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Nach Eklat bei Lesung zu DDR-Unrecht: Aufarbeitung an Comenius-Schule / BBS II lädt Grafe ein Es soll in Stendal auch anders gehen

08.02.2014, 01:20

Unmittelbar nach den Winterferien werden an der Comenius-Schule weitere Konsequenzen aufgrund der öffentlich gewordenen Eskalation der Lesung des Autors Roman Grafe zum DDR-Unrecht beraten. Die umstrittene Reaktion einer Lehrerin wird auch Thema im Schulausschuss des Kreistages.

Stendal l "Wir nehmen das Thema ernst und haben uns intensiv damit befasst", heißt es aus dem Kultusministerium. Sprecher Martin Hanusch kündigt für Freitag ein Gespräch von Vertretern des Landesschulamtes und der Landeszentrale für politische Bildung an, um der Schule "Unterstützung und Beratung" anzubieten. Hanisch: "Angebote könnten eine schulinterne Lehrerfortbildung oder ein Projekttag in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn sein."

"Ich werbe offensiv dafür, dass Schulen Zeitzeugen einladen."

Kultusminister Stephan Dorgerloh

Die Schlagzeilen nach Grafes Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit" über seine Lesung in der Comenius-Schule, in dem er die Verklärung der DDR durch eine Lehrerin aufzeigt, rufen auch Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) auf den Plan. "Schüler müssen erfahren, wie ein totalitärer Staat wie die DDR mit Bürgern, die sich nicht konform verhielten, umging." Dies gehöre genauso in den Unterricht wie Informationen über den normalen Alltag. "Hier werbe ich offensiv dafür, dass sich die Schulen Zeitzeugen einladen und auch an authentische Orte gehen."

Die inzwischen bundesweit bekannte Eskalation bei der Lesung wird auch Thema im Schulausschuss des Kreistages. Dessen Vorsitzende Edith Braun (SPD) kündigt an, bei der nächsten Sitzung am 18. Februar, zu der auch alle Schulleiter eingeladen sind, den Vorfall aufzugreifen. "Wir behandeln an dem Tag die Initiative ,Schulen mit Courage`. Dies passt bestens dazu." Für Braun ist "diese nebulöse Selbstwahrnehmung der Diktatur DDR nicht hinnehmbar". Sie selbst habe die Repressionen erfahren, "wie mit Andersdenkenden, die nur Reformen wollten", umgegangen worden ist: "Auf dem Höhepunkt meiner beruflichen Entwicklung, nach Abitur und Studium, wurde ich durch elf Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit unter anderem als konterrevolutionäres Element denunziert, fristlos aus dem Staatsapparat entlassen, mein Diplom wurde aberkannt, meine eingezahlte Zusatzrentenversicherung gestrichen und es wurde mir viel Angst gemacht."

"Schüler nicht mit einer einzelnen Sicht auf die DDR überladen."

Stasi-Beauftragte Neumann-Becker

Ein Angebot zur Aufarbeitung der aktuellen Situation an der Comenius-Schule kommt auch von der Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit. Birgit Neumann-Becker bietet an, bei Bedarf für ein Gespräch in die Schule zu kommen und eine Lehrerfortbildung zu organisieren. "Es geht mir um eine Vermittlung, wie die DDR im Schulalltag aufgearbeitet wird, ohne dass Schüler mit einer einzelnen Sicht eines Lehrers überladen werden."

Unterdessen hat der Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Thomas Lippmann, den "öffentlichen Umgang" mit dem "Zeit"-Artikel kritisiert: "Es diskutiert sich schlecht, wenn man zuvor an den Pranger gestellt wird." Der Blick auf die eigene Geschichte sei nie objektiv.

Am Freitag, wenn an der Comenius-Schule weitere Konsequenzen besprochen werden, beendet Roman Grafe übrigens seine derzeitige Lesereise. Er ist dann wieder in Stendal und liest vor einer Schülergruppe des Fachgymnasiums an den Berufsbildenden Schulen II. "Mich hat ein Lehrer eingeladen, um zu zeigen, dass es in Stendal auch anders geht", freut sich Grafe.

Die Debatte der vergangenen Tage steht im Internet unter www.volksstimme.de. Roman Grafes Text in der "Zeit" findet sich auf www.zeit.de