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Besuchermagnet Kirche in Glinde lockt

Einen interessanten Nachmittag organisierte der Glinder Museums- und
Heimatverein. Christina Fabian führte durch die Matthäuskirche.

Von Thomas Linßner 22.04.2015, 20:22

Glinde l Christina Fabian sitzt normalerweise als landwirtschaftliche Baccalaurea auf dem Trecker. Die 26-Jährige trägt den akademischen Grad Landwirtschafts-Bachelor. Doch ihr Hobby ist die Regionalgeschichte. Das merkte man, als Christina am vergangenen Sonnabend durch die Matthäuskirche führte. Sie erklärte die kleinen, vermeintlich nebensächlichen Dinge, die in keiner Chronik stehen, aber oft das Salz in der Suppe sind. "Sind Ihnen schon mal die beiden Türmchen an der Ostseite aufgefallen?", wollte sie wissen. Einige der Anwesenden nickten eifrig. Allerdings hielten sie sie für baulichen Zierrat, der an Gebäuden aus der Zeit des Historismus üppig vertreten ist. (Diese Epoche griff auf ältere Stilrichtungen zurück und kombinierte sie fröhlich.)

Raketenöfen

"Das sind Schornsteine. Bis 1976 standen rechts und links des Altars zwei Raketenöfen, die dann von einem Heißluftofen ersetzt wurden." Die Bauplaner Kaiser Wilhelm des Ersten versteckten die schnöden Schlote geschickt in dem üppigen Architektur-Mix, als handele sich es um Zierrat. Es muss drollig ausgesehen haben, wenn St. Matthäus auf Temperatur gebracht wurde. Dann dampfte das Gotteshaus wie ein Elbdampfer aus zwei Schornsteinen, als wolle es das Blaue Band erringen.

Schwarze Kappe

"1844 soll die alten Kirche vom Blitz getroffen und danach aufgegeben worden sein", erklärte Christina Fabian. Die stand auf dem Friedhof, woran noch die heutige Kapelle erinnert. Am Reformationstag 1850 weihten die Glinder zumindest schon mal den neuen Kirchturm ein. Der fristete wie ein mahnender Zeigefinger Gottes 34 Jahre lang vollkommen allein stehend sein Dasein, bis 1886 endlich das Kirchenschiff angebaut wurde. "Die Gründung war sicherlich nicht einfach, weil sich an dieser Stelle ein Tümpel befunden haben soll", erklärte die 26-Jährige. Eine der alten Glocken bimmelte zwischen Abriss und Turmfertigstellung im "Pastorhaus". Ein typisch Glinder Begriff, wo man andernorts doch fast immer vom "Pfarrhaus" spricht.

"Lazarushaue"

Apropos, Pastor. Ein den alten Glindern und Pömmeltern noch gut bekannter Seelsorger hieß Werner Beck. Der trug eine hohe, schwarze Kappe, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts Mode war. Seine Kopfbedeckung ist derzeit im Glinder Lichtmessmuseum zu sehen und wird sogar heute noch zuweilen getragen. Allerdings bei so weltlichen Anlässen wie der "Lazarushaue", ein internes Fest nach der Lichtmessfeier, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur für beteiligte Männer stattfindet. Das erzählte Chris Werner vom Bibliotheksverein, der die Kappe zusammen mit anderen Utensilien im Museum ausstellte.

Scheune versteckt

Doch zurück zu Christinas Kirchenführung. Sie bewies den Anwesenden, wie schön die Rühlmannorgel klingt, führte grüppchenweise durch den engen Turm oder erklärte ein zeitgeschichtliches Detail, das kaum jemand kennt: "Zu Kriegsende gab es im April 1945 einen Angriff auf Glinde, wo auch die Kirche beschädigt wurde." Dabei ging ein Bleiglasfenster auf der Südseite zu Bruch, das an ein dreiblättriges Kleeblatt erinnert. Der Stellmacher des Ortes stabilisierte es mit einem Holzrahmen. Ein Provisorium, das ausgetauscht werden sollte, wenn dereinst bessere Zeiten anbrechen. So dachte man jedenfalls damals. "Das lassen wir so und verändern es nicht. Es erinnert an die Kriegseinwirkungen", deutete die junge Frau auf das Fenster.

Diskussion

Als letztes erklärte Christina Fabian das Kriegerdenkmal vor der Kirche, das ursprünglich für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges aufgestellt wurde. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Glinder alle Namensplatten der Gefallenen in einer Scheune versteckt. In Zeiten politischer Bilderstürmerei befürchtete man deren Zerschlagung. Anfang der 1960er Jahre gelang dann etwas, das anderenorts erst nach der Wende passierte: Auf dem Denkmal wurden nun auch die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs und sogar die Männer der Heimatvertriebenen aufgeführt. Der charismatische Pastor Beck soll damals argumentiert haben, dass das im Naumburger Dom ja auch möglich gewesen sei. Was beim Rat des Kreises eine nicht gerade geräuschlose Diskussion auslöste, in der die Glinder aber Sieger blieben.

Parteisekretär

Episode am Rande: Als am Ende der Führung alle Besucher vor der Kirche standen, machte der Glinder Andreas Puder augenzwinkernd auf etwas aufmerksam: "Die Betonplatten, wo sie gerade drauf stehen, hat damals der Parteisekretär verlegt." Helmut Fabian, Vater von Christina und Kirchenrat, winkte belustigt ab: "Stimmt! Damals spielten sich in Glinde Szenen ab, wie zwischen Don Camillo und Peppone."