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Pflegeeltern über " Kinder auf Zeit " und ihr anspruchsvolle Aufgabe : Für die Aufgabe muss man gewappnet sein

Von Kathleen Radunsky-Neumann 19.11.2009, 05:52

Im Salzlandkreis arbeiten drei Vereine, die sich für die Belange von Pflegeeltern und deren " Kindern auf Zeit " einsetzen. Jetzt haben sich die Gruppen aus Schönebeck, Aschersleben-Staßfurt und Bernburg zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengetan, um ihren Mitgliedern noch besser unter die Arme greifen zu können und künftige Pflegeeltern auf die Verantwortung und die Herausforderungen vorzubereiten.

Schönebeck. Drei Frauen, die auf den ersten Blick nichts gemein haben. Die eine kommt aus Giersleben, die andere aus Tornitz und die dritte aus Schönebeck. Auch das Alter und das Aussehen sind unterschiedlich. Doch diese drei Frauen verbindet ein Aspekt maßgeblich. Sie nehmen Pflegekinder in ihren Familien auf.

Im Volksstimme-Interview erzählen sie einmal offen, wie schwierig sich die Aufgabe zeigt, die sie auf sich nehmen. Denn entgegen der weitläufigen Vorstellung von dem " blonden Lockenkopf, der überglücklich ist, in der neuen Familie zu leben ", wie es Kathrin Lichtenberg gern umschreibt, ist eher das Gegenteil der Fall. " Manche Kinder haben in ihrem bisher kurzen Leben bereits so viel erlebt, das ist einfach unvorstellbar ", versucht die Vorsitzende des Landesverbandes für Pflege- und Adoptiveltern die Mädchen und Jungen zu beschreiben. Dass diese eher allgemeingehaltene Beschreibung einem Außenstehenden die Realität nicht wirklich deutlich macht, sieht die Pflegemutter der Volksstimme-Redakteurin an, die ihr gegenübersitzt. Also wird sie konkreter : " Ein Großteil hat eine Alkoholschädigung. " Das heißt, statt eines freudestrahlenden Lockenschopfes nehmen die Familien solche Kinder auf, die Schwierigkeiten im Sozialverhalten haben, unter Gleichgewichtsstörungen leiden und selten Emotionen zeigen. " In der vergangenen Woche hat mein Kleiner zum ersten Mal geweint ", berichtet die freundliche Frau in diesem Zusammenhang. Da der Junge, der bereits seit fünf Jahren bei ihr lebt, noch nie Gefühle gezeigt habe, und an Weinen schon gar nicht zu denken sei, habe sie sich über diesen Gefühlsausbruch so sehr gefreut, " dass ich selbst weinen musste. "

Christa Schumann kann diese Reaktion verstehen. Die 56-Jährige nimmt selbst seit 13 Jahren Pflegekinder auf und hat ähnliche Erfahrungen gesammelt. " Kürzlich ist mein Kind von allein aus seinem Zimmer gekommen ", berichtet die Giersleberin, die vor acht Jahren den Pflegeelternverein Aschersleben-Staßfurt gegründet hat. " Das kann ich keinen normalen Eltern erzählen ", versucht sie das Unglaubliche an dieser Kleinigkeit zu beschreiben. " Mein Sohn ist sieben Jahre lang nur aus seinem Zimmer gekommen, wenn ich ihn direkt dazu aufgefordert hatte. " Dass sich das Kind nun getraut habe, selbständig zu entscheiden, dass es aus seinem Zimmer herauskommt, sei für Christa Schumann ein Fortschritt. " Gerade diese kleinen Dinge im Alltag, die für andere selbstverständlich sind, haben für uns große Bedeutung ", fügt Kathrin Lichtenberg hinzu.

Der Schönebecker Pflegeelternverein wurde im Mai 1996 von elf Personen ins Leben gerufen. " Wir waren der zweite Verein, der sich in Sachsen-Anhalt gegründet hat ", erinnert sich Kathrin Lichtenberg. Von Anfang an war es den Ehrenamtlichen wichtig, ein Angebot für Pflegeeltern anzubieten, das theoretisches Wissen vermittelt und praxisbezogen ist. Lichtenberg : " Keiner kann sich wirklich vorstellen, was auf ihn zukommt. " Deshalb versuchen die Frauen und Männer, die sich in dem Verein engagieren, bei diversen Treffen und Veranstaltungen, den potentiellen Pflegeeltern genau das klar zu machen.

In Sachsen-Anhalt existieren 16 Pflegeelternvereine. Die drei Vereinigungen aus Schönebeck, Aschersleben-Staßfurt und Bernburg haben sich nun im Zuge der Bildung des Salzlandkreises zu einer Arbeitsgemeinschaft ( AG ) zusammengetan. " Wir wollten uns nicht zu einem gemeinsamen Verein zusammenschließen, weil wir schon allein durch unsere unterschiedlichen Entstehungsgeschichten eigene Strukturen gebildet haben ", erzählt Lichtenberg, für die es in diesem Zusammenhang auch um den Erhalt der regionalen Strukturen ging. In der AG " Interessenvertretung der Pflege- und Adoptiveltern des Salzlandkreises " sollen unter anderem gemeinsame Weiterbildungen stattfinden. So haben sich die Verantwortlichen schon überlegt, im nächsten Jahr einen Termin mit der Präventionsbeauftragten des Landes zu organisieren. Denn : " Pflegekinder sind empfänglicher für Drogen. "

Damit die Eltern jedoch auf diesen Aspekt besser vorbereitet sind, " müssen wir sie hellhörig machen ", formuliert Christa Schumann ein wichtiges Anliegen. Bereits im vergangenen Jahr haben die Mitglieder aus Aschersleben-Staßfurt eine ähnliche Veranstaltung besucht. " Wir waren total überrascht, was man mit den einzelnen Teilen alles machen kann ", berichtet die 56-Jährige weiter. Dass die Pflegeeltern mit diesem Wissen ihre Kinder nicht von Drogen fernhalten können, dessen sind sich die Vereinsmitglieder bewusst. Vielmehr wollen sie dafür sensibilisieren, dass die Erwachsenen gegebenenfalls die Zeichen erkennen, um frühzeitig und der Situation entsprechend zu handeln.

Grundsätzlich ist es den Vereinen wichtig, den Paaren, die vorhaben, ein Pflegekind aufzunehmen, deutlich zu machen, welche Verantwortung sie sich tatsächlich aufbürden und mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen haben. " Manche Pflegekinder haben so viel Misstrauen, Gewalt und Missbrauch in ihrem kurzen Leben erlebt, dass sie letztlich stark verhaltensauffällig sind ", versucht Kathrin Lichtenberg die Brisanz zu beschreiben. " In dem Fall steht man vor einer Aufgabe, für die man gewappnet sein muss ", nennt die Schönebeckerin das Fazit ihrer Erfahrungen.

Seit 1996 hat die Vorsitzende des Landesverbandes mit ihrem Mann sieben Kinder aufgenommen, zwei leben noch heute in der Familie. " Unser erstes Pflegekind mussten wir nach kurzer Zeit wieder abgeben ", erinnert sich Kathrin Lichtenberg. Dieser Entschluss habe jedoch nichts mit Unkenntnis zu tun, vielmehr mit Überforderung. " Danach denkt man, man selbst ist schuld ", sagt die engagierte Frau, die sich nicht zurückstoßen ließ, sondern einen neuen Versuch startete. Dabei liege es in solchen Fällen meist daran, dass Kind und Familie schlichtweg nicht zusammenpassen. Um gerade mit solchen Erfahrungen richtig umzugehen, " ist es wichtig, mit anderen Pflegeeltern ins Gespräch zu kommen ".

Der regelmäßige Austausch hat die 17 Pflegefamilien im Altkreis Schönebeck, 27 Familien in der Region Bernburg sowie 16 Familien im Raum Aschersleben-Staßfurt mittlerweile zu einer Gemeinschaft werden lassen. " Das hatten wir bei uns auch ", seien dann Aussagen, die häufig dazu beitragen, ohne Bedenken die Erfahrungen auszutauschen und den Einzelnen in seinem Handeln bestärken. Gleichermaßen versuchen die erfahrenen Pflegeeltern den " Neulingen " beizubringen, dass sie ihre Familie für ein fremdes Kind öffnen, das " ein Kind auf Zeit ist ". Dass der Abschied am Ende auch emotional werde und für manche Träne sorge, hat die Schönebeckerin selbst schon erlebt. Dann helfe der Gedanke, dass " ich dem Kind Werte vermitteln konnte und es darauf vorbereitet habe, sein Leben zu meistern ", sagt Kathrin Lichtenberg.