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Sozialarbeiter Hans-Peter Schulze von der Caritas berät in Stendal Betroffene von SED-Unrecht "Die meisten wollen keine Opfer sein"

Von Bernd-Volker Brahms 14.03.2014, 02:21

Längst ist es nicht mehr nur die Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen. Seit fast zwölf Jahren berät der gebürtige Bismarker Hans-Peter Schulze Verfolgte des DDR-Unrechtsstaates. Vor fünf Jahren ist daraus eine psychosoziale Beratung geworden.

Stendal l Das Wort "Opfer" wollen die meisten Klienten nicht hören, erzählt Hans-Peter Schulze von der Beratungsstelle für Diktaturfolgenberatung des Caritasverbandes. "Das Wort Opfer drückt Wehrlosigkeit aus", sagt der 55-jährige Schulze, der einmal im Monat in Stendal einen Beratungstag für diejenigen anbietet, denen in der DDR Unrecht wiederfahren ist. Viele Menschen, die zu ihm kommen, hätten sich aber widersetzt und seien gerade deswegen in Konflikt mit den Staatsorganen gekommen. "Da fühlt man sich nicht ausschließlich als Opfer."

Der gebürtige Bismarker, der seinen Stammarbeitsplatz in Magdeburg hat, hilft den Menschen nicht nur beim Ausfüllen von Anträgen. Es geht viel mehr um eine psychosoziale Beratung. "Die Menschen wollen reden, wollen ihre Geschichte erzählen", sagt Schulze, der geduldiges Zuhören als seine vorrangige Eigenschaft sieht. "Oftmals wird innerhalb der Familie nicht über die negativen Erlebnisse gesprochen."

Schulze: "Die Beratung ersetzt keine Therapie"

Seit 2002 kommt Schulze nach Stendal, zunächst waren es Bürgersprechstunden, bei denen es um das Ausfüllen von Anträgen ging. Einerseits Anträge auf Einsicht in die Stasi-Akten, anderseits auf Entschädigung, Rente oder rechtliche Rehabilitierung.

Die Caritas machte dieses Angebot von Anfang an in Kooperation mir dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. "Die Nachfrage war von Anfang an groß", sagt Schulze. Er habe anfangs nicht damit gerechnet, dass das Interesse derart groß ist. Es hält bis heute an.

Bei den Sprechstunden habe sich damals herausgestellt, dass eine Reihe der Menschen nicht nur Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen braucht, sondern eine psychosoziale Unterstützung benötigt. "Längere Gespräche sind aber nicht zu leisten, wenn auf dem Flur 20 andere Leute warten", sagt der Sozialarbeiter, der bereits 1977 beim Caritasverband in Magdeburg eingestiegen ist. Vor fünf Jahren wurde die Beratung umgestellt. "Ich mache jetzt Termine und nehme mir jeweils eine Stunde Zeit", sagt Schulze. Auch Hausbesuche werden gemacht.

"Ich schließe eine Lücke zwischen Beratung und Therapie", sagt der Altmärker, der einstmals beim Baukombinat in Tangermünde gelernt hat. Er sei kein Therapeut, betont Schulze.

In den fast zwölf Jahren seiner Tätigkeit habe er schon sehr viele, oftmals traurige und bittere Geschichten gehört. "Viele sind frustriert", sagt Schulze. Gerade, weil sie erlebt haben, dass sie in der DDR gelitten haben und auch in der Nachwendezeit ihre Schwierigkeiten hatten, während die Täter auch später oftmals Fuß fassen konnten.

"Einige Sachen bleiben hängen", sagt er. Mit Sachen meint er beispielsweise die Schreie eines 17-jährigen Jungen, von denen einer seiner Klienten berichtete. Der Junge habe im Stasi-Gefängnis immer wieder um seine Mutter gefleht.

Er selbst habe in der DDR "nicht schwer gelitten", sagt Schulze. Wobei man es als "katholischer Mensch" nicht so einfach gehabt und selbstverständlich auch eine Stasi-Akte bekommen habe. "Ich bin dankbar, dass ich bei der Kirche arbeiten konnte und dadurch einen Freiraum hatte." Gegenüber seinen Klienten helfe seine Vorgeschichte, da baue sich schneller Vertrauen auf. "Da brauchen sie keine Angst haben, dass ich früher bei der Firma war", sagt Schulze. Mit Firma meint er die Staatssicherheit.

Haftfolgeschäden nur schwer nachweisbar

Ganz grob teilt er die Klienten in drei Gruppen auf. Einerseits gibt es die hochbetagten Opfer der stalinistischen Zeit der 1950er Jahre, dann die Leute aus der Ulbricht-Ära, wo es oft um Fluchthelfergeschichten geht. Und dann die jüngere Gruppe der DDR-Oppositionellen und anderweitig Aufmüpfigen wie den Punks. "Wer aus der Reihe tanzte, war nicht gerne gesehen", sagt Schulze.

Große Schwierigkeiten gebe es mit der Anerkennung von Haftfolgeschäden. Auch die sogenannten "Zersetzungsopfer" seien bei Entschädigungen nicht im Blick. "Die Menschen sind in der Nachweispflicht und das gelingt nur selten."