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Siegfried Lindner ließ 1957 heimlich mit einem Freund die Büste des Sowjetführers verschwinden Stalin wurde im Stadtsee versenkt

Von Bernd-Volker Brahms 09.10.2014, 03:10

Der Verbleib der Stalin-Büste galt bisher als ungeklärt. Jetzt zumindest ist klar, wie das Stendaler Exemplar abhanden kommen konnte - durch einen mutigen Jungenstreich.

Stendal l 57 Jahre hat der heute 72-jährige Stendaler Siegfried Lindner ein Geheimnis mit sich herumgetragen. Nun hat er sich der Volksstimme offenbart: Mit seinem mittlerweile verstorbenen Freund Lutz Wichmann hat er 1957 die Stalin-Büste verschwinden lassen und damit für einiges Aufsehen gesorgt.

"Es war der Tag der Zeugnisausgabe", erzählt Lindner, der seinerzeit die nahe am Stadtsee gelegene Comeniusschule besuchte. Die Büste für den Sowjetführer Josef Stalin befand sich an der Ostseite des Sees und war eingefasst in die heute noch bestehende Pergola. "Es war eine spontane Idee", sagt Linder, der nach der Wende zehn Jahre für die SPD im Stendaler Stadtrat vertreten war. Er und sein Freund hätten in einer übermütigen Sekunde die Büste vom Sockel genommen und einfach gegenüberliegend in den Stadtsee geworfen. "Wir haben uns selbst gewundert, dass das so einfach ging." Werkzeug hätten sie nicht gebraucht.

Er habe sich gelegentlich über den "Doofkopp" geärgert, außerdem habe er in Gegenwartskunde immer nur eine Vier gehabt. "Das hat zu unserer Aktion beigetragen", sagt Lindner, der zu dem Zeitpunkt des mutigen Vorgehens 15Jahre alt war. "Das hätte für uns auch anders ausgehen können." Obwohl die offizielle Stalin-Verehrung zu dem Zeitpunkt in der DDR bereits bröckelte, war das Verschwindenlassen der Büste mehr als ein Jungenstreich, sondern eine politische Aktion und damit auch gefährlich.

Siegfried Lindner wundert sich bis heute, dass die Büste nie wieder aufgetaucht ist. "Der Schlamm aus dem See wurde ja nach der Wende mal abgepumpt." Ein Aufruf der Volksstimme, sich zu melden, wer etwas über den Verbleib der Büste wisse, ließen die Freunde verstreichen. "Der Lutz wollte das nicht."

Nach der Wende 1990 war Lindner kurioserweise als Maurer und Polier auch daran beteiligt, als die Lenin-Büste am Nachtigalplatz vom Sockel gehoben wurde. "Das war offiziell, das andere war Schwarzarbeit", sagt der Rentner mit einem Grinsen.

Auf die Frage, ob er wisse, was mit der Marx-Büste passiert ist, sagt er: "Das weiß ich nicht, ich hab ja nicht alle Köpfe heruntergerupft."