1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Arche droht der Untergang

Stendaler Einrichtung Arche droht der Untergang

Kinder aus dem Stendaler Stadtteil Stadtsee bekommen in der Arche ein warmes, kostenloses Mittagessen und die Aufmerksamkeit, die ihnen zu Hause oft fehlt. Die Ironie dabei: Die Arche könnte selbst mehr Aufmerksamkeit gebrauchen, sie kämpft nämlich täglich ums Überleben.

12.06.2015, 01:16

Stendal l Mario und Petra Tiesies sind kurz davor aufzugeben. Das Ehepaar betreibt seit über fünf Jahren die Arche, täglich knapp sechs Stunden, stellt Kindern aus sozialen Brennpunkten Stendals ein kostenloses, warmes Mittagessen zur Verfügung, hört ihnen zu und schenkt Aufmerksamkeit.

Aufmerksamkeit, die sie selbst gut gebrauchen könnten, vor allem in finanzieller Hinsicht, denn die Arche droht unterzugehen. Auf ruhigen Fahrwassern ist sie eigentlich noch nie geschippert. Aber jetzt ist das Schiff auf Sand gelaufen. Es ist kaum noch Geld für die tägliche Arbeit da. Die Tiesies selbst leben von Hartz 4, weil die Arbeit in der Arche kein Geld für sie abwirft. Mit einer letzten Aktion "1000x5" (1000 Leute spenden monatlich 5 Euro) haben sie versucht, wieder frischen Wind in die Segel zu bekommen, aber der lässt auf sich warten und den Tiesies geht die Luft aus. "Entweder es klappt jetzt endlich oder wir müssen schließen", sagt Mario Tiesies.

Harte Worte für jemanden, dessen Herzblut so sehr an der Einrichtung hängt, dass er in Kauf nimmt, dass seine Familie selbst seit vielen Jahren von staatlicher Hand lebt. Ich wollte wissen, wie die Arbeit in der Arche aussieht und mit welchen Problemen Kinder in die Einrichtung kommen, und habe die Tiesies einen Tag lang in der Arche begleitet.

11 bis 13 Uhr
In den Räumen der Arche herrscht absolute Stille. Bis auf Küchenfee Iris Baumhäkel, Praktikantin Sabrina und den Tiesies ist noch niemand da. Es wird das Mittagessen vorbereitet und Obst für den Nachmittag geschnippelt. Bis die Kinder von der Schule kommen, bleibt noch Zeit, um mit Mario (48) und Petra Tiesies (49) über die Arche und die Kinder zu reden. "Manche sind so sehr vernachlässigt, dass es schon weh tut, sie nur anzusehen. Und was machen die Eltern? Sitzen auf der Couch und interessieren sich nicht für ihre Kinder. Schlimm. Ganz schlimm."

Vernachlässigung aber auch körperliche Misshandlungen an den Kindern sieht Mario Tiesies oft. Teilweise hat er auch das Jugendamt informiert, wenn`s zu schlimm war. "Manchmal gehe ich zu den Eltern hin und sage ihnen, dass sie schlechte Eltern sind", sagt Mario Tiesies. "Ich muss das sagen, weil sie genau das sind: schlechte Eltern!"
Und dann beruhigt er sich wieder, weil die ersten Kinder kommen.

14 bis 15 Uhr
Es scheint ein ruhiger Tag zu sein. Gerade mal sechs Kinder wollen zu Mittag verköstigt werden. "Da steckt man nicht drin", sagt Petra Tiesies. "Sie müssen sich ja auch nicht anmelden, können kommen und gehen, wie sie wollen."

Es gibt panierte Schnitzel aus der Tiefkühltruhe, Kartoffeln, Rotkohl und Bratensoße. Es herrscht wieder absolute Stille. "Beim Essen wird ja auch nicht geredet", sagt Mario Tiesies, als er sich mit an einen der Tische setzt. "Alle essen hier mit, auch die Mitarbeiter" sagt er. So soll eine familiäre Atmosphäre entstehen. Auch ich "muss" mitessen, auch wenn es mir komisch vorkommt, weil ich das Gefühl habe, ich esse den Kindern was weg. "Hier werden keine Ausnahmen gemacht", sagt Tiesies und gibt mir einen Teller.

Nun ja, dann soll`s wohl so sein. Aber woher kommt denn eigentlich das Essen, das für die Kinder täglich kostenlos ausgegeben wird? "Wir haben einige Supermärkte, die uns damit beliefern", erklärt mir Mario Tiesies. Genannt werden wollen die aber nicht. Vielleicht deswegen, weil die Produkte bereits am Mindesthaltbarkeitsdatum kratzen oder es schon überschritten haben. Aber wie war das mit dem geschenkten Gaul?

15 Uhr
Heute geht`s nach draußen, auf das Freigelände der Arche, das hinter der Ladenzeile von der Stadt Stendal zur Verfügung gestellt wird. Die Kids spielen Fußball, toben im Sand und machen sich über das Obst her. Und dann fangen sie an zu plappern, denn hier wird ihnen ja zugehört. Das hört sich dann ungefähr so an:

<6>Vincent (10): "Ich habe mir heute ganz viele Fußballkarten gekauft."
Mario Tiesies: "Wo hast du denn das Geld her?"
V.: "Von Mama. Die muss ich alle heute noch sortieren. Ich habe wirklich viel zu tun."
M.T.: "Aber ihr sollt doch nichts mit herbringen. Wenn was wegkommt, dann schimpft Mama."
V.: "Nö, das interessiert die nicht."

Und damit ist das Gespräch beendet, weil Vincent schnell nach Hause muss, um seine Lieblingssendung nicht zu verpassen.

... und dann
Mario Tiesies wird sich wieder daran machen, Fördergelder für die Arche zu beantragen, um den sicheren Hafen anzusteuern. "Aber das ist schwierig, weil dann immer Anforderungen gestellt werden, die ich nicht bereit bin zu erfüllen. Wir sind ein freier Verein und wollen das auch bleiben und uns nicht Auflagen auferlegen lassen, die nicht zu uns passen. Und lügen will ich auch nicht. Wir leisten hier doch gute Arbeit, das muss doch mal anerkannt werden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf."

Die Kinder hoffentlich auch nicht, denn wenn die Spendengelder für die Arche nicht schnell üppiger fließen, wird sie untergehen. Und dann haben die Kinder keinen Platz mehr, wo sie Essen und Aufmerksamkeit bekommen. Stellt sich die Frage, ob es nicht doch sinnvoll ist, sich ein klein wenig den Auflagen der Geldgeber anzupassen. Und wenn`s nur für die Kinder ist...