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Briefwahl-Skandal Fragen über Fragen zur Fälschung in Stendal

Heute wird es ab 18 Uhr im Rathaus spannend. Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt will im Wahlprüfungsausschuss zu den Fragen der Fraktionen Stellung beziehen. Insgesamt 37 haben CDU/Landgemeinden/Grüne (9 Fragen), SPD/FDP/Piraten (20) und Linke (8) eingereicht. Hier eine Übersicht von offenen Fragen und Fragwürdigkeiten.

22.01.2015, 01:12

Stendal l 20. Dezember 2013: Das Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes erscheint mit einer neuen Festlegung für die Kommunalwahl: Eine Person darf beim Abholen von Briefwahlunterlagen nicht mehr als vier Vollmachten einreichen. Die Regel gilt bereits bei Bundestags-, Landtags- und Europawahlen. Sie wurde bereits am 3. Dezember 2013 bei einer Beratung der Kreiswahlleiter besprochen. Die Regelungen erscheinen am 11. März 2014 zudem in einem 88 Seiten starken Durchführungserlass.

Gesetzesänderungen gehen im Stendaler Rathaus - wie bei allen Verwaltungen - im Umlaufverfahren an die Mitarbeiter. Eine Extra-Schulung der "Vierer-Regel" hat es laut Axel Kleefeldt nicht gegeben. Der Stadtwahlleiter hatte dafür vorigen Sommer "die politische Verantwortung" übernommen. Ist wirklich keinem der mitunter langjährigen Mitarbeiter die Neuregelung aufgefallen? Laut Landeswahlleiter wurde die Regelung nur in der Stadt Stendal nicht umgesetzt.

19. März 2014: Dienstberatung mit den Kommunen bei Kreiswahlleiter Carsten Wulfänger zu den Europa- und Kommunalwahlen am 25. Mai. Die neue Vollmachten-Regelung ist hier auf Nachfrage erläutert worden, betont der Landrat später vor dem Kreistag. Axel Kleefeldt bestätigte dies gestern der Volksstimme.

Zwei Vertreter der Stadt Stendal haben an dieser Beratung teilgenommen. Wieso gelangte diese Information dann nicht ins Rathaus und wurde dort umgesetzt?

Anfang Mai 2014: Eine Frau taucht als erste mit mehr als vier Vollmachten im Briefwahllokal der Stadt auf. Anfang Dezember erklärt der Stadtwahlleiter, dass daraufhin eine Nachfrage wegen der größeren Anzahl beim Kreis erfolgt sei und es von dort hieß, dass "man das machen könne". Elf weitere Personen folgen bis zum Wahltermin - mit insgesamt 189 Vollmachten, mit- unter auf mehrere Tage verteilt.

Es war nicht irgendwer, der dieses Telefonat führte: Es waren vielmehr zwei Köpfe, die seit Jahren kompetent die jeweiligen Wahlen koordiniert haben. Beide haben nach Volksstimme-Informationen auch an der März-Beratung des Kreiswahlleiters teilgenommen. Gleich zwei so versierten Mitarbeitern soll ein solch kapitaler Fehler passiert sein?

25. Mai 2014: Wahltag - Winfried S. (Name geändert) darf zunächst in seinem Wahllokal nicht wählen, da er bereits als Briefwähler registriert war. Im Briefwahllokal des Rathauses identifiziert er die angebliche Vollmacht als Fälschung seiner Unterschrift. "Das habe ich dort auch deutlich zu verstehen gegeben", erklärte er vorige Woche der Volksstimme.

Stadtwahlleiter Kleefeldt: "Diese Information ist am Wahltag nicht zu mir gelangt." Wäre sie es, hätte er "umgehend reagiert". Was aber ist im Wahllokal passiert? Ist der Vorfall dokumentiert? Wer hat davon erfahren? Zumindest muss es jedenfalls auch der städtische Bedienstete mitbekommen haben, der S. zurück ins Wahllokal chauffierte.

3. Juni 2014: Neun Tage nach der Wahl liegen erst die Einzelergebnisse der Briefwahl elektronisch vor. Sie bergen ein Ergebnis, das einen Stein ins Rollen bringt: CDU-Kandidat Holger Gebhardt hat ein exorbitantes Resultat: 689 seiner 837 Stimmen erhielt er durch die Briefwahl - elf Prozent aller per Brief abgegebenen Stimmen. Am Nachmittag tagt der Wahlausschuss. Formal sei alles korrekt gelaufen, eine Manipulation schließe er aus, erklärt dort der Stadtwahlleiter.

War man im Rathaus nach diesem Ergebnis immer noch absolut ahnungslos? Hätte man nicht angesichts dieses Ausreißers zu dem Schluss kommen müssen, dass bei einer solchen Dimension etwas nicht stimmen konnte? Oder war es gar eine Schutzbehauptung, weil ein Fehler möglichst unentdeckt bleiben sollte?

Mitte Juni 2014: Die Stadtpolitik ist in heller Aufregung. SPD, Linke und Piraten bereiten Wahleinsprüche vor. Die Grünen sehen davon ab, da eine Mitarbeitern des Wahlbüros dem Stadtrats-Kandidaten Björn Dahlke nach dessen Erinnerung versicherte: "Es hat definitiv niemand mehr als vier Briefwahlunterlagen ausgehändigt bekommen, das hätten wir gar nicht zugelassen."

Wie konnte es zu dieser Aussage kommen? Der Stadtwahlleiter entgegnete auf diese Nachfrage der Volksstimme wenige Wochen später: "Die Auskunft kann ich mir nicht erklären."

26. Juni 2014: Pressekonferenz des Stadtwahlleiters - Axel Kleefeldt kündigt Einspruch gegen das Wahlergebnis an und plädiert für eine Wiederholung der Briefwahl. Er nennt die Zahl von 179 Vollmachten, die von zwölf Personen abgeholt worden seien. Bei der Überprüfung der Wahlunterlagen sei am 13. Juni klar gewesen, dass gegen die Vierer-Regelung verstoßen worden war. Insgesamt zehn Wählern ging es so wie Winfried S. - sie durften erst nach Aussortieren ihr Briefwahlunterlagen im Wahllokal wählen. Bei allen zehn waren Vollmachten eingereicht worden, doch nur bei S. wird dies zunächst so registriert.

Wäre zu diesem Zeitpunkt offengelegt worden, dass zehn Personen am Wahltag wählen wollten, deren Unterlagen zuvor aber per Vollmacht abgeholt worden waren, hätte man den Schlüssel für den Skandal in der Hand gehabt. Wie konnte es dazu kommen, dass deren Unterlagen nicht näher unter die Lupe genommen wurden?

1. Juli 2014: Winfried S. hat über den Wahleinspruch des Wahlleiters in der Volksstimme gelesen. Er schreibt Axel Kleefeldt eine Mail und schildert den Vorfall aus dem Briefwahllokal am 25. Mai. Er nennt auch den Namen von Herrn M., auf den die "Vollmacht" ausgestellt war. Kleefeldt weilt zu der Zeit in Barcelona und bittet seinen Vertreter Rüdiger Hell, mit S. Kontakt aufzunehmen.

Herr M. war dem Stadtwahlleiter zu diesem Zeitpunkt nicht unbekannt. Er gehörte zu den zwölf Bevollmächtigten, die zu viele Briefwahlunterlagen erhalten haben. Mit diesem Wissen lag der Skandal auf der Hand. Wieso setzte hier keine tiefere Prüfung ein?

3. Juli 2014 am Nachmittag: Winfried S. folgt einer Einladung des Rathauses. Nach einem Gespräch mit dem stellvertretenden Wahlleiter Rüdiger Hell und dem Leiter des Büros des Oberbürgermeister, Klaus Ortmann, gibt er eine eidesstattliche Erklärung ab, seine Unterschrift sei gefälscht. Um 17 Uhr verlässt S. das Rathaus.

Was passierte danach in der Stadtverwaltung? Oberbürgermeister Klaus Schmotz hatte um 17 Uhr in den CDU-Reihen des Kreistags Platz genommen. Auch dort musste über die Gültigkeit der Wahl entschieden werden. Wurde er noch über eine Mail oder Handy-Nachricht über diese Fälschung informiert?

3. Juli 2014, am Abend: Gegen 21.30 Uhr klingelt es bei Winfried S. - zwei ihm bis heute unbekannte junge Frauen stehen vor seiner Tür. Ihr Anliegen: Er möge doch schriftlich erklären, dass er Herr M. tatsächlich die Vollmacht zur Briefwahl gegeben hätte. Zudem verweisen sie auf "die Anzeige, die am heutigen Tag gegen M. erhoben worden sein soll".

Woher wussten diese beiden Frauen von Winfried S.? Woher kannten Sie seine Adresse? Wer hat sie geschickt? Wieso kannten sie den Fall? Es muss jemanden aus dem direkten Umfeld der Vollmacht-Fälschungen geben, der von dem Inhalt der Mail vom 1. Juli und/oder von dem Gespräch im Rathaus am 3. Juli erfahren hat. Seitdem die Volksstimme in der vorigen Woche diese Szene enthüllt hat, steht eine Frage im Raum: Gibt es im Rathaus einen "Maulwurf"? Und: Wer ist es und wer wurde informiert?

7. Juli 2014: Oberbürgermeister Klaus Schmotz stellt im Stadtrat einen kurzfristig geänderten Antrag vor: Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt ist nunmehr der Auffassung, dass der formale Fehler bei der "Vierer-Regelung" das Wahlergebnis nicht zählbar beeinflusst habe und empfiehlt die Bestätigung der kompletten Wahl. Zumindest die Fraktionen Linke und Mitte sind verblüfft. Mit ihrer Mehrheit beschließen sie die Wiederholung der Briefwahl. Zudem wollen sie einen Sonderausschuss, der aufklären soll, wie es zu der Panne gekommen ist.

Bis heute ist dieser Schwenk rätselhaft. Da ist zum einen der erste Fälschungsverdacht gegen einen der zwölf Bevollmächtigten. Da ist andererseits die Pannen-Serie im Rathaus. Und da ist aber auch eine Empfehlung aus der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters, die recht deutlich aufzeigt, dass allein wegen der theoretischen Möglichkeiten einer veränderten Zusammensetzung des Stadtrates eine Wiederholung der Briefwahl geboten erscheint. Wieso kommt es zu dieser 180-Grad-Kehrtwende der Rathaus-Spitze?