1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Zwei Naturmenschen im Elfer

Serienstart "24 Stunden Stadtsee" Zwei Naturmenschen im Elfer

Für die Serie "24 Stunden Stadtsee" hat die Volksstimme zu jeder Stunde des Tages, von 12 bis 12 Uhr, einen anderen Akteur des Stadtsee-Lebens besucht und bei seinem Tun um diese Uhrzeit begleitet. Heute: Von 12 bis 13 Uhr bei Familie Engel im Tiergarten-Elfer.

Von Nora Knappe 30.06.2015, 03:04

Stendal l Gerd und Liesel Engel sind wohl das, was man Stadtsee-Urgesteine nennen kann. Sie haben den Stadtteil wachsen und werden sehen. "Wir wohnen seit 1972 in Stadtsee, wir kennen es noch vom ersten Spatenstich", erzählt Gerd Engel, und seine Frau Liesel sagt: "Wir wohnen gern hier, das Grün, die Ruhe... Wir sind ja Naturmenschen."

Grüne Nähe zur Innenstadt

Dass der Stadtteil in den 70er Jahren längst nicht so aussah wie heute, vor allem längst nicht so grün, kann man sich leicht vorstellen. Weite, leere Flächen, moddrige Wege, Baustellen, ständige Veränderung. "Damals waren wir aber froh, eine Wohnung in Stadtsee bekommen zu haben, das war was Besonderes", sagt Gerd Engel, "wir waren stolz drauf. Was wir uns gefreut haben!"

"Der Block hat uns gereizt, das grüne Umfeld, die Nähe zur Innenstadt"

Der Tiergarten-Elfer mit seinen 427 Mietern ist für Liesel und Gerd Engel ein ziemlich neues Zuhause. Nicht nur, dass der Block ja gerade erst rundum saniert wurde, sondern die beiden sind auch erst vor zwei Jahren hergezogen. Davor wohnten sie 40 Jahre in der Friccius-Straße. Die Entscheidung, mit Anfang 70 aus ihrem gewohnten Umfeld nochmal wegzuziehen, fiel ihnen nicht schwer. "Der Block hier hat uns gereizt, alles neu, und der Fahrstuhl war uns wichtig. Und das grüne Umfeld, die Nähe zur Innenstadt." Von hier aus starten sie ihre Joggingrunden und Fahrradtouren, zu Füßen des Elfgeschossers fand voriges Jahr zum ersten Mal der von Engels organisierte Tiergartenviertel-Lauf statt, die Innenstadt ist nicht weit, Ärzte sind in der Nähe.

Nie langweilig

Engels geraten regelrecht ins Schwärmen. Damit haben sie auch andere angesteckt. "Meine Schwester wohnt auch hier", beginnt Gerd Engel die Aufzählung, "die Schwester meiner Frau auch und zwei Sportfreunde. Das ist schön, man geht einfach ein paar Treppen hoch und ein, zwei Hausnummern rüber."

Dass sie jetzt, mitten in der Woche, zur Mittagszeit auf dem Balkon sitzen, ist eher ungewöhnlich. Normalerweise wären beide jetzt in Wischer, dort verbringen sie den größten Teil des Sommers. Aber heute warten sie auf den Transportservice, der ihre großen schweren Koffer schon mal an ihren Urlaubsort bringt. Und da nehmen sie sich gern eine Stunde der ungewissen Wartezeit für einen Plausch über das Leben in Stadtsee. Wenngleich sie die Zeit auch sonst gut zu füllen wüssten. "Langweilig wird uns nie", sagt Liesel Engel und schaut lachend zu ihrem Mann. "Es gibt immer viele Termine", sagt der 74-Jährige, der nicht nur Volksläufe organisiert, sondern auch Initiator und Ansprechpartner der Äthiopienkinderhilfe ist. Und wenn sie gerade selbst nichts geplant haben, kommt garantiert ein Anruf oder Besuch.

"Früher war der Elfer in Verruf, aber wir können uns nicht beschweren"

Die Atmosphäre im Haus sei gut, die Sanierung wird ihren Anteil daran gehabt haben. "Früher war der Elfer ja in Verruf", sagt Gerd Engel, "aber es ist ein vernünftiges Wohnen, wir können uns nicht beschweren. Und zum Vermieter haben wir einen guten Draht." Beim Blick vom Balkon, dessen Verglasung sich auch aufschieben lässt, damit Blätterrauschen und Sommerwind freie Bahn haben, spricht Gerd Engel vom Vorteil dieser Form des Wohnens: "Wir sind damit unabhängig. Anders als mit einem eigenen Haus, einem Grundstück. Ich fühle mich hier freier."

Ein Stück dieser Freiheit kann man erahnen, wenn man von dem licht- und sonnendurchfluteten Balkon im sechsten Stock schaut. Der Blick kann frei schweifen - über das Grün des Stadtsees und des Tiergartens bis weit hinaus in den nach Ost und West offenen Süden. Und wenn Engels hier sitzen - was meistens zum Frühstück der Fall ist -, sehen sie die Kamele und Lamas im Tiergarten und auch gleich ihr Patentier: Alpaka "Lasse". Wenn die Bäume ihr Laub abwerfen, kommt auch so nach und nach der Stadtsee zum Vorschein. Jetzt, im üppig-blätterrauschenden Sommer, kann man ihn an einem blau-silbern durchschimmernden Eckchen gerade so erahnen.

Rückseite ist Erholungsseite

"Sie müssen mal auf der anderen Seite rausgucken, da haben Sie erst mal einen Blick", lädt Liesel Engel den Besuch zum Genuss des Nord-Blicks ein. Und tatsächlich: Es eröffnet sich ein faszinierendes Panorama, eine Mischung aus Alt- und Neu-Stendal. Ganz rechts, wenn man sich ein wenig aus dem Fenster lehnt ("Schon ganz schön hoch, was?"), sieht man die Hälfte der Marienkirche. Petri- und Jacobikirche geraten ins Blickfeld, sogar das Uenglinger Tor ist zu sehen. Die Kuppe der Deponie erhebt sich über einem Fünfgeschosser, weiter links dann der Wasserturm und die Dächer des Berufsschulzentrums. "Wenn Feuerwerk ist, kann man das von hier aus richtig gut sehen", schwärmt Liesel Engel.

Und welchen Ausblick mögen die Engels lieber? "Hinten raus!", sind sich beide einig und zeigen Richtung Süden, zur Tiergarten- und Stadtseeseite. Sie nennen sie "die Erholungsseite".