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Amtsgericht Stendal sprach Urteil im hochemotionalen Prozess / Richterin beklagt "Mauer des Schweigens" Tod eines 17-Jährigen kostet drei Monatsgehälter

Von Wolfgang Biermann 12.06.2013, 01:21

Stendal l 9000 Euro, drei Netto-Monatsgehälter, Geldstrafe für den Geschäftsführer von Altmarksaaten Stendal GmbH und Freispruch für einen bei ihm angestellten Lagerhilfsarbeiter - am Montag sprach das Amtsgericht Stendal am Ende des zweiten Verhandlungstages das Urteil im hochemotionalen Prozess um den tragischen Unfalltod des 17-jährigen Stendaler Schülers Philipp G.

Dieser war allseits beliebt und galt als großes Fußballtalent des 1. FC Lok Stendal. Bei Altmarksaaten war er für 14 Tage in den Sommerferien für Fege- und Hilfsarbeiten eingestellt. Angebahnt hatte den Ferienjob sein Vater, ein Duzfreund des 62-jährigen Altmarksaaten-Chefs. Um die Mittagszeit am 26. Juli 2010 kippte Philipp mit einem Gabelstapler, den er aufgrund fehlender Berechtigung gar nicht hätte fahren dürfen, um. Er wurde aus dem Sitz geschleudert und förmlich unter dem Stapler von fast sieben Tonnen Leergewicht begraben.

Dabei zog er sich schwerste innere Verletzungen zu, an denen er in einem Krankenhaus in Magdeburg am selben Abend verstarb. Nach mehrstündiger Notoperation war er vom Stendaler Krankenhaus mit dem Hubschrauber dorthin gebracht worden.

Vater des Opfers urteilt: "Menschlich erbärmlich"

Um strafrechtliche Verantwortlichkeiten für den Unfall ging es in dem Prozess vor dem Amtsgericht, bei dem der Vater von Philipp als Nebenkläger fungierte. Die Volksstimme berichtete vom Auftakt mit neun Zeugenaussagen und drei Gutachtern.

Am Montag wurden weitere fünf Zeugen, darunter die ihre Aussage verweigernde Ehefrau des Geschäftsführers sowie ein externer Sicherheitsberater von Altmarksaaten und ein Gutachter der zuständigen Berufsgenossenschaft gehört. Der Gutachter sprach von gravierenden Mängeln, die teils schon bei Kontrollen 2009 festgestellt, aber offenkundig nicht beseitigt worden waren.

In ihrem Plädoyer erboste sich die Staatsanwältin über einen "höchst unangebrachten und kläglich gescheiterten Versuch" des Angeklagten, dem Sicherheitsberater alle Schuld zuzuschieben. "Menschlich erbärmlich" nannte der Vater das Verhalten seines Ex-Freundes, weil er nicht zu seiner Schuld stehe. Die Staatsanwältin forderte 100 Tagessätze á 100 Euro, also insgesamt 10000 Euro, als Strafe und Freispruch für den 32-jährigen Lagerhilfsarbeiter, weil diesen keine Schuld am Unfall treffe.

Die Verteidigerin des Hilfsarbeiters forderte ebenfalls Freispruch für ihren Mandanten. Auch der Verteidiger des Geschäftsführers plädierte auf Freispruch. Alternativ hielt er 60 Tagessätze (6000 Euro) für angemessen.

Freispruch für einen Hilfsarbeiter

Strafrichterin Petra Ludwig folgte weitgehend den Argumenten der Staatsanwaltschaft, auch wenn sie in der Geldstrafe um 1000 Euro nach unten abwich. Auch Ludwig sah in dem angeklagten Geschäftsführer den einzigen Verantwortlichen. Sie machte dabei deutlich: "Arbeitgeber haben gegenüber Arbeitnehmern besondere Schutzpflichten."

Den Angehörigen galt ihr Beileid. "Der Tod des jungen und voller Tatendrang steckenden Philipp macht uns alle tief betroffen." Die Richterin weiter: "Wir standen hier einer Mauer des Schweigens gegenüber." Darunter wollte sie die Mehrzahl der Zeugen von Altmarksaaten verstanden wissen: "Sie wussten nichts oder konnten sich nicht erinnern."

Der Hilfsarbeiter sei freizusprechen, weil er für den Jungen nicht Vorarbeiter war, zumal er selbst keine Berechtigung zum Führen eines Gabelstaplers ("Staplerschein") besaß und somit gar nicht wissen konnte, gegen welche Vorschriften er verstieß, als er den Stapler nicht gegen unbefugtes Benutzen sicherte.

Zum Umgang mit den Verantwortlichkeiten bei Altmarksaaten sagte Richterin Ludwig: "Es scheint völlig egal zu sein, ob man einen Staplerschein hat oder nicht."

Ob der Tod des Jungen damit juristisch aufgearbeitet ist oder es weiter geht, ist offen. Sowohl der Vater als Nebenkläger als auch der verurteilte Geschäftsführer kann Rechtsmittel einlegen.