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Serie: Barbyer Kleinstadtgeschichten Hühner gackern plötzlich in Heymanns Laden

28.05.2011, 04:27

In loser Folge erscheinen in der Volksstimme zukünftig heitere Barbyer Kleinstadtgeschichten, die im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts spielen und die Wilhelm Busch als Vorlage hätten dienen können. Der Lehrer Willi Otto schrieb sie kurz vor seinem Tod 1965 in Ich-Form. Sie wurden nur leicht gekürzt und redaktionell etwas bearbeitet. Den Auftakt bildet der Streich "Die Hühner im Textilgeschäft".

Barby (tli). Wir kamen mittags aus der Schule und waren auf dem Heimweg gerade am Postamt an der Marktecke angelangt. Ehe wir uns in die verschiedenen Richtungen Tempelgasse (heute Postgasse), Breite Straße, Markt trennten, bemerkten wir plötzlich eine Schar Hühner auf der Marktstraße. Vermutlich kamen sie aus Bauer Mendorfs oder Nebelungs Hoftor. Sie hatten sich in der heißen Sommerhitze einen Ausflug erlaubt und kamen pickend die Straße herauf.

Eine Zeitlang beobachteten wir die Tiere, dann kam uns ein listiger Gedanke: Bei dem Kramzeugladen von Heymann Chaim stand die Tür offen. Dem Händler war es in der Hitze offenbar zu stickig in seinem Geschäft geworden. Der Laden selbst war leer. Schläfrige Ruhe lag über dem Städtchen, wie es an solchen Sommertagen nicht ungewöhnlich ist.

Die Einzigen, die sich bewegten waren wir. Unsere Idee ließ uns quirlig werden.

Es dauerte auch nicht lange und wir hatten die Hühner da wo wir sie haben wollten: im Laden!

Auf die Chemisettes ...

Schnell machten wir die Ladentüre zu, hatten aber nicht bedacht, dass diese mit einem Geläut versehen war, das sich natürlich sofort meldete.

Schnell liefen wir auf die andere Straßenseite und starrten bei Kaufmann Barsch in das Schaufenster, wo sich Heymann Chaims Laden spiegelte. So konnten wir scheinbar unbeteiligt das Geschehen beobachten.

Es dauerte nicht mal eine halbe Minute, da flog die Tür des Kramladens auf und ein halbes Dutzend flatternder und spektakelnder Hühner schoss heraus. Ihnen hinterher der wütende Heymann mit der Elle in der Hand.

Die wenigen Passanten, die gerade des Weges kamen, blieben verblüfft stehen. Beim jüdischen Kaufmann Chaim gab es Hemden, Hüte, Zwirn, Scheren, Kleiderstoff oder Garne aller Art, aber doch kein Federvieh! Hatte er etwa sein Sortiment erweitert?

Der aufgelöste Händler prustete voller Zornesröte los: "Gott der Gerechte! Haben mir die Hühner doch all\' meine Chemisettes beschissen!"

Wie das möglich geworden war, fand er nie heraus.