt haben - mit mehr als 20 Millionen Toten auf russischer Seite - Vergebung und Versöhnung angeboten. Das ist meines Erachtens eine ungeheuer große gesellschaftliche Leistung." Jetzt gehe leider vieles kaputt, was sich über Jahrzehnte aufgebaut hat. Für den Salzlandkreis weiß Birgit Stodtko von bislang einem Unternehmen, das infolge der Sanktionen Konkurs anmelden musste.

Russen schätzen eigene Tomaten

Russland, so Platzeck, orientiere sich aufgrund der Handelsbeschränkungen mit Europa verstärkt auf den asiatischen Markt. "Die Russen haben durch die Sanktionen entdeckt, dass die eigenen Tomaten aus dem Süden besser schmecken als die, die sie zwei Jahrzehnte lang gegessen haben, nämlich die holländischen. Die werden sie auch nicht mehr bestellen, selbst wenn sie dürften."

Zur gegenwärtigen Problematik des anhaltenden Flüchtlingsstromes schätzte Platzeck ein, dass "wir die größte Völkerwanderung seit Ende des Zweiten Weltkrieges erleben". Und: "Es sind noch Millionen Menschen unterwegs." Seine Forderung an die Politik: "Wir müssen uns der Mühe unterziehen, in den Herkunftsländern zu helfen, wo es nur geht." Noch einmal nahm Platzeck die deutsche Politik in die Kritik als er argumentierte, dass sie an der Flüchtlingswelle nicht ganz unschuldig sei. "Früher haben wir zu DDR-Zeiten gesagt, die Genossen in Berlin werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Was vielleicht gar nicht stimmte. In Teilen ist das heute noch so."

Es sei freilich nicht zu verhindern, dass mit einer solchen Flüchtlingswelle auch "Vollpfosten" nach Deutschland kommen. Solche und solche gäbe es dort genauso wie hier. Auf die Frage des Schönebecker Unternehmers Michael Spandau, wie Zuwanderer schneller in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden könnten, meinte Platzeck: "Wir müssen ein bisschen undeutsch sein und auf einen Teil des umfangreichen Regelwerkes bei der Registrierung von Bürgerkriegsflüchtlingen verzichten." In vielen Bereichen des Arbeitsmarktes würden Fachkräfte dringend gebraucht. Zuwanderer seien eine Bereicherung. Platzeck rückblickend in das 18. Jahrhundert: "Die brandenburgische Speisekarte möchte ich mir nicht vorstellen, wenn die Hugenotten nicht gekommen wären."