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Stadtseeallee Auf der stillen Straße der Nacht

Von Thomas Pusch und Nora Knappe 24.07.2015, 15:22

Für die Serie "24 Stunden Stadtsee" haben wir von 12 bis 12 Uhr den Stendaler Stadtteil besucht. Heute: 23 bis 24 Uhr Stadtseeallee.

Stendal l Die letzte Stunde des Tages ist angebrochen. Ganz weit im Westen ist noch ein Schimmer Sonne zu sehen. Der Himmel ist seltsam kühl verfärbt, ein irgendwie gelblich-grünliches Blau. Die Laternen an der Stadtseeallee sind längst erleuchtet. Zwei Jugendliche rennen über die Straße, zur Sparkasse. In Berlin würde man jetzt vielleicht etwas Schlimmes vermuten, aber sie wollen wohl nur zum Geldautomaten.

Sonst ist niemand auf der Stadtseeallee, nachts um kurz nach elf. Nichts von dem Verkehr zu sehen und zu hören, der tagsüber auf der Stadtsee-Magistrale unterwegs ist. Trotzdem gucken wir nach links und rechts, bevor wir wieder eine der Nebenstraßen überqueren. Die Gewohnheit des gut verkehrserzogenen Bürgers.

Auch auf dem Netto-Parkplatz herrscht gähnende Leere, ein einziges Auto steht dort noch. Vergessen, verlassen? Oder hat jemand einfach nach Feierabend den Weg nach Haus zu Fuß zurückgelegt, weil das Wetter so schön war? Wer weiß... Auf dem Bürgersteig vor der Bushaltestelle steht eine leere Sektflasche. Möglicherweise hat es sich hier jemand gutgehen lassen. Vielleicht einen Job bekommen? Oder ein Liebesjubiläum? Oder einfach nur gute Laune gehabt? Und dann kam der Bus...

Nächster Bus in sieben Stunden

Nun ist es dunkel am Himmel und die Straßenlaternen kommen zur Geltung. Als ob sie darauf gewartet hätten, endlich zeigen zu können, was in ihnen steckt: vom wärmenden Orange am ersten Teil der Stadtseeallee, das die Blätter fast herbstlich erscheinen lässt, über die grelle LED-Beleuchtung, die dem mittleren Teil die Atmosphäre eines Grenzstreifens verleiht, bis zu den alten fahlen Lampen im oberen Abschnitt. Irgendjemand hat schwarze Pfeile auf die Gehwege gemalt. Wo die wohl hinführen? Auf jeden Fall Richtung Westen, nach Stadtsee III. Auch die nächste Bushaltestelle ist verlassen. Kein Wunder, der letzte Bus fuhr hier vor sieben Stunden ab, der nächste kommt erst in etwa sieben Stunden.

Aus einem Fenster der Agentur für Arbeit schimmert blaues Licht auf die Straße, irgendwie magisch, wie aus einer anderen Welt. Im Gebüsch, vor dem wir stehen, raschelt`s. Ein Igel womöglich. Wirklich nachschauen wollen wir nicht. Entdecken dafür aber in einer Astgabel einen Plüschteddy. Ein Wächter der Nacht. - So wie der Wachschutz. Der biegt gerade in die Erich-Weinert-Straße ein, eines der wenigen Autos um diese Zeit. Es ist 23.17 Uhr.

"Conny Kramer"

Hinter der Altmark-Forum-Kreuzung ändert sich die Geräuschkulisse. Hier sind offenbar noch mehr Anwohner wach, Gespräche, Gelächter sind zu hören. Und auch laute Musik. Der Schall verstärkt sich in dem Akustik-Kessel aus Mehrgeschossern. Es ist eine milde Nacht. Wer sie zum Schlafen nutzen will, wird noch Geduld aufbringen müssen. Aus einer Kneipe ganz am Ende der Stadtseeallee dringen Musik und Gesang auf die Straße. "Am Tag, als Conny Kramer starb" - allerdings nicht mit der Werding-Melancholie, sondern mit Stadtsee-Fröhlichkeit.

Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht. Merkwürdig, in der Turnhalle der Gagarin-Schule brennt noch Licht. Die vier Flurfenster eines Hauseingangs eines Fünfgeschossers sind hell erleuchtet. Ein paar Hausnummern weiter sitzt ein Mann draußen neben dem Eingang an die Wand gelehnt, in Reichweite Plastetüten. Ein unverständlicher Laut kommt aus seiner Richtung.

23.42 Uhr. Ein Taxi fährt zum zweiten Mal an uns vorbei. Dann ein Polizeiauto. Dann ein Krankenwagen. Bis auf das Rauschen der Reifen auf Asphalt mit einer seltsamen Geräuschlosigkeit. Die Sommernacht wird allmählich zur stillen Nacht. Stendal schläft.

Nächste Folge: Am Dienstag, 28. Juli, halten wir uns von 0 bis 1 Uhr gemeinsam mit dem Apotheken-Notdienst wach.