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Landesbildungszentrum Tangerhütte "Nach dem Reiten fühle ich mich leicht wie eine Feder"

Mit "Ideen machen Schule" belohnen die Volksstimme und die Braunschweiger PSD-Bank auch in diesem Jahr wieder kreative und tolle Schulprojekte. Seit drei Jahren werden auf dem Bucher Reiterhof der Familie Albrecht behinderte Kinder zu Pferde therapiert. Das Team des Tangerhütter Landesbildungszentrum (LBZ) bewarb sich mit diesem Projekt.

Von Rudi-Michael Wienecke 20.04.2015, 03:30

Tangerhütte l "Wer will Reiter werden?" Sofort schossen neun Arme in die Höhe. Eine komplette dritte Klasse des Tangerhütter Landesbildungszentrums hat diesen Traumberuf. Wenn die Mädchen und Jungen beginnen, von ihren drei Pferden "Balo", "Lugano" und "Nicki" zu schwärmen, scheint alles andere um sie herum unwichtig zu werden. Einen Tag im Monat verbringen sie, gemeinsam mit acht weiteren Schülern des LBZ, auf dem Reiterhof der Familie Albrecht in Buch. Dieser Tag ist für alle ein Höhepunkt, ihre Behinderungen werden für die Schüler zur Nebensache.

Der "Therapeut Pferd" lehrt auch Benehmen

Die Kinder, aus dem großen Einzugsbereich nördlich von Magdeburg, leiden unter den verschiedensten Beeinträchtigungen. Sie sind sehgeschädigt oder komplett blind, haben Tetraparesen, sind Autisten, leiden an Wahrnehmungsstörungen in allen Entwicklungsbereichen oder zeigen Verhaltensauffälligkeiten. Zwei Schüler können nicht sprechen, kommunizieren nur per Computer. Vor drei Jahren entdeckten nur zehn der Kinder für sich den "Therapeuten Pferd". Mittlerweile sind es 17.

Der größte Augenblick für alle ist es, wenn sie auf dem Pferderücken sitzen. Ihre anfänglichen Ängste vor den großen Vierbeinern haben sie längst abgebaut, trotzdem wissen sie, dass man mit Respekt an ein Pferd herantreten muss.

Die Phase der anfänglich vorsichtigen Schrittrunden ist längst überschritten. Die Drittklässler sitzen auch im Trab und Galopp sicher im Sattel, teilweise können sie bereits auf den Führzügel verzichten. Beim Voltigieren nutzen einige der Kinder sogar den Pferderücken als Turngerät.

Die drei Pädagoginnen Iris Knoblauch, Mona Bartlitz und Carmen Zimper begleiten das Projekt gemeinsam mit der hauseigenen Physiotherapeutin Beate Lipka und der Reittherapeutin Katrin Ihlow. Die Fortschritte, die alle Kinder mit Hilfe der Pferde erzielen, können die Frauen nicht hoch genug schätzen. Am besten bringt es aber der zehnjährige Ronny Zierow auf den Punkt, der wegen seiner spastischen Behinderung an den Rollstuhl gebunden ist: Nach dem Reiten fühle ich mich leicht wie eine Feder", freut er sich schon auf den nächsten Besuch in Buch. Tatsächlich, bestätigt Carmen Zimper, könne der Junge noch einige Schritte alleine laufen, wenn er nach einem erlebnisreichen Tag auf dem Reiterhof in Tangerhütte wieder aus dem Bus steigt.

Ronny und seine Mitschüler kommen allerdings nicht nur in den sportlichen Genuss. Auch wenn es um die Pferdepflege, die Fütterung oder die Arbeit im Stall und auf dem Hof geht, sind sie mit von der Partie. Neben dem Reiten ist es für den blinden Jens Sawitzki so die schönste Aufgabe, wenn er den Hof fegen darf.

Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen, gewinnen neben Selbstvertrauen auch an Selbständigkeit. Die Kinder arbeiten miteinander, müssen sich also mitteilen, miteinander kommunizieren, nach dem Motto: Gemeinsam sind wir stark.

Bewerbungsfrist wurde verlängert

Sie hätten in den zurückliegenden drei Jahren so nicht nur auf emotionaler Ebene, sondern auch auf sozialer Ebene gewonnen, lobt Iris Knoblauch. Gehe es um das Benehmen, könne sie mit allen Schülern in jedem Restaurant bestehen, schmunzelt Mona Bartlitz und der neunjährige Jonas Jainz liefert auch gleich eine Begründung: "Auch im Stall müssen wir ruhig sein wie eine Maus. Pferde sind nämlich Fluchttiere und wenn wir sie erschrecken, müssen wir sie suchen."

Woher er das weiß? Ganz einfach: Nachdem nämlich in Buch zuerst gemeinsam gefrühstückt wird, wendet sich eine Gruppe der Kinder der Theorie zu. Sie lernen den Unterschied zwischen Hengst und Stute kennen, wissen um die Farben, Rassen, Verhaltensweisen und Körperteile der Pferde. Spezielles Unterrichtsmaterial für Grundschüler ist dabei hilfreich. Dieser Unterricht ist fächerübergreifend. Schließlich kann nur derjenige die Boxengröße errechnen, der was von Geometrie, Mathematik und Messen versteht.

Bei allen Erfolgen, die in den vergangenen drei Jahren erzielt wurden, steht und fällt der Fortbestand der Reittherapie für die Kinder des LBZ aber mit dem Geld, erinnert Mona Bartlitz. Deshalb seien sie und ihre Kollegen ständig auf der Suche nach Sponsoren. "Wir retten uns von Jahr zu Jahr", so die Lehrerin. "Es wäre schade, wenn wir eines Tages den Kindern erklären müssen, dass sie die Pferde nicht mehr sehen können", fügt sie nachdenklich hinzu. Deshalb setzt das LBZ-Team nun Hoffnung in die Aktion "Ideen machen Schule" der PSD-Bank Braunschweig und der Volksstimme.

Diese läuft in diesem Jahr bereits zum neunten Mal. Mit jeweils maximal 4000 Euro werden die zehn besten und kreativsten Projekt-Ideen zum Thema "Lernen ist spannend, Lernen macht Spaß" gesponsert. Ein Hinweis für potenzielle Nachahmer: Die Bewerbungsfrist wurde bis zum 30. April verlängert.

www.psd-braunschweig.de, Tel.: 0531/471 23 45 Fax: 0531/471 23 49