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Die historische Turmkugel Wer mit wem - verrät die Kugel auch

Die Zahl der Witwer, die im Jahre 1900 in Güsten mit Jungfrauen vermählt
wurden, ein Foto seiner Majestät Kaiser Wilhelm II., eine
Bezugsberechtigung für Gemüsesaatgut für das Jahr 1948 - das und viel
mehr gaben die Dokumente aus der Rathausturmkugel preis, als sie bei der
jüngsten Dachsanierung geöffnet wurde. Eine Sammlung gibt zudem
Auskunft darüber, mit welchen Zeitzeugen die Kugel nun ergänzt wurde.

Von Falk Rockmann 27.11.2014, 02:13

Güsten l Nach den vorliegenden Dokumenten muss es in diesem Jahr das fünfte Mal seit dem Turmbau 1906 gewesen sein, dass die Kugel von der Rathausspitze geöffnet wurde. Bürgermeister Helmut Zander nannte 1913, als der "Turmknopf" repariert wurde, 1953 anlässlich einer Wetterfahnen-Reparatur, 1973 erhielt das Rathaus ein neues Dach und 1981 sei der Turm das letzte Mal repariert worden. Der Heimatverein Ränzelstecher, der eine Ausstellung zur Kugelöffnung anlässlich der jüngsten Dachsanierung im Ratskeller gestaltete, hatte die Funde vier Umschlägen zugeordnet, um sie erneut in die Kugel zu geben.

Das Interesse für die jeweiligen fotokopierten Inhalte war groß. Heimatvereinsvorsitzender Joachim Rosenthal und Bürgermeister Helmut Zander freuten sich jedenfalls über zwei gut besuchte Ausstellungstage. Die Besucher erfuhren zum Beispiel, dass allein Güsten laut Volkszählung von 1905 4987 Einwohner hatte, dass damals 101 Handwerksbetriebe in verschiedenen Klassen ihre Steuern bezahlten, dass ein Wachtmeister und drei Schutzmänner zu jener Zeit zur Polizeiverwaltung der Ränzelstecherstadt gehörten.

1905: 222 Geburten gegenüber 105 Sterbefällen

Neidvoll blickte Zander auf Verwaltungsbericht und Gemeindeangelegenheiten von 1905, die in 18 Seiten passten (Volksstimme berichtete). Und amüsiert gab er die akribisch festgehaltenen Fälle von Eheschließungen im Jahr 1900 zum Besten. Demnach gab es damals "54 Fälle", bei denen Junggesellen und Jungfrauen miteinander vermählt wurden, in drei Fällen heirateten Witwer Jungfrauen und in zweien Witwer Witwen. Zurück wünschten sich alle Anwesenden wohl solche Zahlen, wonach in jenem Jahr zur Jahrhundertwende 222 Geburten gegenüber 105 Sterbefällen in Güsten registriert wurden.

232 657 Personen auf dem Bahnhof abgefertigt

In den 18-seitigen Bericht passten auch Statistiken zum Verkehrswesen. So wurden in der damals wahrhaftigen Eisenbahnerstadt 232 657 Personen auf dem Bahnhof abgefertigt, 3785 Tonnen Getreide versandt und 2044 Tonnen empfangen. 225 000 Stück Briefe und Postkarten, 35 861 Ferngespräche registrierte das Post- und Fernmeldeamt Güsten.

"Jeder konnte mir erzählen, was bei der letzten Kugelöffnung alles drin war, aber keiner, wo es zu finden ist", ging der Bürgermeister noch auf die Zukunft der Sammlung ein. Alles Sehenswerte sei jetzt fotokopiert und auf CD gebrannt worden, versicherte er nachfolgenden Generationen. Die Sammlung gehe in den Fundus des Heimatvereins über. "Die Mitglieder wissen, wo sie`s wiederfinden."

Schwer zu sagen, wie künftige Generationen über heutige Zeitzeugen denken werden, sollte die Turmkugel irgendwann mal wieder vom Güstener Rathaus geholt werden. Ergänzt wurde der bisherige Inhalt unter anderem mit der Staßfurter Volksstimme vom 6. August 2014, mit einem Bildband der 140-jährigen Feuerwehr von 2012 und dem Geschäftsbericht der SALEG über die Stadtkernsanierung.

Ein Foto, ähnlich dem von 1906, durfte natürlich nicht fehlen - mit Bürgermeister und Bauhofleiter an der Turmspitze, die übrigens etwa drei Meter hoch ist und deren (originale) Kugel aus 0,7 Millimeter starkem Kupferblech besteht.

Ein Geheimnis gaben die Bauherren künftigen Generationen übrigens auch mit in die Kugel. Zumindest heißt es im Inhaltsverzeichnis für den "Umschlag 2014" zu einem Foto: "Mitarbeiter des Bauhofs der Stadt Güsten beim Verschließen der Wetterfahne mit Kugel 2014". Namen sind Schall und Rauch ...