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Aus den Lebenserinnerungen des Ludolf von Bismarck (1834 bis 1924). Von Rudi-Michael Wienecke Der Rekord-Landrat: Einst wurde für die Erleuchtung der Abgeordneten noch gebetet

12.01.2015, 01:15

34 Jahre lang war Ludolf von Bismarck (2. Oktober 1834 bis 17. Dezember 1924) Landrat im Kreis Stendal. Damit hält er den bisherigen Amtszeitrekord. Vor wenigen Wochen jährten sich sein 180. Geburtstag und sein 90. Todestag. Lassen wir ihn über sein bewegtes Leben selbst berichten. Teil 7:

Im Jahre 1866, im Mai, wurde die Mobilmachung gegen Österreich ausgeführt. Ich hatte die Aushebung sowohl an Pferden wie an Mannschaften zu machen und dadurch sehr viel zu tun. Mein Diener und mein Kutscher mussten auch mit in den Krieg. ... Vier von meinen Brüdern und meine beiden Schwäger waren auch mit im Felde. ...

Meinem Bruder Herebord war in einer Schlacht die Mütze vom Kopf geschossen worden. Einmal war er mit seinen Leuten auf einem Kirchhof in der Nähe eines Bienenstandes aufgestellt gewesen. Da hatten die Österreicher in die Bienenstöcke geschossen und seine Grenadiere, die vor den Österreichern tapfer standgehalten hatten, rissen nun vor den wild gewordenen Bienen aus.

Als die Truppen heimkamen, brachten sie viele Beutepferde mit und ich schaffte mir auch ein paar davon an. Leider kam mit ihnen auch die Cholera, die namentlich im Kreis Stendal sehr stark auftrat. Auch in der Stadt Stendal war die Seuche sehr schlimm, weil die Vorflutverhältnisse damals noch sehr schlecht waren.

Schleuse setzte Gut Grieben unter Wasser

Ich war seit Bestehen des Provinziallandtages 1869 Mitglied desselben. ... Der Provinziallandtag wurde immer mit einem feierlichen Gottesdienst im Dom eröffnet, wo für die Erleuchtung der Abgeordneten gebetet wurde. Bei den Sitzungen gab es große politische Kämpfe zwischen den Konservativen und Liberalen.

Mitglied des Provinzialausschusses bin ich nicht geworden, weil der Landrat von Gerlach und ich uns darüber einigen sollten, wer von uns es übernähme. Und da er der ältere von uns beiden war, überließ ich es ihm, was mir nachher manchmal leid getan hatte.

Ich bin dann zehn Jahre lang auch Deichhauptmann gewesen, und zwar an derselben Strecke, die mein Vater auch gehabt hatte. Mein Vorgänger war der alte Borstell in Groß Schwarzlosen. Mein Nachfolger war Eberhard Arnim.

Ich hatte mit dem Wasser in der Zeit keine Not gehabt, da kein Hochwasser war. Einmal hatte ich Unannehmlichkeiten. Ich besichtigte mit dem Regierungsrat Rust die Deiche in der Nähe von Schelldorf. Da fragten die Schelldorfer an, ob sie sich in einem Graben, dem Glümming, eine Schleuse anlegen dürften, um sich bei geschlossener Deichschleuse das Drängwasser vom Hals zu halten. Ich hatte gleich Bedenken dagegen, der Regierungsrat aber sagte es ihnen ohne weitere Untersuchung zu. Diese Schleuse wurde angebracht und die Folge war, dass bei nächster Gelegenheit das Rittergut Grieben unter Wasser kam. Herr von Itzenplitz beschwerte sich und es wurde nun von der Regierung befohlen, dass die Schleuse wieder zu entfernen sei. Aber die Schelldorfer sträubten sich energisch hiergegen und sie mussten schließlich mit Gewalt dazu gezwungen werden. Später wurde mit einem Schöpfwerk das Drängwasser über den Deich wegbefördert und damit dem Übel abgeholfen. Ich selber habe dann bald das Amt als Deichhauptmann niedergelegt.

Zigarrenrauch gegen die Cholera

An dem Kriege 1870 nahmen aus unserer Familie viele teil. Als der älteste mein Onkel Hugo Bismarck, ein Vetter meines Vaters, meine Brüder Herebord, Henning, Claus, Ulrich und Williko. ... Schwer verwundet wurde ... mein Bruder Herebord bei Beaumont und ebenso auch Claus vor Metz. Achatz fuhr hin, um Claus zu pflegen, und ich zu Herebord. ... Er lag dann in Beaumont in Quartier bei einem Tabakhändler. Als ich ankam, wurde er gerade verbunden. ... Später kam Herebord nach Mouzon, wo ein großes Lazarett war, lag aber wieder in Einzelquartier. Von dort musste er, weil das Lazarett aufgelöst wurde, rückwärts transportiert werden. In dem Augenblick, als wir abfahren wollten, bekam ich die Nachricht von Bernhard Stülpnagels (Schwager, der bei St. Privat verwundet wurde und starb) Tod.

Dieser Transport war sehr schwierig. Ich geleitete außer meinem Bruder auch einen Herrn von Dankelmann auf einem französischen Lazarettwagen über Bouillon nach Lüttich durch die Ardennen. Wir fuhren Schritt für Schritt und ich ging die ganze Strecke zu Fuß nebenher. In Lüttich erreichten wir die Eisenbahn und fuhren über Herbesthal bis Aachen, wo wir am 1. Oktober 12 Uhr nachts ankamen. Ich blieb noch einige Tage dort, dann wurde ich von unserer Mama abgelöst. Nachdem sie ein paar Tage da war, fuhr ich nach Hause. Am 9. November starb mein Bruder Herebord in Aachen.

Im Jahr 1873 trat die Cholera von neuem auf. Da auch in Stendal in der Stadt viele Cholerafälle waren, brachte ich meine Familie lieber nach Briest. Ich selber blieb natürlich in Stendal und unsere Köchin Luise regalierte mich alle Morgen zum Frühstück mit der Herzählung von neuen Sterbefällen. Auch in dem Hause nebenan von uns, wo ein Steuereinnehmer wohnte, starb die ganze Familie aus. Als Abwehrmittel wurde alles mit Chlorkalk besprengt und schon von diesem Gestank allein konnte einem übel und schlimm werden.

Der Schulze aus Buch kam eines Tages zu mir. Er sah ganz elend aus und auf meine Frage erzählte er mir, die Seuche wäre so schlimm bei ihnen, ich könnte mir gar nicht vorstellen wie schlimm. Ich versprach, ich wolle hinkommen. Da schrie er ganz entsetzt auf: "Näe, näe, näe, das tun Se man nich!" Ich kam aber doch und entdeckte, dass immer die Leichenträger sich an den Toten ansteckten. Da ordnete ich an, dass diese Leute, die die Särge trugen, dabei rauchen sollten. Und von dem Tag an wurde keiner mehr angesteckt. Ob nun die Zigarren wirklich so desinfizierten oder der Mut der Leute so davon gehoben wurde, weiß ich nicht. Eine arabische Sage lässt die Cholera sprechen: An der Furcht vor ihr stürben viel mehr Menschen als an ihr selbst.

Noch der tote Keiler wurde verprügelt

Eines Tages unter Mittag, meine Schreiber waren schon fort, hielt ein Ackerwagen vor der Tür und der Fuhrmann aus Dahlen meldete mir, er hätte da einen Kranken, von dem sie nicht wüssten wer er wäre und was ihm fehlte. Sie hätten ihn auf der Chaussee gefunden. Ich stieg auf das Rad des Wagens, um hineinsehen zu können und da sah ich dicht neben mir ein blau angelaufenes Gesicht. Der Mann war augenscheinlich cholerakrank. Ich brachte ihn nun nach dem Choleralazarett, das im alten Mönchskloster am Mönchskirchhof eingerichtet war. Aber beim Herabheben aus dem Wagen starb er und wir haben nie erfahren, wer er war. ...

Es war damals sehr Mode, bei Gesellschaften Karten zu spielen, meist ja Whist, oft aber auch richtiges Jeu. Wir machten dies aber nicht mit und bei uns wurden keine Spieltische aufgestellt. Ich bin deswegen öfter mit meinen Bekannten in Kollision gekommen, weil ich das Kartenspiel mit den jungen Offizieren nicht wünschte.

Auf den Jagden, wo wir lauter gute Bekannte waren, ging es immer sehr lustig zu. Besonders hübsch war es immer in Aulosen. Die dortige Jagd war sehr gut besetzt und Jagow verstand es, sie ausgezeichnet zu leiten. Mein Vater verkehrte dort auch. ... Die Auloser Fasanenjagd war berühmt gut und der alte Kaiser Wilhelm I. und Prinz Friedrich-Karl kamen fast alljährlich dazu hin. Am Tage danach lud Jagow dann seine ... Bekannten ein und da wurden auch noch immer ein paar hundert Fasanen geschossen, obgleich wir hier zu Lande ja wenig Übung hatten.

Es waren dort auch eine sehr gute Saujagd und ganz nette Hasen. Wir waren ein Kreis von ungefähr zwölf Herren, die immer dort zusammentrafen. Graf Wilamowitz-Gadow, ein Nachbar von Aulosen, wohnte meist mit mir in einem Zimmer. Ferner Borch, Borcke, mein Schwager Heinrich Woldeck, Eberhard Arnim, ein Herr von Bonin und die drei Brüder des Auloser und noch einige Vettern Jagow. Es waren immer viele lustige Neckereien dabei in Gange.

Auch in Beetzendorf beim Grafen waren alle Jahre Saujagden und dabei passierte einmal folgendes Geschichtchen: Es war ein großer Keiler geschossen worden. Da stürzten sich ... die Treiber mit ihren Knüppeln auf ihn, wobei sie schrien: " Du verdammter Tüftenfreter (Kartoffelfresser)! Min Tüften häst mi ook upfreten!"

Außer dem Vergnügen, das mit diesen Jagden verbunden war, waren sie auch sehr dazu geeignet, einen mit den Kreisverhältnissen vertraut werden zu lassen. Im allgemeinen muss ich aber sagen, dass mir die Pirsch allein mehr Vergnügen bereitete als die großen Jagden. Ich habe in meinem Leben im Ganzen 288 Rehböcke und 88 Sauen meist auf der Pirsch geschossen. Ich pachtete mir von Stendal aus bald selbst eine Jagd, zuerst in Bindfelde, dann in Staffelde und zuletzt die Stendaler Feldjagd.

Auf den Gütern im Kreis lebten damals viele Witwen, die für ihre Kinder wirtschafteten, zum Beispiel in Hohenwulsch, in Badingen, Schönfeld, Kläden, Wahrburg. Sie kamen oft, sich bei mir Rat zu holen, was für mich nicht immer ganz leicht war.

Das Versteck auf dem Schreibtisch

Es wurden bei uns viel fröhliche Taufen gefeiert, da uns nach und nach zehn Kinder geboren wurden. Davon sieben in Stendal und in Briest noch drei. An dem Tage, als unser vierter Sohn, das siebente Kind, geboren wurde, besuchte mich ein Herr von Platen aus Stendal, der als pensionierter Gutsbesitzer dort lebte. Er hatte seinen Besitz verpachtet. Er hielt mich ziemlich auf mit seinem langen Bleiben. Endlich sagte ich, er möchte mich entschuldigen, ich wollte zu meiner Frau, da heute Nacht ein Kind geboren wäre. Er erkundigte sich nun, ob es ein Junge oder ein Mädchen wäre und brach auf meine Antwort: "Ein Junge!" in die geflügelten Worte aus: "Diese verdammten Jungen, erst sollen sie lernen und dann lernen sie nichts und nachher machen sie nichts als Schulden! Oje, oje, oje!" Und ich hatte mich so über meinen vierten Jungen gefreut!

Als ich in Stendal noch mehr freie Zeit hatte, konnte ich mich noch mehr um meine Kinder kümmern als später, als die Arbeitslast immer größer wurde. Abends im Dämmern spielte ich mit ihnen Versteck, wobei ich mich einmal oben auf meinen Schreibtisch gelegt hatte, wobei sie mich lange suchten, ehe sie mich fanden, obgleich ich ganz oben offen drauflag. Abends zeigte ich ihnen meine Jagdbilder: Riedinger-Mappen oder das "Grüne Buch". Dazu erzählte ich selbsterdachte Geschichten. Manchmal zeichnete ich ihnen auch Tiere: Pferde, Hunde, Hasen, Rehe, Sauen und so weiter. Schnitt sie wohl auch aus freier Hand aus.

Die Lebenserinnerungen des Ludolf von Bismarck sowie die Fotos wurden freundlicherweise von Maren von Bismarck zur Verfügung gestellt.