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Die Heisig-Schülerin Christl Maria Göthner stellt im Schloss Hohenerxleben aus: Ihr gefällt alles, was Seele hat

Von Caroline Vongries und Ulrich Meinhard 20.05.2010, 05:18

In der Serie Werkstattbesuch geht es diesmal um eine Künstlerin aus Leipzig, die für ihre Ausstellung im Salzlandkreis für einige Tage ihr Atelier hierher verlegt hat, ins Schloss Hohenerxleben. Christl Maria Göthner war Meisterschülerin bei Professor Bernhard Heisig, einem der Begründer der Leipziger Schule, zwei Jahrgänge vor Neo Rauch. Sie ist einen eigenwilligen Weg gegangen, jenseits der Neuen Leipziger Schule.

Hohenerxleben. Im Ahnensaal des mehr als 800 Jahre alten Bodeschlosses wird sonst gefeiert und vor allem: geheiratet. Seit April 2005 ist der holzvertäfelte Raum, in dem bis in die 60er Jahre jahrhundertelang die Portraits der Familie von Krosigk von den Wänden blickten, eine Außenstelle des Standesamtes Staßfurt. Jetzt liegen dicke Plastikplanen über dem alten Eichenparkett. Farbtöpfe, Pinsel, Kisten, halbfertige Leinwände, Rahmen, ein Arbeitstisch, ein paar abgedeckte Stühle, eine Leiter geben ein reizvolles Stillleben ab. Mittendrin die Künstlerin im farbbeklecksten Kittel, mit leuchtenden Augen. Mehrere Tage hat Christl Maria Göthner in ihrem Atelier auf Zeit gearbeitet. Pfingstsonntag wird die Ausstellung, die sich über die komplette erste Etage des Schlosses Hohenerxleben zieht, eröffnet: "Hoch-Zeit". Passend zu dem Raum, mit dem sich Göthner am intensivsten auseinandergesetzt hat: dem Hochzeitszimmer.

Bevor sie an diesem Abend bereit ist, ein Interview zu geben, will sie die Berichterstatterin erst noch kurz porträtieren, drückt sie auf einen Stuhl, nimmt mit den Augen Maß. Ihre Hände gleiten dabei bereits über den Skizzenblock. "Jetzt erzählen Sie mir etwas von sich, bevor es nachher umgekehrt ist", sagt sie. Es geht um das Loslassen der Kinder, das die Künstlerin als Mutter eines Sohnes ebenfalls immer wieder intensiv erlebt. Um die Veränderung des Raums durch diese zum Teil großflächigen, farbenprächtigen Bilder. Um die schöpferische Kraft des Augenblicks. Bei ihrer Arbeit und im Gespräch kommt Christl Maria Göthner den Dingen und Menschen ganz nah. "Es geht nur so", sagt sie. "Was ich nicht fühle, kann ich nicht malen."

Für den Ahnensaal hat die im sächsischen Bad Lausig und in Grimma aufgewachsene Künstlerin erstmals mit Holzschnitten gearbeitet. Gedruckt hat sie nicht auf Papier, sondern auf weißglänzende Wildseide. Als Anspielung auf das Thema Hochzeitskleid. In den vor Farbigkeit vibrierenden Bildern sind mehrere Schichten übereinander gedruckt. Bei genauerem Hinsehen finden sich hinter den Blumen und sonstigen Mustern überall Paare. Mit dieser Technik knüpft Göthner an ihre frühesten Wurzeln an. "Mein Großvater hat Holzschnitte gemacht, er war der erste wichtige Mensch, über den ich mit Malerei in Verbindung gekommen bin." Als Johannes Oliva starb, war sie 13, erbte seine Ölfarben, malte am liebsten für sich selbst. "Ich wusste nicht, dass Maler ein Beruf sein kann", sagt sie heute zu ihrem weiteren Werdegang. Klar war ihr aber, dass weder Lehrer, wie Eltern und Großeltern, noch Werbegrafiker das Richtige für sie war. Also bewarb sie sich in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, wurde sofort angenommen. Bernhard Heisig, Mitbegründer der Leipziger Schule, war eine weitere prägende Begegnung, die bis heute wirkt. "Vieles konnte ich damals gar nicht so aufnehmen, ich war mit ganz anderen Dingen beschäftigt: Kind, Scheidung, aber jetzt wird es immer wichtiger." Heisig sei einfach eine Persönlichkeit, so Göthner, "wenn er damals zur Tür hereinkam, hat man das sofort gespürt." Bis heute hält der Kontakt zu dem 85-Jährigen. "Er ist ein Gefühlsmensch, ohne dass er den Kopf vernachlässigt."

Zur Neuen Leipziger Schule, die bis in die USA nach der Wende gefeiert wurde, hat Christl Maria Göthner eine differenzierte Meinung. "Die Bilder von Neo Rauch sind großartig, handwerklich sowieso, aber auch in ihrer Wucht." Sie hat sich die neue Retrospektive gerade angesehen. Doch was die Neue Leipziger Schule wirklich ist, "da wird man erst in Zukunft herausfinden, was Bestand hat", meint Göthner, die zwei Jahrgänge vor Rauch studiert hat. An zeitgenössischer Kunst gefällt ihr "alles, was Seele hat".

Künstlersein ist für Christl Maria Göthner das ständige Ringen um die eigene Handschrift. "Bei jedem Bild fange ich immer wieder von vorne an, dann muss es aber in einem Ruck bewältigt werden." Malen, das ist für sie auch anstrengende Arbeit. Die Holzschnitte forderten sie körperlich. Obwohl es für sie eine Erfahrung war, die sie in hohem Maß befriedigt hat. "Ich konnte einfach loslassen, brauchte nicht vorzeichnen, konnte direkt mit dem Holz arbeiten." Ihre Druckstöcke hat sie aus einem alten Schrank ihrer 98-jährigen Großmutter gebaut. Es muss frei fließen, ist ihr Credo, auch frei von den eigenen Erwartungen.

Für die Ausstellung im Schloss Hohenerxleben hat Christl Maria Göthner neben den Holzdrucken nicht nur Blumen- und Landschaftsbilder mitgebracht. Sie hat vor Ort auch die Stiftungsmitarbeiter porträtiert. Ausdruck ihres eigenen Wandlungsprozesses. "Ich will mit meinen Bildern nicht nur mich selbst erreichen." Nachdem sie in den vergangenen Jahren viele Selbstportraits angefertigt hat, geht es ihr jetzt um das Gegenüber, "das vielleicht ganz anders ist als ich". Den Menschen so anzunehmen wie er ist, dafür stehen für sie die Kohlezeichnungen, die alle "nebenbei" entstanden sind. Ihr gehe es aber darum, dass sich die Menschen in der Ausstellung wiederfinden. "Für mich hat natürlich den meisten Wert, was künstlerisch den stärksten Ausdruck hat." Am besten sei ihr das bei den Kinderportraits gelungen.

Manche hat sie in Öl oder Acryl nachgearbeitet. Wie intensiv sie arbeitet, eine Ausstellerin hat Christl Maria Göthner einmal "eine manische Arbeiterin" genannt, wird noch einmal im Ahnensaal deutlich. Dort hat sie binnen einer Woche die noch freie, mehrere Meter messende Leinwand direkt in der Holzvertäfelung ausgemalt. Stündlich veränderte sich, wuchs das Motiv, erst ein Paar, dann viele Tänzerinnen, Köpfe, Linien, die ein Miteinander feiern. Immer wieder legte sie Hand an, erfand neu, übermalte. "Man kann den eigenen Weg nicht abkürzen", lautet ihre Erfahrung. "Wenn man ein Bild zur Seite legt, und das Thema noch nicht bewältigt hat, dann kommt es einem immer wieder entgegen." Wichtig für sie war immer die Musik. Mit dem bekannten Leipziger Jazzpianisten und -komponisten Stephan König teilt sie Leben und ihrer beider Kunst. Auch das spiegelt sich im Thema "Hoch-Zeit" wieder. Die Ausstellungseröffnung am Pfingstsonntag, 23. Mai, um 10.30 Uhr wird Stephan König gemeinsam mit Friederike von Krosigk musikalisch umrahmen. Die Künstlerin selbst wird anwesend sein.