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  7. Chefarzt soll eine Mitschuld am Patiententod tragen

Auftakt im Prozess um fahrlässige Tötung / Fortsetzungstermine fraglich, Berufungsrücknahme wahrscheinlich Chefarzt soll eine Mitschuld am Patiententod tragen

Von Wolfgang Biermann 25.07.2014, 01:18

Stendal l Der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie/Psychotherapie im Salus-Fachklinikum Uchtspringe ist der fahrlässigen Tötung "durch Unterlassen" angeklagt.

Seit gestern muss sich der im September 2011 als abteilungsleitender Arzt eingesetzte Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie vor der Berufungskammer am Landgericht Stendal des Vorwurfs erwehren, den Selbstmord einer wegen akuter Suizidgefahr eingelieferten, damals 50-jährigen Frau, in der geschlossenen Station seines Bereichs nicht durch stärkere Überwachungsmaßnahmen verhindert zu haben.

Freispruch vor dem Amtsgericht

Das Amtsgericht Stendal hatte den 50-jährigen Chefarzt zusammen mit einer mitangeklagten Assistenzärztin (32) am 21. Januar dieses Jahres vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. "Ein eigenverantwortlicher Suizid ist hier nicht ausgeschlossen." Damit hatte der Vorsitzende Richter des Schöffengerichts, Thomas Schulz, den Freispruch der beiden Angeklagten begründet und sich dabei auf ein Urteil des Landgerichts Gießen berufen (Volksstimme berichtete). Gegen den Freispruch des Chefarztes hatte die Staatsanwaltschaft Stendal Berufung eingelegt. Im Mittelpunkt steht dabei, ob die Patientin, die aus einem ostelbischen Seniorenheim wegen Selbstmordgefahr am frühen Morgen des 6. September 2011 auf Weisung ihres Hausarztes in der Station 5c in Uchtspringe eingeliefert worden war, trotz schwerer Depressionen den Freitod eigenverantwortlich habe wählen können.

Die Meinungen der Fachleute prallten gestern im Prozess aufeinander. So stellte der gerichtspsychiatrische Gutachter Dr. Frank M. Wegener in seinem schriftlichen Gutachten infrage, ob die schwer körperlich behinderte und "intellektuell minderbegabte" Patientin eigenverantwortlich habe handeln können. Der Angeklagte hielt kräftig dagegen, ein Disput entbrannte. Nach Vernehmung von fünf Zeugen sprach die Vorsitzende Richterin Gudrun Gießelmann-Goetze am Ende des Verhandlungstages - "nach vorläufiger Würdigung" - recht deutliche Worte, wie das Berufungsverfahren enden könnte, nämlich mit Freispruch.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sagte der Volksstimme im Nachgang, dass sie über eine Berufungsrücknahme nachdenke wolle. Ob es die drei angesetzten Fortsetzungstermine geben wird, ist also offen.