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Wahlfälschung in Stendal Lösen Speichelproben den Fall?

Die Dimension der Stendaler Wahlfälschung ist größer als zunächst gedacht. Viele Fragen sind noch offen: Welche genaue Rolle hatte Holger Gebhardt? Wer unterstützte ihn bei der Wahlfälschung? Wie kamen vertrauliche Informationen vom Rathaus in das Fälscher-Umfeld?

19.05.2015, 01:22

Stendal l Zu Jahresbeginn hatten alle Parteien in der Stendaler Politik darauf gesetzt, dass vor der Wiederholung der Stadtratswahl am 21. Juni schon Klarheit darüber herrscht, wie und durch wen es zu den Manipulationen bei der Briefwahl vor inzwischen fast genau einem Jahr kommen konnte. Kurz vor dem Start in den Wahlkampf zeichnet sich jedoch nur eines ab: Die Zahl der Fälschungen ist noch einmal enorm gestiegen und die Zahl der Beschuldigten, gegen die weiterhin ermittelt wird, bleibt konstant. Ein Ende der Ermittlungen ist noch nicht abzusehen.

Bis zum Volksstimme-Artikel vom Sonnabend ging die Stendaler Politik von rund 50 gefälschten Vollmachten aus. Diese Größenordnung war im vorigen November aus Justizkreisen genannt worden. Damals wurde nach Hausdurchsuchungen bekannt, dass es bei den Briefwahlvollmachten nicht "nur" zu einer Panne in der Stendaler Stadtverwaltung gekommen war, da weit mehr als die erlaubten vier Wahlunterlagen pro Bevollmächtigten ausgegeben worden waren.

Vermutlich 160 Wahlscheine gefälscht

Die Zahl, die die Staatsanwaltschaft vorige Woche auf Volksstimme-Anfrage nannte, sprengt diese Dimension bei weitem: Etwa 160 Wahlscheine sollen gefälscht sein - mehr als drei Mal so viele wie bislang angenommen. Bei der Kommunalwahl gab es für einen Wahlschein die Stimmzettel sowohl für die Stadtrats- als auch für die Kreistagswahl. Jeweils drei Kreuze durften gesetzt werden: Damit dürften rund 960 Stimmen gefälscht worden sein - 480 für die Stadtratswahl und 480 für die Kreistagswahl.

Konkretere Angaben macht die Staatsanwaltschaft derzeit dazu nicht. Konkretisiert hat sie jedoch in der vorigen Woche die Zahl der Beschuldigten. Zunächst hatte sie von "um die zehn Personen", gegen die ermittelt wird, gesprochen. Nunmehr nannte sie eine konkrete Zahl: 13. Auf Nachfrage bestätigte sie zudem, dass es sich dabei neben dem Ex-CDU-Stadtrat Holger Gebhardt um jene zwölf Personen handelt, die mehr als vier Briefwahlvollmachten im Rathaus eingereicht haben. Insgesamt waren es 189.

Auch wenn sich die Staatsanwaltschaft noch bedeckt hält - eines ist jetzt offensichtlich: Nur die wenigsten der Stimmzettel, die die Bevollmächtigten bei der Stadt abholten, wurden rechtmäßig ausgefüllt.

Welche Rolle haben die zwölf Bevollmächtigten?

Hat Holger Gebhardt dies alles allein gemacht und waren die anderen nur Boten? Die zwölf Personen kommen alle aus seinem politischen und persönlichen Umfeld. Darunter befinden sich CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel und eine Sekretärin der Kreisgeschäftsstelle der Partei. Zudem gehören ein Unternehmer-Ehepaar aus dem Raum Bismark und Mitarbeiter zu den Beschuldigten. Bei Ihnen gab es Ende des vergangenen Jahres Hausdurchsuchungen. Von der Version eines "Einzeltäters" sind inzwischen selbst auch die CDU und die Stadtspitze abgerückt. Von "einer Tat Einzelner" wird nunmehr gesprochen.

Die Ermittlungen sind aufwendig. Die Strafverfolger hatten zunächst die Wahlunterlagen gesichtet und mit den 189 Stendalern gesprochen, auf die Briefwahl-Vollmachten ausgestellt waren. Bei der Hälfte der Tatverdächtigen hat die Polizei im vorigen November bei umfangreichen Durchsuchungen von Privat- und Büroräumen nicht nur Handys und Computer sichergestellt.

Die Beamten nahmen auch Schrift- und Speichelproben, um den Tätern auf die Spur zu kommen. Das bestätigte jetzt die Staatsanwaltschaft. Die Speichelproben können mit dem Speichel an den Briefumschlägen verglichen und damit darauf geschlossen werden, wer bestimmte Briefumschläge zugeklebt hat. Es könnte damit die Aussage: "Ich war nur Bote" entkräftet werden, da ja offensichtlich der Inhalt doch bekannt war, wenn ein Brief von einer bestimmten Person verklebt wurde.

Es ist nicht die einzige Flanke, die bearbeitet wird. Anfang Januar hatte Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt eine weitere Strafanzeige eingereicht. Durch Volksstimme-Recherchen war bekannt geworden, dass jener Mann, der im vorigen Juli die Fälschung seiner Unterschrift unter "seiner" Briefwahlvollmacht im Rathaus an Eides statt versichert hatte, noch am Abend von zwei jungen Frauen aufgesucht wurde. Diese versuchten, ihn von seiner Aussage abzubringen. Darum bemühte sich anschließend auch die Ehefrau des vermeintlich Bevollmächtigten.

Wer war der "Maulwurf im Rathaus?

Das Ehepaar war bereits im Visier der Hausdurchsuchungen im November. Die Namen der beiden jungen Frauen konnte die Polizei nach Volksstimme-Informationen ebenfalls ermitteln. Wer aber war der "Maulwurf" im Rathaus, der die brisanten Informationen über die Aussage des Mannes nach draußen gab? Die stellvertretende Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, Brigitte Strullmeier, verweist auch hier darauf, "dass die Ermittlungen andauern". Die "Anzeige wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen" werde in dem gesamten Verfahren "mitgearbeitet".

Im Zuge der Diskussion um das ungewöhnlich hohe Briefwahlergebnis von Holger Gebhardt und die Fälschung von Vollmachten war im vorigen November eine weitere Strafanzeige eingegangen. Ein offensichtlicher Insider hatte die Strafverfolger darauf aufmerksam gemacht, dass Holger Gebhardt ohne die in der Regel übliche Ausschreibung bei der Stadt eingestellt und ans Jobcenter delegiert worden war. Er stellte deswegen Strafanzeige gegen Oberbürgermeister Klaus Schmotz (CDU) wegen Amtsmissbrauchs und Vorteilsgewährung.

Anzeige gegen Schmotz wird noch geprüft

Volksstimme-Recherchen hatten ergeben, dass zwar beide Personalräte Gebhardts Einstellung zugestimmt hatten. Die Besetzung von Stellen ohne Ausschreibung kommt in vielen Verwaltungen in der Regel gar nicht und in Stendal auch nur selten vor. Zudem wurde Gebhardt von Schmotz die bezahlte Freistellung für einen Verwaltungslehrgang gewährt, der erst nach Ende seines befristeten Arbeitsvertrages abgeschlossen gewesen wäre.

Die Anzeige gegen den Oberbürgermeister "wird auf ihre strafrechtliche Relevanz geprüft", erklärte Sprecherin Strullmeier: "Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen."