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In der Familie von Inge Gotowka wird die Städtepartnerschaft sprichwörtlich gelebt Staßfurt? Lehrte? Beides!

Von Daniel Wrüske 19.05.2015, 03:28

Inge Gotowka hat am Wochenende in Staßfurt ihren 83. Geburtstag gefeiert. Freunde und Familie feierten die Jubilarin. Mit dabei war auch Tochter Sigrid Deichsel. Sie lebt jetzt in Staßfurts Partnerstadt Lehrte.

Staßfurt l 170 Kilometer liegen zwischen den Partnerstädten Lehrte und Staßfurt. In Zeiten der Motorisierung werden gut zwei gemütliche Fahrstunden für die Strecke gebraucht. Alles machbar. Doch es ist ruhig geworden um die Verbindung. Sie lebt in privaten Freundschaften, im Vereinsaustausch, in gegenseitigen offiziellen Besuchen bei Festen, Sport- und Kulturereignissen. Täglich präsent aber ist die 1988 geschlossene Städteehe bei weitem nicht.

Ganz anders ist das bei Inge Gotowka aus der Bodestadt und ihre Lieben. Für sie ist die Achse Staßfurt Lehrte Familienalltag geworden. Blut ist dicker als Wasser, und im Fall der Familie aus Staßfurt schwerwiegender als so mancher Autobahnkilometer. Inge Gotowkas Tochter Sigrid Deichsel hat es nämlich nach Niedersachsen verschlagen. Am Sonntag hat Inge Gotowka ihren 83. Geburtstag gefeiert. Die Volksstimme hat wie durch einen schönen Zufall von der "gelebten Städtepartnerschaft", wie Sigrid Deichsel ihre doppelten Familienstammsitze liebevoll nennt, erfahren. Und nachgehakt, wie das funktioniert.

"Es ist schön, wenn immer alle zusammen sind."

Immer wenn eine Feier in der Familie oder ein Fest im Jahreskreis anstehen, beginnt das Reisen. Entweder, die 56-Jährige kommt hierher, oder sie holt Inge Gotowka zu sich. "Zu Pfingsten sind wir wieder in Lehrte zusammen", blickt Sigrid Deichsel voraus. Ihre Mutter ist dann mehrere Wochen bei ihr und hat so auch die schöne Gelegenheit, den jüngsten Familiennachwuchs zu erleben. Denn Inge Gotowka ist bereits Urgroßmutter. Für sie sind diese Treffen wichtig. "Es ist immer schön, wenn alle zusammen sind", sagt die Seniorin.

So etwas wie eine zweite Heimat ist Lehrte aber dennoch nicht geworden. Dafür hängt das Herz doch zu sehr an der Bodestadt. "Hier sind meine Freunde, meine Geschwister leben hier, ich habe mein kleines Häuschen und die lieben Nachbarn", sagt die 83-Jährige, die in Hecklingen geboren, als eins von fünf Geschwistern aufgewachsen ist, und die es der Liebe wegen damals nach Staßfurt verschlagen hat. Kein Grund also, in die Ferne zu schweifen.

Für Sigrid Deichsel ist Staßfurt inzwischen zur Ferne geworden. Einzige Ambition für sie in die Salzstadt zu kommen ist ihre Familie. "Lehrte ist mein Zuhause geworden. Dort bin ich angekommen", sagt sie.

In Staßfurt ist Sigrid Deichsel geboren und erwachsen geworden. Im Achslagerwerk hat sie 14 Jahre lang als Zerspanungsfacharbeiterin gearbeitet. "Das war anstrengend, vor allem wegen der Schichten." Aber wie viele ihrer Generation hat sie sich damit arrangiert, Beruf und Familie gemeistert.

Mit der Wende hat das alles ein jähes Ende gefunden. "Zuerst mussten alle Frauen gehen." Unter ihnen auch die Anfangdreißigjährige. Im Betrieb gingen nach und nach die Lichter aus. "Das war völlig neu für mich, ohne einen Job da zu stehen, zum Arbeitsamt zu müssen." Es folgt eine Umschulung zur examinierten Altenpflegerin. Die junge Frau besteht damals mit Bravur. Unter vierzig Teilnehmern ist sie eine von zwei Lernenden, die mit der Note 1 abschließt. Doch eine Stelle fand sie hier nicht.

"Sonntags war ich da, donnerstags habe ich angefangen zu arbeiten."

War es Ungeduld? Oder Tatendrang? Sigrid Deichsel wollte nicht zu Hause herumsitzen und warten bis die Behörde ihr etwas anbietet. "Wir setzten uns an einem Wochenende einfach ins Auto, sind nach Helmstedt gefahren und haben gesucht, wo Leute gebraucht werden. Hauptsache ein Job, egal ob hier oder drüben." Zunächst erfolglos.

Doch der Zufall spielt mit. Eine Freundin aus Lehrte ermuntert Sigrid Deichsel, dass es auch dort zu probieren. Tatsächlich klappt es. "Sonntags war ich da, donnerstags habe ich angefangen zu arbeiten." Die Wohnung des Bekannten der Freundin war wochentags frei, so hatte sie gleich eine Bleibe. Ihre Kinder haben noch das Schuljahr in Staßfurt beendet und die Obhut von Inge Gotowka genossen. Dann kamen sie nach. Die Familie schlug Wurzeln, heute stehen sie fest im Lehrter Boden. Sigrid Deichsel hat ihre Anstellung einmal gewechselt. Jetzt ist sie Frührentnerin.

In Staßfurt ist sie gern. Zurückkommen möchte sie nicht. "Ich genieße die Momente, wenn wir hier spazieren und die Leute sagen: Mensch schön! Du bist auch mal wieder da. Aber Heimatstadt ist Lehrte." Merkt man eigentlich im niedersächsischen Kleinstadtidyll etwas von Staßfurt? "Außer einem Schild zur Städtepartnerschaft am Rathaus nichts", sagt Sigrid Deichsel und schüttelt mit dem Kopf. Und dann zieht es sie doch raus in die Bodestadt. Denn bei einem Treffen in Staßfurt darf eins nicht fehlen: der Ausflug in den Tierpark.