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  7. Gericht spricht Ärzte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei

Chefarzt und Assistenzärztin nicht schuld am Selbstmord einer Frau Gericht spricht Ärzte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei

Von Wolfgang Biermann 22.01.2014, 01:24

Stendal l Das Amtsgericht Stendal hat gestern den Chefarzt der Klinik für Psychiatrie/Psychotherapie im Salus-Fachklinikum Uchtspringe und eine Assistenzärztin der Klinik vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Beide waren angeklagt, für den Selbstmord einer 60 Jahre alten Frau aus dem Elb-Havel-Winkel am 7. September 2011 verantwortlich zu sein.

60-Jährige erhielt Beruhigungsmittel

Die in einem Seniorenheim lebende Patientin hatte gegenüber dem Pflegepersonal dort am Abend des 5. September bekundet, sich selbst töten zu wollen. Was sie wohl auch mit einer Strumpfhose versucht hatte. Daraufhin kam sie noch in der Nacht nach Uchtspringe, wo sie 2008 schon einmal war. Dort wurde sie von der in Facharztausbildung befindlichen Assistenzärztin (32), die gerade 24-Stunden-Dienst hatte, in der geschlossenen Abteilung aufgenommen. Wegen Überfüllung der Station war nach ihren Angaben kein Bett frei. So sei die Frau in ein Bett auf dem Flur gekommen. Sie habe ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht und am Morgen wieder nach ihr gesehen. Ihr Zustand hätte sich gebessert, darum habe sie die Patientin in ein freigewordenes Bett in einem "normalen" Zimmer unterbringen lassen. Bevor sie die Klinik nach ihrem Dienst verließ, hätte sie Kollegen mit dem Fall vertraut gemacht, darunter auch den Chefarzt. Der hatte die Patientin aber noch nicht selbst untersucht.

Das sollte am Morgen des 7. September im Rahmen einer Visite geschehen. Doch dazu kam es nicht mehr. Die körperlich wie auch geistig beeinträchtigte Frau, der es nach gestriger Aussage einer Schwester als Zeugin soweit gut gegangen sei, sollte sich im "Tagessaal" aufhalten und auf die Visite warten. Doch die Patientin schlich sich wohl aus dem Raum und erhängte sich mit dem Gürtel eines Bademantels am Fenster in ihrem Zimmer. Woher der Gürtel stammte, blieb ungeklärt.

Gutachterin sah Pflichtverletzungen

Eine Gutachterin sah Pflichtverletzungen durch beide Angeklagte, weil die "Hochrisiko-Patientin" nicht engmaschig überwacht worden sei. "Sie hätte überleben können, wenn die Sorgfaltsregeln beachtet worden wären." Die Staatsanwaltschaft sah zumindest beim Chefarzt eine Schuld und forderte eine Geldstrafe in Höhe von 48000 Euro. Dem folgte das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Thomas Schulz aber nicht, sondern schloss den Verteidigern an.

"Ein eigenverantwortlicher Suizid ist hier nicht ausgeschlossen", begründete Schulz die beiden Freisprüche. Nach einem Grundsatzurteil des Landgerichts Gießen aus dem Jahr 2012 sei Beihilfe zu eigenverantwortlichem Selbstmord nicht strafbar. Es spiele demnach keine Rolle, woher der Bademantelgürtel kam.